Etwa 900 Milliarden Dollar will China in die Neue Seidenstraße investieren. Das Geld fließt in eine Vielzahl von Infrastrukturmaßnahmen rund um die Welt. Straßen in Osteuropa, Häfen im Mittelmeerraum, Eisenbahnlinien in Afrika. „China versucht, die Transportwege nach Europa zu diversifizieren und zu verkürzen. Es soll darum gehen, Kosten und Zeit einzusparen und auch neue Absatzmärkte zu erschließen“, erklärt Monika Feigl-Heihs, Referentin in der Abteilung EU und Internationales der Arbeiterkammer Wien.
So einfach und naheliegend der Plan klingt, so sehr ist er voller Fallstricke. An dieser Stelle soll versucht werden, die wichtigsten Fragen rund um die Neue Seidenstraße zu beantworten und dabei Vor- und Nachteile aufzuzeigen.
Was ist die Neue Seidenstraße?
Die Neue Seidenstraße hat ihren Namen tatsächlich von der alten Seidenstraße. Der deutsche Geograf Ferdinand von Richthofen hatte den Namen im Jahr 1877 geprägt. Er meinte damit Karawanenwege, auf denen Seide nach Westen transportiert wurde und Wolle und Edelmetalle nach Osten. Diese Routen wurden bereits in der Antike genutzt. China möchte diese Idee nun ins 21. Jahrhundert übersetzen. Unter dem Projektnamen „One Belt, One Road“ oder „Belt and Road Initiative“ oder eben „Neue Seidenstraße“.
Geplant sind zwei Korridore. Zum einen die „Maritime Silk Road“. Dabei geht es um neun Seestraßen mit folgenden Routen:
- China – Griechenland – Italien – Frankreich – Spanien
- China – Indonesien – Malaysia – Singapur – Thailand
- China – Dschibuti – Saudi-Arabien – Sudan
- China – Kambodscha – Thailand
- China – Vietnam – Singapur – Myanmar
- China – Vereinigte Arabische Emirate – Irak
- China – Singapur – Malaysia
- China – Philippinen
- China – Malaysia – Pakistan – Indien – Sri Lanka
Und zum anderen wird der „Economic Belt“ geplant. Unter dem werden die folgenden sechs Landwege subsummiert:
- China – Kasachstan – Russland – Ukraine/Belarus – Polen – Slowakei – Deutschland
- China – Mongolei – Russland
- China – Pakistan
- China – Kirgisistan – Usbekistan – Turkmenistan – Iran – Türkei
- China – Myanmar – Bangladesch – Indien
- China – Laos – Thailand – Malaysia – Singapur – Indonesien
Die Belt and Road Initiative plant zwei Dinge. Erstens sollen die beteiligten Länder miteinander verbunden werden. Häfen werden vergrößert, Bahnstrecken gebaut, Brücken errichtet. Schritt zwei ist es, Nachbarländer mit ins Boot zu holen. So entsteht beispielsweise ein Hafen in Dschibuti (Hauptstadt des gleichnamigen Landes), der per Bahnstrecke mit Addis Abeba, der Hauptstadt von Äthiopien, verbunden wird. Äthiopien selbst hat keinen Zugang zum Meer.
Dass hinter der Belt and Road Initiative tatsächlich eine ganzheitliche, globale Strategie steckt, wird jedoch bezweifelt. China-Expert*innen sehen in der Seidenstraßen-Initiative kein so durchdachtes und auf dem Reißbrett entworfenes Projekt, wie es den Anschein mache. Es gebe keinen Fahrplan, der von A bis Z durchdekliniert sei. „Viel beruht auch auf Zufälligkeiten und ist von einzelnen Investitionsprojekten abhängig“, so Feigl-Heihs im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft.
Wie finanziert China die Neue Seidenstraße?
Rund 900 Milliarden Dollar sollen die verschiedenen Projekte in Summe kosten. Im Jahr 2049 soll die Neue Seidenstraße fertig sein. Das Datum ist kein Zufall. Die Volksrepublik feiert dann ihr hundertjähriges Bestehen. Die Kommunistische Partei Chinas möchte, dass das Land bis dahin die weltgrößte Wirtschaftsmacht ist und in allen relevanten Industrien die Technologieführerschaft innehat.
