Chris Smalls: „Wir sind die, die sie reich machen“

Portrait von Chris Smalls.
Chris Smalls ist in den USA eine Berühmtheit geworden. Hier ist er auf dem roten Teppich der Time100 Gala im Jahr 2022. | © Sipa Press / Action Press/Sipa / picturedesk.com
Gewerkschaftsgründer Chris Smalls spricht über die aktuelle Situation der Amazon Labor Union und wie es ist, gegen Jeff Bezos zu kämpfen.

Der 36-jährige US-Amerikaner Chris Smalls und sein Team haben geschafft, was viele für unmöglich hielten. Trotz des erbitterten Widerstands des Online-Riesen Amazon gründete 2021 die Belegschaft des größten Logistikzentrums in New York, dem JFK8, die Gewerkschaft Amazon Labor Union (ALU). Der Konzern nahm über 4 Millionen US-Dollar in die Hand, um das zu verhindern, scheiterte aber. Auch jetzt, fast drei Jahre später, weigert sich der Weltkonzern, mit der ALU zu verhandeln. Die hat sich im Sommer 2024 der einflussreichen US-Gewerkschaft „Teamsters“ angeschlossen. Diese tritt für Arbeitnehmer:innenrechte in den Branchen Transport, Logistik und Lagerhaltung ein und verfügt über einen Streikfonds mit über 350 Millionen Dollar.

Monatelang standen Smalls und seine Mitstreiter:innen vor den Toren seines ehemaligen Arbeitsplatzes, verteilten Flugblätter, gaben Essen aus und sammelten Unterschriften – alles, um eine Gewerkschaft zu gründen. Die Hürden waren hoch. Um über eine Gewerkschaftsgründung abzustimmen, braucht es die Zustimmung von 30 Prozent der rund 8300 Beschäftigten im Lagerhaus, für die Gründung selbst über 50 Prozent. Im Rahmen des Kunst- und Kulturfestivals WIENWOCHE 2024 war Chris Smalls Mitte September im Seminar- und Veranstaltungszentrum Catamaran des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) zu Gast und sprach mit Arbeit&Wirtschaft.

Chris Smalls,
Jahrgang 1988, ist ein US-amerikanischer Gewerkschaftsgründer. Bekanntheit erlangte er durch seine führende Rolle bei der Gründung der Amazon Labor Union (ALU), der ersten Gewerkschaft, die erfolgreich eine Amazon-Einrichtung in den Vereinigten Staaten gewerkschaftlich organisiert hat. Smalls begann 2015 als Kommissionierer in einem Amazon-Lager in New Jersey zu arbeiten. Später wechselte er in das Lager Staten Island (JFK8), wo er als stellvertretender Manager tätig war. Im März 2020 wurde Smalls von Amazon entlassen, nachdem er einen Protest gegen die Arbeitsbedingungen während der COVID-19-Pandemie organisiert hatte. Dieser Vorfall motivierte ihn, die Amazon Labor Union zu gründen.
Arbeit&Wirtschaft: Sie haben gegen Jeff Bezos gekämpft, einen der mächtigsten und reichsten Männer der Welt. Hatten Sie jemals Angst?

Chris Smalls: Nein, niemals. Wahrscheinlich hat Jeff Bezos mehr Angst vor mir als ich vor ihm. Wissen Sie, ich kenne die Leute in den Lagerhäusern und habe Kontakt zu ihnen. Ich glaube nicht, dass Sie Jeff Bezos jemals in ein Lagerhaus kommen und eine Kiste packen sehen werden.

Chris Smalls vor dem Amazon Verteilzentrum JFK8 beim Verteilen von Flugblättern.
Eine Gewerkschaft zu gründen, ist harte Arbeit. Chris Smalls verteilte vor dem Amazon-Zentrum JFK8 Flyer und informierte die Kollegen. | © Amazon Labour Union/2021
Und wenn Sie ihn persönlich treffen würden, was würden Sie zu ihm sagen?

Das ist ganz einfach: Erstens, erkennen Sie die Gewerkschaft an. Und zweitens, verhandeln Sie mit Ihren Arbeitnehmer:innen. Wir sind es, die Sie so reich machen, wie Sie es sind. Und wir haben etwas Besseres verdient! 

Wie hat im Frühjahr 2020 alles begonnen?  

