„Wir fahren gemeinsam“: Was Busfahrer:innen und Klimaaktivist:innen eint

Gregor Stöhr auf einer Demo. Hinter ihm stehen Demonstrant:innen, die ein Schild mit der Aufschrift "Wir fahren gemeinsam" halten.
Der strömende Regen hält den Busfahrer und Ersatzbetriebsrat Gregor Stöhr nicht davon ab, für eine klimagerechte EU-Politik zu demonstrieren. | © Markus Zahradnik
System Change: Nach deutschem Vorbild hat sich in Österreich ein Bündnis aus Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr und Klimaschützer:innen formiert. Der Name „Wir fahren gemeinsam“ ist dabei Programm.
Freitag, 31. Mai 2024, kurz vor den Wahlen zum Europaparlament: Die Klimaschützer:innen von „Fridays for Future“ haben zur Demonstration vor die Wiener Votivkirche geladen, um für eine klimagerechte EU-Politik und gegen einen drohenden Rechtsruck auf die Straße zu gehen. Es regnet in Strömen, und das wird den ganzen Marsch hindurch so bleiben. Das schlechte Wetter konnte Gregor Stöhr, Ersatzbetriebsrat beim Busunternehmen Dr. Richard in Niederösterreich, jedoch nicht davon abhalten, hierherzukommen. Gemeinsam mit jungen Aktivist:innen stimmt er durch das Megafon Sprechchöre an.

Stöhr ist einer von 15.000 Busfahrer:innen, die vor allem im ländlichen Raum und in städtischen Außenbezirken den öffentlichen Nahverkehr am Laufen halten. Man erkennt ihn schon von Weitem an seinem weißen T-Shirt. „Streikbereit“ ist darauf zu lesen, wie auch das Logo seiner Gewerkschaft, der vida. Außerdem prangen darauf die Schriftzüge der Organisationen „Fridays for Future“ und „System Change not Climate Change“. Und ganz in der Mitte, auf der Brust, in großen Buchstaben das Motto, das Gregor Stöhr ständig auf den Lippen führt: „Wir fahren gemeinsam.“

Politische Fahrgemeinschaft

„Wir fahren gemeinsam“ ist eine simple Idee mit einem großen Vorbild aus Deutschland. Dort hat sich in den vergangenen Jahren ein Bündnis mit dem Namen „Wir fahren zusammen“ zwischen der Klimabewegung und der Gewerkschaft ver.di entwickelt. Als dort vor einigen Monaten in über 70 Städten die Kolleg:innen des öffentlichen Nahverkehrs im Rahmen der Tarifrunde Nahverkehr 2024 streikten, gingen vielerorts auch Klimaaktivist:innen mit ihnen auf die Straße und besuchten Streikposten, um die Forderung nach einer gerechten Verkehrswende in Deutschland zu unterstützen.

© Silke Müller

Während das deutsche Bündnis schon seit mehreren Jahren existiert, hat die österreichische „Wir fahren gemeinsam“-Struktur erst einige Monate auf dem Buckel. Beteiligt an dem Bündnis sind Gruppen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung wie „System Change not Climate Change“ oder „Fridays for Future“ sowie die österreichische Gewerkschaft vida, die unter anderem Eisenbahner:innen und Busfahrer:innen organisiert. Dabei geht es um eine einfache Prämisse: Der für die soziale und ökologische Transformation nötige Ausbau des öffentlichen Verkehrswesens wird nicht ohne gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten funktionieren.