Im Jahr 2049 soll die Neue Seidenstraße fertig sein. Das Datum ist kein Zufall. Die Volksrepublik feiert dann ihr hundertjähriges Bestehen.
So ein ehrgeiziges Ziel kostet natürlich Geld. Die Finanzierung der Neuen Seidenstraße steht auf vier Säulen:
- staatliche Geschäftsbanken
- Seidenstraßen-Fonds (New Silk Road Fund)
- die nur dafür gegründete Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (Asian Infrastructure Investment Bank, AIIB)
- die Neue Entwicklungsbank (New Development Bank, NDB)
Bei der Finanzierung ist China allerdings nicht allein. Neben der Volksrepublik zahlen auch noch Russland, Brasilien, Indien und Südafrika in diese Töpfe ein. Von dort wird das Geld dann meist in Form von Krediten an die teilnehmenden Länder gegeben, um die vereinbarten Projekte umzusetzen.
Wie viele Länder sind an der Neuen Seidenstraße beteiligt?
Weil auch das Hinterland erschlossen werden soll, das an den verschiedenen Routen liegt, will China insgesamt 140 Länder an der Neuen Seidenstraße beteiligen. Mit diesen Ländern hat China so genannte Memorandums of Understanding (MoU) abgeschlossen. Also Abkommen, die eine zukünftige Zusammenarbeit in Aussicht stellen. Zwei Drittel der Weltbevölkerung könnten durch die Neue Seidenstraße miteinander verbunden werden.
Auch europäische Länder haben sich der Belt and Road Initiative schon angeschlossen. Insgesamt 18 der 27 EU-Mitgliedsstaaten haben ein entsprechendes Abkommen mit China unterzeichnet. Rumänien trat bereits im Jahr 2015 bei, Zypern war 2019 das bisher letzte Land, das offiziell eine Beteiligung an der Neuen Seidenstraße anstrebte. „Die Seidenstraßen-Initiative ist längst in Europa angekommen und auch Thema auf europäischer Ebene. Paradebeispiel ist der Hafen in Piräus. Der wurde vom chinesischen Unternehmen COSCO übernommen und sukzessive ausgebaut“, erläutert Feigl-Heihs die Situation.
Dazu kommt in Europa die 17+1-Plattform. Hier treffen sich Vertreter*innen von 17 Staaten aus Ost- und Mitteleuropa mit Vertreter*innen aus China, um über die Projekte der Neuen Seidenstraße zu verhandeln. Ein Gipfel, der in Europa kritisch gesehen wird. Feigl-Heihs: „China hat mit der 17+1-Initiative ein Forum für den strukturierten Austausch mit mittel- und osteuropäischen Staaten. Das wird innerhalb der EU als Versuch wahrgenommen, die EU zu spalten.“
China hat mit der 17+1-Initiative ein Forum für den strukturierten Austausch mit mittel- und osteuropäischen Staaten. Das wird innerhalb der EU als Versuch wahrgenommen, die EU zu spalten.
Monika Feigl-Heihs, AK-Wien
Diese europäischen Staaten sind an der 17+1-Initiative beteiligt, um mit China die Neue Seidenstraße voranzubringen:
- Lettland
- Estland
- Litauen
- Polen
- Slowakei
- Rumänien
- Bulgarien
- Nordmazedonien
- Griechenland
- Albanien
- Montenegro
- Bosnien und Herzegowina
- Serbien
- Kroatien
- Slowenien
- Ungarn
- Tschechien
Ist Österreich an der Neuen Seidenstraße beteiligt?
Offiziell ist Österreich nicht an der Neuen Seidenstraße beteiligt. Geht es nach den Wünschen Chinas, soll Österreich aber bald Teil der Belt and Road Initiative werden. Zum 50. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und Österreich im Mai 2021, betonte der chinesische Präsident Xi Jinping in einer Botschaft an Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dass weiterhin der gemeinsame Ausbau der Neuen Seidenstraße angestrebt sei, wie der ORF berichtete.
Aus chinesischer Sicht würde eine Zusammenarbeit Sinn ergeben. Auch Feigl-Heihs erklärt, dass Österreich als Anlaufstelle für eine südliche Route angedacht sei, wenn Waren über Piräus und Budapest transportiert werden würden. Auch der nördliche Korridor, der über Košice und Bratislava laufen würde, könnte in Österreich enden.
