Budget der vergebenen Chancen

Foto (C) Jonas Glaubitz / Fotolia
Die neue Regierung geht entscheidende Herausforderungen nicht an, obwohl die gute wirtschaftliche Lage beträchtliche Gestaltungsspielräume eröffnen würde. Diese wird aber vor allem für einseitige Steuersenkungen genutzt, von denen in erster Linie besser Situierte profitieren.
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Von den neuen Maßnahmen im vorliegenden Budgetentwurf profitieren Tourismusunternehmen oder Unternehmen, die sich nicht an Gesetze halten.
Im ersten Budget der neuen Regierung werden entscheidende Herausforderungen nicht angegangen, obwohl die gute wirtschaftliche Ausgangslage beträchtliche Gestaltungsspielräume eröffnen würde. Die AK-Budgetanalyse zeigt, dass diese nicht für Zukunftsinvestitionen und Verbesserungen im Wohlfahrtsstaat genutzt wird, sondern vor allem für einseitige Steuersenkungen, von denen in erster Linie besser Situierte profitieren

Weniger Zukunftschancen

Trotz des aktuellen Konjunkturaufschwungs liegt die Zahl der Arbeitslosen nach wie vor um 60 Prozent über dem Niveau vor der Wirtschaftskrise 2008 – das sind knapp 130.000 Personen mehr. Dessen ungeachtet werden die Mittel für das AMS gekürzt und die Aktion 20.000 gestrichen. Dadurch kann etwa das von der AK vorgeschlagene Qualifizierungsgeld, mit dem man 40.000 Weiterbildungsplätze für gering qualifizierte ArbeitnehmerInnen schaffen hätte können, nicht eingeführt werden. Österreich ist vom Ziel der Vollbeschäftigung weit entfernt. Hinzu kommt, dass ab dem Jahr 2020 ein erneuter Anstieg der Arbeitslosigkeit droht.

Auch in der Bildung wird gespart. Der durch die vorige Regierung initiierte Ausbau der Ganztagesbetreuung in Schulen wird verzögert. Dabei braucht es für mehr Chancengerechtigkeit im Bildungswesen ausreichend Ressourcen: Durch die Einführung des Chancenindex würden Schulen mit vielen benachteiligten SchülerInnen mehr Mittel bekommen und könnten etwa mehr Förderangebote und pädagogisches Unterstützungspersonal aufbringen.

Die rasche Integration von Geflüchteten in das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft gilt laut Einschätzung aller einschlägigen ExpertInnen als ein taugliches Instrument für eine sozial-, wirtschafts- und budgetpolitisch erfolgreiche Politik. Aktuell werden die Mittel für Deutschkurse und berufliche Qualifikationen am Arbeitsmarkt und jene für DeutschlehrerInnen und SozialarbeiterInnen in der Bildung gekürzt. Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Betroffenen, deren Abhängigkeit von Staatstransfers ansteigt, sondern – angesichts des dadurch ungenutzten Potenzials an Wissen und Leistung − auch auf die Gesellschaft insgesamt.

Weniger Wohlfahrtsstaat

Für die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) wurden Einsparungen in Höhe von 500 Millionen Euro angekündigt. Dies entspricht einer Kürzung von knapp einem Drittel des AUVA-Budgets und würde zu Leistungskürzungen in der Unfall- und Gesundheitsversorgung für die Versicherten – zu denen neben ArbeitnehmerInnen auch Studierende und SchülerInnen zählen – führen.

500 Millionen Euro hätte die AUVA einsparen sollen. Entgegen einiger Bekundungen seitens der Regierung wäre dies nicht einmal dann möglich, wenn man die gesamte Verwaltung streichen würde, denn deren Gesamtkosten betragen nur 90 Millionen Euro. Geplant ist, dass die bei der AUVA eingesparte Summe über eine Lohnnebenkostensenkung den Unternehmen zugutekommt. Das System, in dem gespart wird, ist aber letztlich das Gesundheitssystem.

Unterschätzter Pflegeregress

Zu wenig Geld wurde auch für den Ausgleich der Abschaffung des Pflegeregresses den Ländern und Gemeinden zur Verfügung gestellt. Berechnungen des Städtebundes gehen – aufgrund steigender Nachfrage nach Heimplätzen – von einem Mehrbedarf von 530 bis 650 Millionen Euro aus. Im aktuellen Budget sollen sie weniger als ein Fünftel davon erhalten. Mit Einführung einer zweckgewidmeten Erbschaftssteuer für die Finanzierung der Pflege könnten rund 650 Millionen Euro an Steueraufkommen lukriert und damit der dringend benötigte Ausbau von Pflegeleistungen erreicht werden.