Aufgrund mieser Arbeitsbedingungen sind Busfahrer:innen in Österreich auf der Liste der Mangelberufe. Das bedeutet: Wenn heute zusätzliche neue Busse angeschafft würden, gäbe es längst nicht genügend Arbeitskräfte, um diese auch zu betreiben. Schon seit Monaten wird in Österreich der Rahmen-Kollektivvertrag für Busfahrer:innen in privaten Busunternehmen neu verhandelt. In ihm geht es um Arbeitsbedingungen oder auch um Arbeitszeiten. Die Löhne werden in der ab Herbst beginnenden Lohnrunde verhandelt. Die Gespräche gestalten sich schwierig. „Die Arbeitgeberseite sagt uns immer, dass sie offen für Reformen ist, verlangt aber gleichzeitig Kostenneutralität“, sagt Gregor Stöhr. „Das kann sich aber niemals ausgehen.“

12-Stunden-Arbeitstage

Rund 200 private Busbetriebe gibt es in Österreich, die vor allem im ländlichen Raum und in den städtischen Außenbezirken Buslinien im Auftrag von Kommunen und Bundesländern betreiben. Die Arbeitsbedingungen sind oft haarsträubend, Zwölf-Stunden-Arbeitstage keine Seltenheit. „Wir fahren vier Stunden durch, dann haben wir eine halbe Stunde Pause. Meistens gibt es aber keine Pausenräume und keine sanitären Anlagen. Das bedeutet, dass die Fahrer:innen ihre Notdurft im öffentlichen Raum verrichten. „Das regt dann natürlich Passant:innen auf“, sagt Stöhr.

© Silke Müller

Im Zeitalter sozialer Medien kann das für die Fahrer:innen entwürdigende Konsequenzen haben. So kursieren im Internet von entrüsteten Passant:innen erstellte Videos von Fahrer:innen, die an einem Baum in der Nähe der Endhaltestelle ihrer Linie ihr Geschäft verrichten. Zusätzlich berichtet die Gewerkschaft vida davon, dass vor allem im Winter öfters Geldstrafen verhängt werden, weil Fahrer:innen während ihrer Pause zwecks Beheizung den Motor ihres Busses laufen lassen, um es warm zu haben. Das ist aber laut österreichischem Kraftfahrgesetz strafbar.

Klima bewegt

Dominik Kölbl ist von Beginn an bei „Wir fahren gemeinsam“ dabei. Kölbl ist außerdem bei der antikapitalistischen Klimagerechtigkeitsbewegung „System Change not Climate Change“ aktiv. „Ich verstehe die Klimabewegung als eine soziale Bewegung“, sagt Kölbl. „Und deshalb war es mir wichtig, über den bestehenden aktivistischen Bubble-Rand zu blicken. Wir möchten die Klimafrage und soziale Fragen zusammenbringen. Bei den Busfahrer:innen wird das sehr gut sichtbar. Ohne gute Arbeitsbedingungen für die Fahrer:innen funktioniert ein für den Klimaschutz nötiger Ausbau des öffentlichen Verkehrs nicht. Wir müssen über Arbeitsbedingungen reden. Wir müssen die betroffenen Personen einbeziehen. Wir müssen darüber reden, wie die Arbeitsplätze der Zukunft aussehen sollen.“

Dominik Kölbl bei einer Demonstration von "Wir fahren gemeinsam".
Für Dominik Kölbl von „System Chance not Climate Change“ ist die Klimafrage eine soziale Frage: Ohne bessere Arbeitsbedingungen
für Busfahrer:innen werde ein Ausbau der Öffis nicht gelingen. | © Markus Zahradnik

Gemeinsam stark

Aufgrund zahlreicher Einzelgespräche mit Busfahrer:innen, dem Herzstück der „Wir fahren gemeinsam“-Kampagne, hat Kölbl inzwischen einen detaillierten Einblick in deren Probleme und Arbeitsalltag bekommen. „Die Toilettenfrage ist in wirklich jedem Gespräch aufgekommen“, so Kölbl. „Aber auch die langen Arbeitszeiten waren immer wieder Thema. Viele haben erzählt, dass ihnen ein Privatleben deswegen nur mehr schwer möglich ist und sie zwischen ihren Schichten ihre Kinder gar nicht mehr zu Gesicht bekommen. Das ist mir sehr in Erinnerung geblieben.“