Bislang liegt das Projekt auf Eis, erklärt Feigl-Heihs: „Es war in der Debatte, dass die Parndorfer Platte bei Wien ein Knotenpunkt werden könnte. Aber das ist von der vorletzten Regierung schon ad acta gelegt worden, weil es von der Bevölkerung vor Ort zu großem Widerstand kam.“ Es hätte ein verstärktes Verkehrsaufkommen und eine stärkere Zersiedelung bedeutet.
Welche Ziele verfolgt China mit der Neuen Seidenstraße?
Die Strategien, die China mit der Neuen Seidenstraße verfolgt, sind extrem vielschichtig. Zum einen will die Volksrepublik ihre Rolle als Exportweltmeister festigen. Zukünftig sollen rund ein Drittel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts und 39 Prozent des Welthandels über die Neue Seidenstraße transportiert werden. Die Belt and Road Initiative soll außerdem helfen, Bereiche wie den Tourismus und die Forschung auszubauen und zu verknüpfen. Außerdem kann die Volksrepublik so ihre Überproduktion an Baumaterial zu guten Konditionen losschlagen.
Mit der Neuen Seidenstraße verfolgt China außerdem eine (aggressive) Art von Kredit-Diplomatie. Ein internationales Forschungsteam hat 142 Kreditverträge im Zusammenhang mit der Belt and Road Initiative ausgewertet, die zum Teil erschreckend einseitig zugunsten Chinas ausfallen und die beteiligten Länder in eine politische und wirtschaftliche Abhängigkeit treiben. Vier ungewöhnliche Punkte heben die Experten hervor.
Ein internationales Forschungsteam hat 142 Kreditverträge im Zusammenhang mit der Belt and Road Initiative ausgewertet, die zum Teil erschreckend einseitig zugunsten Chinas ausfallen und die beteiligten Länder in eine politische und wirtschaftliche Abhängigkeit treiben.
Geheimhaltung: Die meisten Kreditverträge würden einer strengen Geheimhaltung unterliegen. Das könne dann ein Problem sein, wenn das Land mit anderen Gläubigern verhandelt. Die würden den wahren Schuldenstand des Landes nämlich nicht kennen.
Sicherheiten: China verlangt teils enorme Barguthaben als Sicherheit, die auf einem Treuhandkonto hinterlegt sein müssen. Kann das Land die Schulden nicht bedienen, darf die Volksrepublik das Konto leer räumen. Andere Gläubiger würden leer ausgehen.
Umschuldung: Während der Corona-Krise hätten viele Schuldnerländer Finanzmittel gebraucht, um die Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Eine Umstrukturierung der Schulden erlauben die Kreditverträge aber nur mit ausdrücklicher Zusage Chinas.
Politischer Kurs: Ist die Kommunistische Partei Chinas mit dem politischen Kurs des Schuldnerlandes nicht zufrieden, kann sie eine frühere Rückzahlung der Kredite verlangen. Ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit der Volksrepublik wird gar als „Ausfallereignis“ bezeichnet.
Wie zukunftsfähig ist die Neue Seidenstraße?
Die große Frage ist, ob ein Projekt, das extrem auf Globalisierung und immer weiter steigenden Welthandel setzt, zukunftsfähig ist. Die Investoren der Neuen Seidenstraße scheinen sich sicher zu sein. Doch die Gegenstimmen, gerade in Europa, werden lauter. Denn es ist zweifelhaft, dass die Belt and Road Initiative die europäische Wirtschaft überhaupt nennenswert nach vorne bringen würde. „In der EU findet der meiste Handel innereuropäisch statt. Der Handel mit Drittstaaten macht nur ein Achtel der gesamten Wirtschaftsleistung aus“, rechnet Feigl-Heihs vor.