Obwohl die Regierung Personalaufstockungen in einigen Bereichen des öffentlichen Dienstes plant, sollen die ausgegliederten Unternehmen wie die ÖBB oder die Statistik Austria rund 2.000 Arbeitsplätze einsparen. Ökonomisch unsinnig ist die Streichung von 171 Planstellen in der Finanzverwaltung. Zudem scheinen in den aktuellen Budgetunterlagen 80 Planstellen, die noch Anfang 2018 in der Finanzverwaltung angesetzt waren, nun jeweils zur Hälfte im Verfügungsbereich von Kanzler und Vizekanzler auf. Langfristig können Kürzungen – gerade bei der innerhalb der Finanzverwaltung angesiedelten Betriebsprüfung – den Staat teuer zu stehen kommen: Ein Betriebsprüfer bringt durchschnittlich das bis zu 30-Fache seines Jahresgehalts an Steuern ein. Im Jahr 2016 betrug das steuerliche Mehrergebnis aus allen Prüftätigkeiten rund 1,8 Milliarden Euro – dies entspricht etwa der Finanzierung jedes dritten Kindergartens und jeder dritten Volksschule.

Während in der Finanzverwaltung gespart wird, soll es für Unternehmen im Rahmen einer Ausweitung des sogenannten „Horizontal Monitorings“ weniger Kontrollen geben. Zudem werden die Strafzahlungen für Verstöße seitens der Unternehmen – etwa gegen Arbeitszeitregelungen – künftig gedeckelt. Die verstärkte Bekämpfung von Steuerbetrug und -hinterziehung sowie Lohn- und Sozialdumping wäre allerdings ein wichtiger Schritt für eine Reduktion ungerechter Arbeitsbedingungen sowie eine gerechtere Steuerstruktur.

Leere Versprechen

Entgegen den Ankündigungen im Regierungsprogramm sind für die Bekämpfung von Steuerbetrug und -umgehung keine großen Maßnahmen geplant. Dies wird durch die geplante Reduktion der Zahl der FinanzprüferInnen und das Ablehnen der Veröffentlichung der Unternehmensberichte im Rahmen des Country-by-Country-Reportings (CbCR) seitens des Finanzministers noch verschärft. Damit bleibt die Verteilung der Erträge, Steuern und Geschäftstätigkeit multinationaler Konzerne weiter unter Verschluss, obwohl dies ein wichtiger erster Schritt in Richtung einer fairen Besteuerung wäre.

Mehr für manche

Der Familienbonus ist mit budgetierten Mindereinnahmen von über einer Milliarde Euro die steuerlich bedeutendste Maßnahme. Laut einer Schätzung des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik werden rund zehn Prozent der Haushalte nicht davon profitieren – dies betrifft rund 150.000 Kinder, und weitere 26 Prozent der Haushalte können die Maßnahme nicht zur Gänze ausschöpfen – dies betrifft rund 550.000 Kinder. Familienpolitisch bedeutet die Steuersenkung für Familien einen weiteren Anstieg des im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohen Anteils an Geldleistungen. Eine äquivalente Steigerung der Ausgaben für die Kinderbetreuung hätte hingegen unter anderem die Finanzierung von 37.000 neuen Plätzen für die Frühförderung, flächendeckend ganztägig und ganzjährig geöffneten Kindergärten sowie das zweite kostenlose Kindergartenjahr für alle möglich gemacht.

Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes im Tourismus von 13 auf zehn Prozent kostet rund 120 Millionen Euro. Angesichts immer neuer Nächtigungsrekorde und steigender Preise sind beträchtliche Gewinnsteigerungen der Hoteliers zu erwarten – die dafür weder zusätzliche Investitionen tätigen noch die Arbeitsbedingungen für ihre Beschäftigten verbessern müssen.

Später spürbare negative Folgen

Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik braucht einen Wohlfahrtsstaat, auf den die Menschen sich in schwierigen Situationen verlassen können. Gerade jene Bereiche, in denen aktuell besonders bei benachteiligten Gruppen gekürzt wird, sollten daher ausgebaut werden: Arbeitsmarkt, Frühförderung, Bildung und Pflege. Von den neuen Maßnahmen im vorliegenden Budgetentwurf profitieren hingegen insbesondere Tourismusunternehmen, aber auch jene Unternehmen, die sich nicht an Gesetze halten. Der Familienbonus kann von einem Drittel der Familien nicht bzw. nicht im vollen Ausmaß in Anspruch genommen werden. In diesem Sinne ist das Budget eines der vergebenen Chancen – in einigen Jahren, wenn die Konjunktur wieder abflacht, kann dies deutlich spürbar werden.

AK-Budgetanalyse

Von
Romana Brait
Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/18.

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