Die Bilanz von Schwarz-Blau
Am Ende ist es so gekommen, wie es sich offenbar viele Vertreter:innen von Industrie und Wirtschaft gewünscht hatten. Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, im September 2024 in einem Kurier-Interview: „Ich befürchte, die Neos sind die ersten, die in Koalitionsgesprächen bei neuen Steuern umfallen.“ Und weiter: „Beim Wirtschaftsprogramm der FPÖ sehen wir eine sehr große Deckungsgleichheit mit jenem der ÖVP.“
Viele, etwa in der Sozialpartnerschaft, hinterfragen, ob FPÖ und ÖVP wirklich Maßnahmen setzen würden, die in der derzeit angeschlagenen Wirtschaftslage helfen. Doch gerade Neoliberale hoffen auf eine blau-schwarze Zusammenarbeit. Bereits die schwarzblaue Regierung von 2017 bis 2019 unter Kurz und Strache garantierte in Wirtschaftsinteressen einen neoliberalen Durchmarsch. Schwarz-Blau schliff die Rechte der Arbeitnehmer:innen, kürzte Sozialleistungen und trieb ältere Menschen in die Arbeitslosigkeit.
Der 12-Stunden-Tag und der Sozialbetrug
Der bekannteste Posten in der schwarz-blauen Bilanz unter Kurz und Strache ist die Einführung des 12-Stunden-Tages und der 60-Stunden-Woche. Theoretisch können Beschäftigte zwar die 11. und 12. Stunde ablehnen, doch ein Kündigungsschutz ist für diesen Fall im Gesetz nicht verankert. 2018 kommentierte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian gegenüber Arbeit&Wirtschaft: „Es profitieren ausschließlich die Arbeitgeber. Von Vorteilen für Arbeitnehmer:innen ist darin nichts zu finden.“
Immense Auswirkungen hatte auch eine Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG). Schwarz-Blau fügte einen Absatz ein, der die Strafzahlungen deckelt, sollten Unternehmen ihre Beschäftigten nicht oder verspätet anmelden. Diese wurden auf das Fünffache der Höchstbeitragsgrundlage von 171 Euro – also 855 Euro – begrenzt. Bis zur Änderung mussten Unternehmen bis zu 50.000 Euro pro Beschäftigten zahlen.
„So billig war Sozialbetrug noch nie“, fasste damals SPÖ-Sozialsprecher und Baugewerkschafter Josef Muchitsch das neue Gesetz per APA-Aussendung zusammen. Vor allem im Bau könne es zu systematischen „Fehlern“ bei der Anmeldung kommen, die hunderte Beschäftigte betreffen. Viele der Handwerker:innen wüssten nicht einmal, dass sie nicht ordentlich gemeldet sind.
Weniger Geld für Kinder
In Österreich ist jedes fünfte Kind und jeder fünfte Jugendliche von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Das geht aus Zahlen der Volkshilfe Österreich hervor. Warum das so ist, hat die schwarz-blaue Regierung im April 2019 eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Damals trat das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz in Kraft. Darin schrieben ÖVP und FPÖ den Ländern Obergrenzen für die Leistungshöhe vor.
Zudem erhielten Familien mit dem neuen Gesetz für das erste Kind rund 20 Euro weniger, für das zweite Kind 100 Euro weniger und für jedes weitere Kind 200 Euro weniger. Zusätzlich war die Auszahlung an den Nachweis von Deutschkenntnissen gekoppelt. Diese zwei Regelungen kippte der Verfassungsgerichtshof zwar, doch im Kern blieb das Gesetz erhalten. Statt Deutschkenntnisse müssen jetzt Integrationsbemühungen nachgewiesen werden – bei geringfügig erhöhten Beiträgen.
„Marketing-Gag“ Patientenmilliarde
Nur aus Sicht der Arbeitgeber:innen war auch die Krankenkassenreform ein voller Erfolg. ÖVP und FPÖ machten den Wähler:innen das Paket mit der „Patientenmilliarde“ schmackhaft. Die bezeichnete Beate Hartinger-Klein (FPÖ), ehemals Sozialministerin, später selbst in einem Untersuchungsausschuss als „Marketing-Gag“. Laut Rechnungshofbericht hat die Reform kein Geld gespart, sondern 215 Millionen Euro gekostet.
Doch die Nebelkerze war notwendig. Sie verschleierte, dass die Kurz-Strache-Regierung das Mitspracherecht von Arbeitnehmer:innen beschnitt. „Vertreter:innen, die von der Wirtschaftskammer entsendet werden, können mit ihren 50 Prozent des Stimmrechts jede Entscheidung verhindern – dabei sind sie von diesen Entscheidungen gar nicht betroffen“, erklärt Julia Stroj gegenüber Arbeit&Wirtschaft. Sie ist Ökonomin im Referat für Gesundheitspolitik des ÖGB.
Österreichs Wirtschaft steckt in der Rezession – der Weg heraus ist steinig.
Mit welchen Maßnahmen es wieder aufwärts gehen kann, erklärt Angela Pfister, Leiterin des Volkswirtschaftlichen Referats des @oegb.bsky.social, in ihrer Prognose. 👇
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 2. Januar 2025 um 09:00
Neoliberale Bilanz von Schwarz-Blau
Die Liste lässt sich fortsetzen. Etwa mit dem Ende der Aktion 20.000, das viele Beschäftigte über 50 Jahre wieder in die Arbeitslosigkeit getrieben hat. Oder mit einer rückwärtsgewandten Umweltpolitik in Zeiten der Klimakrise. Oder mit der Russlandliebe der FPÖ, die durch den Angriffskrieg in der Ukraine noch problematischer wurde – und zu der eine Folge des Podcasts „Inside Austria“ empfohlen sei. Zu befürchten ist also, dass die Angriffe auf Arbeitnehmer:innenrechte und soziale Errungenschaften bald wieder losgehen.
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