Dazu kommt, dass der „Green Deal“ ein deutliches Zeichen dafür ist, dass Europa von dieser Art des Wirtschaftens weg möchte. Hin zu mehr nachhaltigem Wachstum. Feigl-Heihs: „Der Transport von Handelsgütern ist enorm CO2-intensiv. Als Weltgemeinschaft muss man sich die Frage stellen, welche Art von Handelstätigkeit sowohl für das Klima, die Umwelt und die Bevölkerung zuträglich ist. Es sollte uns vor allem darum gehen, regionale Gebiete zu stärken und regionale Wirtschaftskreisläufe aus- und aufzubauen.“
Das bedeute allerdings nicht, dass sich Europa von der Volksrepublik abwenden sollte, betont Feigl-Heihs. Im Gegenteil: „Aufgrund der globalen Herausforderungen ist es nötig, mit China zu kooperieren. Wie das auch mit anderen Teilen der Welt notwendig ist. Die Fragen des Klimawandels und dessen Auswirkungen können nur gemeinsam im Staatenverbund gelöst werden. Hier ist es wichtig, mit China im Gespräch zu sein und zu bleiben. Und dabei ist auch auf die menschenrechtliche Situation, die Frage der Arbeitsbedingungen einzugehen.“
Welche Projekte der Neuen Seidenstraße wurden schon umgesetzt?
Auf der ganzen Welt wurden bereits einzelne Infrastrukturmaßnahmen umgesetzt, die zur Belt and Road Initiative gehören. Üblicherweise werden die Baumaßnahmen vor Ort von chinesischen Arbeitskräften und oft mit chinesischen Rohstoffen erledigt. Eine inländische Wertschöpfung findet beim Bau kaum statt. Dazu kommt, dass sich die Länder damit chinesische Arbeitsbedingungen importieren.
Man weiß aber, dass chinesische Investoren gerne die eigenen Arbeitskräfte mitbringen und dann nicht mehr so genau auf die Einhaltung geltender Standards und Arbeitsschutzbestimmungen geachtet wird.
Monika Feigl-Heihs, AK-Wien
Feigl-Heihs: „Arbeitsrechte und Lohnstandards stehen für uns im Vordergrund. Man weiß aber, dass chinesische Investoren gerne die eigenen Arbeitskräfte mitbringen und dann nicht mehr so genau auf die Einhaltung geltender Standards und Arbeitsschutzbestimmungen geachtet wird.“
Sind die Projekte erst einmal umgesetzt, können neue Risiken entstehen, wie die folgenden vier Beispiele zeigen:
Piräus: Für China ist Griechenland das „Tor nach Europa“, wie es Li Keqiang, der damalige Außenminister Chinas, im Jahr 2014 ausdrückte. 51 Prozent des Containerhafens gehören der China Ocean Shipping Company (COSCO). Der Hafen wurde ausgebaut und ist mittlerweile der Hafen mit dem größten Containerumschlag am Mittelmeer. Allerdings kürzte COSCO die Gehälter und Sozialleistungen der Hafenarbeiter*innen, schloss Gewerkschaften von Gesprächen aus und erhielt massive Steuererleichterungen, die nicht mit den EU-Beihilfe-Vorschriften vereinbar waren.
Serbien und Ungarn: Zwischen Belgrad und Budapest soll eine Bahnstrecke entstehen. Die 1,6 Milliarden Euro für den Bau gehen allerdings an die China Construction Company und an China Railways International. Im Jahr 2023 soll die Verbindung fertiggestellt sein. Serbien dürfte das bekannt vorkommen. Schon den Bau der dafür benötigten Brücke erledigten chinesische Firmen.
Australien: Victoria ist ein australischer Bundesstaat im Süden des Landes. Hier liegt die Stadt Melbourne. Die lokale Regierung hatte eine Absichtserklärung mit China unterzeichnet, um „die Beteiligung chinesischer Infrastrukturunternehmen an Victorias Infrastrukturprogramm zu erhöhen“. Doch die australische Zentralregierung in Canberra stoppte das Projekt. Es sei mit der Außenpolitik des Landes unvereinbar. Ohnehin seien die Abkommen, die im Rahmen der Belt and Road Initiative abgeschlossen worden seien, nicht rechtlich bindend.
Pakistan: China gewährte dem Land Kredite in Höhe von rund 50 Milliarden Dollar. Mit dem Geld sollen Kraftwerke, Pipelines, Straßen und Eisenbahnlinien errichtet werden. Die Volksrepublik erhofft sich dadurch Zugriff auf arabische Ölquellen. Knackpunkt: China verlangt fünf Prozent Zinsen für seinen Kredit. Mit Sri Lanka konnte schon einmal ein Land seine Zahlungen an China nicht mehr bedienen und musste seinen neu gebauten Hafen für 99 Jahre an chinesische Staatsunternehmen verpachten.