Branche mit Triple-Ü

Zwischen Überstunden, Überbelastung und Überdruss: Im Tourismus gehören überlange Arbeitszeiten ohnehin zum Alltag, nun gibt es weitere Verschlechterungen.
Kennen Sie den schon? Kommt ein Kellner zum Vorstellungsgespräch in einen Gastronomiebetrieb. Personalchef: „Wie viel Erfahrung bringen Sie mit?“ Bewerber: „Ich habe 30 Jahre Erfahrung in der Branche.“ Personalchef: „Moment, Sie sind doch erst 25! Wie ist denn das möglich?“ Bewerber: „Überstunden.“

Was hier als Witz erzählt wird, ist für Beschäftigte im Hotel- und Gast­gewerbe bitterer Arbeitsalltag. Und das nicht nur manchmal, sondern – besonders in der Hauptsaison – jeden Tag, denn in der Gastronomie gibt es kein „Heute wegen gestern geschlossen“, und Überstunden wurden schon vor Jahrzehnten von der Ausnahme zur Regel.

Die Tourismusbranche trifft das neue Arbeitszeitrecht besonders hart.

Canan Aytekin, vida

Canan Aytekin ist Leiterin der Fachbereiche der Gewerkschaft vida. Zu ihren Aufgaben zählt auch die Betreuung von Beschäftigten im Tourismus. „Die Tourismusbranche trifft das neue Arbeitszeitrecht besonders hart“, so Aytekin. „Und das, obwohl die Arbeitsbedingungen auch bisher schon alles andere als ideal waren.“

Vorauseilender Gehorsam

Doch anstatt die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Tourismus zu verbessern, setzt die Regierung auf eine andere Strategie. Mangelberufsliste lautet das politische Zauberwort. „Wir haben erneut den Fall, dass sich die Wirtschaft im Tourismus etwas wünscht und die Regierung in vorauseilendem Gehorsam wieder nach dieser Pfeife tanzt“, kritisiert Berend Tusch, Vorsitzender des Fachbereichs Tourismus in der Gewerkschaft vida. Im Kern der Kritik steht ihm zufolge die Tatsache, dass durch die Öffnung des heimischen Arbeitsmarktes im Tourismus für Angehörige aus Drittstaaten dem Lohndumping der rote Teppich ausgerollt wird. „Es geht nicht darum, Fachkräfte zu lukrieren, was gesucht wird, sind Lohndrücker“, unterstreicht der vida-Gewerkschafter. Anstatt an langfristigen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu arbeiten, werden durch die Veränderung der Mangelberufsliste „kurzfristig Personallücken gestopft“, so Tusch.

Anstatt an langfristigen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu arbeiten, werden durch die Veränderung der Mangelberufsliste kurzfristig Personallücken gestopft.

Bernd Tusch, vida

Aus mehreren Umfragen geht hervor: Beschäftigte der Branche bemängeln vor allem das niedrige Einkommen (derzeit liegt der Mindestlohn bei 1.500 Euro brutto), den hohen Druck und die Arbeitsbelastung, lange und unplanbare Arbeitszeiten sowie die schlechte Vereinbarkeit mit dem Privatleben. Die Sonderauswertung des Arbeitsklima Index Tourismus 2017 im Auftrag der AK Wien zeigt zudem, dass unter den von den Befragten genannten Belastungen vor allem die folgenden vier genannt wurden: physischer Stress und Zeitstress, Isolation am Arbeitsplatz, physische Belastungen und Innovationsstress.

Und dann kam im September letzten Jahres zu den ohnehin schon schlechten Arbeitsbedingungen auch noch ein weiterer Rückschlag hinzu: die „Flexibilisierung“ im Arbeitszeitgesetz. Im Tourismus brachte der 12-Stunden-Tag einige Verschlechterungen. Nicht nur dass die gesetzlich zugelassene Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden täglich bzw. 60 Stunden wöchentlich ausgedehnt wird, was unterm Strich noch mehr Überstunden bedeutet.

Im Tourismus brachte der 12-Stunden-Tag einige Verschlechterungen.

Darüber hinaus müssen Überstunden nicht mehr gleich ausbezahlt werden, weil es nun möglich ist, Zeitsalden in den nächsten Durchrechnungszeitraum mitzunehmen. Aytekin sieht dies besonders kritisch: Für viele Beschäftigte im Tourismus ist der einzige Anreiz für die Überstundenerbringung deren finanzielle Abgeltung. Und genau dieser Anreiz geht verloren, wenn „bei einem mehrmaligen Übertrag in vielen Fällen die finanzielle Abgeltung wegfällt“, so Aytekin.

Kürzere Ruhezeiten

Eine weitere Verschlechterung ergibt sich durch die Verkürzung der Ruhezeiten. Diese betrugen laut Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Hotel- und Gastgewerbe bisher 11 Stunden (oder im Ausnahmefall 10 Stunden). Eine zusätzliche Verkürzung auf 8 Stunden Ruhezeit war zwar bisher laut Kollektivvertrag möglich, „jedoch mit der Einschränkung auf Saisonbetriebe, Vollzeitbeschäftigung und nur unter bestimmten Auflagen“, wie Aytekin betont. Diese Bedingungen fallen durch das neue Ruhezeitgesetz weg, sodass die achtstündige Ruhezeit bei geteilten Diensten zur Regel werden kann.