Zu Beginn habe es durchaus Vorbehalte seitens der Busfahrer:innen gegenüber den Klimaaktivist:innen gegeben. „Aber wir sind dann sehr schnell ins Gespräch gekommen“, erzählt Kölbl. Inzwischen gab es sogar eine eigene Demo von „Wir fahren gemeinsam“ in Wien, bei der ein Autobus der Gewerkschaft vida mitgefahren ist und Busfahrer:innen und Klimaaktivist:innen gemeinsam an der Spitze der Demo marschiert sind. „Das war ein voll starker Auftritt. Und auch die Arbeitgeberseite spürt inzwischen, dass wir da ein starkes Bündnis haben und wir gemeinsam handlungsfähig sind. Das hat sich auch bei den KV-Verhandlungen bemerkbar gemacht.“

Aha-Erlebnis

Auch Gregor Stöhr gesteht, anfangs nichts mit Klimaaktivismus anfangen haben zu können. Er habe auch von der Vorbild-Kampagne in Deutschland nichts mitbekommen, in den Medien sei darüber nicht berichtet worden. Aber als die jungen Klimaaktivist:innen auf der Betriebsrätekonferenz aufgetreten seien, sei das ein großes Aha-Erlebnis gewesen. „Beim Reden kommen die Menschen zusammen.“ Inzwischen ist er von den Aktivist:innen durchwegs begeistert. „Wir hatten bei den Kollektivvertragsverhandlungen immer das Problem, wie wir in die kleinen Betriebe reinkommen. Wenn wir einen Arbeitskampf führen wollen, müssen wir dafür möglichst viele Kolleg:innen erreichen. Das machen die Klimaaktivist:innen. Sie gehen zu den Bahnhöfen, reden mit den Fahrgästen und mit den Fahrer:innen. Das ist eine unschätzbare Arbeit von ‚System Change not Climate Change‘. Und was mich besonders begeistert, ist, dass die das ehrenamtlich machen.“

Für eine lebenswerte Zukunft

Neben der Forderung nach Pausenräumen und kürzeren Fahrzeiten wollen die Busfahrer:innen unter anderem auch eine bessere Anerkennung von Berufserfahrung und Vordienstzeiten. „Die Verträge für die Busfirmen laufen auf acht bis zehn Jahre“, sagt Gregor Stöhr. „Wenn danach ein anderes Busunternehmen die Ausschreibung für eine Busroute gewinnt, werden die Fahrer:innen zwar in der Regel übernommen, aber die Vordienstzeiten werden nicht angerechnet. Sie fangen wieder in einer niedrigen Gehaltsstufe an. Wir wollen schnellere Gehaltssprünge, Sonntagszuschläge und Verbesserungen bei den Nachtzuschlägen.“

Der durch die „Wir fahren gemeinsam“-Kampagne erzeugte Druck scheint eine erste Wirkung zu zeigen: Anfang Juni gab es Bewegung auf der Arbeitgeberseite. Die Busunternehmen stimmten unter anderem einer Anrechnung von Vordienstzeiten von maximal zehn Jahren zu. Für die Kampagne kann das zwar nicht mehr als ein kleiner Anfangserfolg sein, für die weitere Arbeit sieht man sich allerdings gut aufgestellt: Regelmäßige Aktivist:innentreffen wurden etabliert, an denen auch Fahrer:innen aus den Betrieben teilnehmen. Im Mai fand ein erstes Aktivist:innentreffen in Oberösterreich statt. „Ich danke den jungen Klimaaktivist:innen“, so das Fazit von Gregor Stöhr. „Ich weiß, wie trostlos es für junge Menschen aussieht. Wir atmen alle dieselbe Luft, und das Klima geht uns alle an. Busfahrer:in im öffentlichen Verkehr ist der grüne Job schlechthin. Ich will bessere Arbeitsbedingungen. Und ich will, dass meine drei Kinder eine lebenswerte Zukunft haben.“

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