Ich habe mit 25 Jahren bei Amazon angefangen und dort als Supervisor und Assistent Manager gearbeitet. Im März 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, organisierte ich einen Protest wegen fehlender Schutzmaßnahmen. Zwei Stunden später wurde ich gefeuert. Ich beschloss, weiter für die Rechte der Arbeitnehmer:innen zu kämpfen. 

Was sind die größten Probleme im Lagerhaus auf Staten Island?

Das sind definitiv die Bereiche Gesundheit und Sicherheit. Ich habe meinen Kampf wegen Covid begonnen, aber tatsächlich ist Amazon eines der Unternehmen mit den meisten Arbeitsunfällen. Menschen sind nun mal keine Roboter. Das Unternehmen behandelt aber  jeden wie eine Nummer, einen Roboter oder eine Matrix und nicht wie einen Menschen.

Wie haben Sie sichergestellt, dass ihre Mitstreiter:innen im Unternehmen nicht entlassen werden?

Man muss sehr lautstark und offen sein. Viele Gewerkschaften organisieren sich im Geheimen, wir nicht, denn dann könnte sich das Unternehmen Einzelne herausgreifen und entlassen. Wir haben die sozialen Medien genutzt und unsere Hauptorganisatoren auf Titelseiten der Zeitungen gestellt, damit das Unternehmen weiß: Wenn ihr diese Person feuert, kommt ihr in die Schlagzeilen. Wir kennen unsere Rechte und machen darauf aufmerksam, dass wir Beschwerde einreichen werden. Außerdem raten wir unseren Kolleg:innen, dass sie nur in Begleitung eines Gewerkschaftsvertreters mit der Personalabteilung sprechen sollen.

Sie haben erwähnt, dass in einem Amazon-Lagerhaus Menschen aus verschiedenen Nationen arbeiten. Wie ist es Ihnen gelungen, eine Bewegung zu formen?

Ich würde sagen, dass 90 Prozent der Organisationsarbeit darin besteht, zuzuhören. Ich sage meinen Organisatoren immer: Versucht, die Menschen kennenzulernen. Findet heraus, woher sie kommen. Fragt sie nach ihren Familien. Vielleicht habt ihr viel gemeinsam. Außerdem haben wir die Informationen in die jeweilige Landessprache übersetzt. Ich denke, mit der Zeit haben die Arbeiter:innen gemerkt, dass wir es ehrlich meinen, wenn wir sagen, warum wir eine Gewerkschaft wollen.

Wie funktioniert der Dialog mit der Geschäftsleitung?

Nun, seit wir gewonnen haben und unsere Gewerkschaft gründen konnten, ist es ein sehr harter Kampf. Die Geschäftsleitung  weigert sich immer noch, die ALU anzuerkennen. Verhandlungen hat es noch keine gegeben. Aber wir konnten Verbesserungen durchsetzen, etwa was Toilettenpausen betrifft.

Wenn Amazon mit Ihnen endlich verhandeln würde, was wären wichtige Schlüsselforderungen?

Sicherlich Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit, mehr Beschäftigungssicherheit und höhere Löhne! 

Wie viel höher müssten die Löhne sein?

Sie sollten doppelt so hoch sein wie der US-Mindestlohn. Dieser ist schon lange nicht mehr erhöht worden und wir fordern 30 Dollar pro Stunde.

In zwei Monaten finden in den USA Wahlen statt. Wie wird sich die Präsidentschaftswahl auf die Gewerkschaftsbewegung in den USA auswirken?

Wir können uns organisieren, egal wer der Präsident oder die Präsidentin ist. Aber ich hoffe, dass wir es schaffen, einen Platz am Tisch zu bekommen, um Bundesgesetze zum Schutz der Arbeitnehmer zu verabschieden und die Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Wenn nicht nach dieser Wahl, dann hoffentlich nach der nächsten. Ich hoffe also, dass der Präsident oder die Präsidentin auf die Gewerkschaften hört.

Was raten Sie Beschäftigten in schwierigen Arbeitsverhältnissen?

Sich zu organisieren, egal in welcher Branche sie arbeiten. Habt keine Angst, Stellung zu beziehen und für eure Rechte einzutreten.

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Über den/die Autor:in

Sandra Knopp

arbeitet seit 2013 als freie Journalistin und gestaltet Print- und Radiobeiträge. Sie ist Podcasterin (z.B. dabei sein im Arbeitsleben und Freakcasters) und ihre Schwerpunktthemen sind Inklusion, Arbeitsmarkt und soziale Gerechtigkeit.

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