Für die Arbeitsrechtsexpertin Canan Aytekin stellt sich im Besonderen eine Frage: „Wie soll man in acht Stunden Ruhezeit und bei geteilten Diensten noch ein Privatleben pflegen?“ In vielen Fällen kommen zu den ohnehin schon langen Arbeitszeiten auch noch lange Arbeitswege hinzu – bei geteilten Diensten sogar täglich zweimal hin und retour. Die Konsequenzen für die Betroffenen sind verheerend.

Wie kann man sich den typischen Arbeitsalltag eines Kochs vorstellen?
Der typische Arbeitsalltag eines Kochs – wie kann man sich den vorstellen? Gehen wir einmal vom Schlimmsten aus: geteilter Dienst beispielsweise, also ein Koch, der sowohl für die Zubereitung des Frühstücks als auch des Abendessens verantwortlich ist. Und dann kommt auch noch eine Veranstaltung hinzu, die über die üblichen Küchenzeiten hinausgeht und Überstunden erforderlich macht.

Zudem wohnt unser Koch nicht in der Stadt, in der er arbeitet. Um zur Arbeitsstelle zu kommen, muss er pro Fahrt eine Dreiviertelstunde pendeln und zudem etwaige Verkehrsbehinderungen einplanen, um nicht zu spät zu kommen. Wie gestaltet sich sein Tagesablauf unter diesen Bedingungen?

Wenn sein Wecker klingelt, ist es noch stockdunkel. Die Zeiger stehen auf 4.30 Uhr. Zum Frühstücken ist es noch zu früh, also macht er sich fertig und bricht um 5.00 Uhr in Richtung Arbeit auf. Die Fahrzeit beträgt eine Dreiviertelstunde. Mit viel Verkehr ist um diese Zeit noch nicht zu rechnen, aber einen kleinen Puffer plant er dennoch ein. Um 6.00 Uhr ist Arbeitsbeginn. Dann steht er erst einmal viereinhalb Stunden in der Küche und bereitet das Frühstück für die Hotelgäste zu. Er brät Speck an, bereitet die Eier auf vier verschiedene Arten zu, damit alle Gäste auch ihr jeweils bevorzugtes Frühstücksei genießen können.

Kurzes Zeitfenster

Um 10.30 Uhr ist seine Frühschicht beendet. Bei seinem geteilten Dienst muss er erst wieder um 15.00 Uhr im Hotel sein. Er fährt also eine Dreiviertelstunde nach Hause, wo ihm dann genau zwei Stunden und 45 Minuten bleiben, um sich auszuruhen, ehe er wieder ins Hotel fahren muss. In dieser Zeit isst er zu Mittag und ruht sich noch ein bisschen aus. Er weiß, dass seine Abendschicht länger dauern wird, weil eine Veranstaltung im Hotel stattfinden wird. Viel mehr ginge sich in diesem kurzen Zeitfenster allerdings ohnehin nicht aus.

Um kurz vor 15.00 Uhr befindet er sich wieder in der Hotelküche und trifft erste Vorbereitungen für das Abendessen: Er mariniert Fleisch, bereitet die Brühe für Suppen und Saucen zu, die eingekocht werden müssen. Zu den regulären Hotelgästen treffen auch langsam die Gäste der Veranstaltung ein – und schon befindet er sich wieder in der heißen Phase, in der zig Gerichte zubereitet werden müssen. Am besten alle gleichzeitig – denn wer wartet schon gerne mit leerem Magen im Restaurant? Um 22.00 Uhr endet sein Arbeitstag. Vier Überstunden hat er heute geleistet. Aber es geht sich aus, dass er auf acht Stunden Ruhezeit kommt, ehe er am nächsten Tag wieder um 6.00 Uhr damit beginnt, das Frühstück für die Hotelgäste zuzubereiten.

Theoretisch zumindest, denn da ist ja auch noch die Fahrzeit von einer Dreiviertelstunde. Netto bleiben ihm von den acht Stunden Ruhezeit sechs Stunden Schlaf – sofern er nicht auch noch etwas erledigen möchte oder gar ein Privatleben pflegt.

Eine ausgewogene Work-Life-Balance wird in der Tourismusbranche zum utopischen Wunschdenken!

Dieses Beispiel zeigt: Eine ausgewogene Work-Life-Balance wird in der Tourismusbranche zum utopischen Wunschdenken. Denn für die Beschäftigten bedeuten die neuen Arbeitszeitregelungen „noch weniger Planbarkeit von Freizeit, noch weniger Schlaf, noch weniger Privatleben, noch mehr Belastung und erhöhte Unfall- und Erkrankungsgefahr“, so Aytekin.

Folgen für die ganze Branche

Ganz klar, dass das negative Auswirkungen auf die gesamte Branche hat. Denn eines lässt sich für Aytekin nicht bestreiten: „Die Unzufriedenheit bei den Beschäftigten wird noch weiter ansteigen.“ Schlechte Arbeitsbedingungen erhöhen die Fluktuation, bis „langfristig die Branche ihre Attraktivität als Arbeitgeber endgültig verliert“. Und dann?

Weitere Informationen:
tinyurl.com/y5dekmtq

Von
Beatrix Mittermann

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/19.

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Über den/die Autor:in

Beatrix Ferriman

Beatrix Ferriman hat internationale Betriebswirtschaft an der WU Wien, in Thailand, Montenegro und Frankreich studiert. Sie ist Autorin, Schreibcoach sowie freie Redakteurin für diverse Magazine und Blogs.

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