Lena Karasz, Referentin in der Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien mit den Schwerpunkten Beihilfen- und Vergaberecht, Regulierung sowie EU-Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht, nennt ein Beispiel für so eine Vergabe: Ein öffentlicher Auftraggeber, zum Beispiel eine Gemeinde, vergibt einen Auftrag zum Bau einer neuen Volksschule und legt in der Ausschreibung fest, dass verpflichtend 30 Prozent der für den Auftrag eingesetzten Arbeitskräfte auf der Baustelle Langzeitarbeitslose sein sollen. Somit würde die Gemeinde zugleich eine Volksschule errichten und ein sozialpolitisches Ziel verfolgen.
[infogram id=“aandw-online-beschaffung-1hnq410kvwejp23?live“]Karasz schreibt auf dem A&W-Blog: „In dieser Situation könnte der Staat – ergänzend zu sonstigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen – nun auch seine Kaufkraft gezielt dazu verwenden, Arbeitsplätze zu schaffen. Enorme Effekte können am Arbeitsmarkt erreicht werden, wenn auch nur Teile des staatlichen Beschaffungsvolumens an beschäftigungspolitische Aspekte geknüpft würden.“ Fraglos wäre das ein bedeutender Hebel, denn Vergaben machen 18 Prozent des österreichischen BIP beziehungsweise knapp 62 Milliarden Euro aus – das ermittelte die TU Wien in der 2017 veröffentlichten Studie „Öffentliche Vergaben in Österreich“ im Auftrag des ANKÖ.
In dieser Situation könnte der Staat – ergänzend zu sonstigen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen – nun auch seine Kaufkraft gezielt dazu verwenden, Arbeitsplätze zu schaffen.
Lena Karasz, Ökonomin AK Wien
Auch David Hafner, Fachexperte für europapolitische Fragen im ÖGB-Europabüro, hält es für eine gute Idee, im Beschaffungswesen sozialpolitische Impulse zu setzen: „Es ist eine unserer langjährigen Forderungen, bei öffentlichen Vergaben nach dem Bestbieter prinzip auszuschreiben. Doch Österreich gehört leider zu den Ländern, wo eher das Billigstbieterprinzip gelebt wird.“ Österreich setzt somit kaum auf soziale Kriterien bei der öffentlichen Vergabe. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) führte im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich 2016 eine Studie zum Thema durch und erhob, welche Kriterien bei öffentlichen Vergaben in einigen mit Österreich vergleichbaren EU-Ländern besonders wichtig waren. In Österreich, Slowenien und Polen gibt es demnach eine sehr starke Preisgewichtung, während diese etwa in Italien, den Niederlanden, Großbritannien und Frankreich sehr niedrig ist, also andere Faktoren wichtiger als der Preis sind. Im Mittelfeld liegen Finnland, Deutschland und Schweden.
Österreich gehört leider zu den Ländern, wo eher das Billigstbieterprinzip gelebt wird.
David Hafner, Fachexperte für europapolitische Fragen im ÖGB-Europabüro
Die EU-Vergaberichtlinien bieten den Mitgliedsstaaten laut Hafner relativ viel Spielraum bei den Kriterien. Zwar sollen bei Vergaben Steuergelder sparsam und effizient eingesetzt werden, doch das bedeute nicht, dass Kaufentscheidungen ausschließlich aus betriebswirtschaftlichem Kalkül erfolgen müssen. In einem Erwägungsgrund zur aktuellen Vergabekoordinierungsrichtlinie der EU wird sogar das strategische Ziel der sozialen Integration benachteiligter Personen oder Angehöriger finanziell benachteiligter Gruppen betont. Nicht möglich ist allerdings, in einer Ausschreibung zum Beispiel nur Arbeitskräfte aus Österreich zu fordern – das wäre laut Hafner eine klare Diskriminierung.
Vergaberecht macht’s möglich
Zunächst geht es bei Vergaben natürlich nicht um Soziales, sondern um Fragen wie: Hat der Bieter die nötige Sachkunde? Ist er leistungsfähig? Gilt er als zuverlässig? Dass es aber möglich ist, darüber hinaus auch soziale Kriterien in öffentlichen Ausschreibungen zu erwähnen, zeigen zahlreiche Beispiele aus anderen Ländern. Insbesondere bei großen Vergaben, bei denen es um viel Geld geht, kommt es immer wieder vor, dass Unternehmen, die den Zuschlag für einen öffentlichen Auftrag nicht bekommen, vor Gericht gehen und die Entscheidung für die Konkurrenz anfechten. David Hafner: „Der EuGH hat in vielen Fällen gezeigt, dass es absolut möglich ist, etwa auf die Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen abzustellen.“
1988 entschied der EuGH etwa erstmals im wegweisenden Fall „Beentjes“, dass es zulässig war, die Vergabe eines Auftrags an die Bedingung zu knüpfen, dass eine bestimmte Anzahl der Arbeitskräfte, die eingesetzt wurden, Langzeitarbeitslose sein sollten. David Hafner verweist auf eine weitere Entscheidung des EuGH in Frankreich (Nord-Pas-de-Calais), wo ähnlich entschieden wurde. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass das Kriterium der Langzeitarbeitslosigkeit nur dann berücksichtigt werden darf, wenn zumindest zwei gleichwertige Angebote vorliegen. Hafner erklärt: „Bei der Begründung der Zuschlagsentscheidung soll angeführt werden: Unternehmen A und B sind geeignet, aber A setzt darüber hinaus Impulse am Arbeitsmarkt.“
Bei der Begründung der Zuschlagsentscheidung soll angeführt werden: Unternehmen A und B sind geeignet, aber A setzt darüber hinaus Impulse am Arbeitsmarkt.
Und was, wenn ein Bieter das Kriterium der Ausschreibung nach dem Einsatz Langzeitarbeitsloser erfüllt, aber viel teurer ist als ein anderer? David Hafner vermutet, dass der billigere Anbieter wohl vor Gericht gehen und die Entscheidung anfechten würde, wenn der teurere Anbieter den Zuschlag bekäme. Auch Kontrollorgane, wie etwa der Gemeinderat, könnten nachfragen, ob es nicht auch ein billigeres Angebot gegeben hätte.
Gute Argumente für Bestbieter
Und was steht einer breiteren Anwendung noch im Weg? Hafner: „Juristisch sind die Möglichkeiten geschaffen. Auch die EU hat nichts dagegen. Jetzt braucht es ein Umdenken und eine Änderung in der Kultur der Verwaltung.“ Der Wille scheint zumindest teilweise vorhanden zu sein. Das zeigt etwa die Tatsache, dass der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff) die Rechtsanwaltskanzlei Schramm Öhler 2019 mit einem Gutachten beauftragt hat, das untersuchte, inwiefern es zulässig ist, im Rahmen öffentlicher Aufträge die Bedingung zu stellen, Wiener Mindestsicherungsbezieher*innen einzustellen.
Hier geht es auch um eine regional eingeschränkte Gruppe, nämlich Wiener*innen. Dennoch bestehen laut Gutachten „gute Argumente für die rechtliche Zulässigkeit der ‚Wiener Mindestsicherungsklausel‘“. Beim waff begrüßt man die sozialintegrative Vergabe und hofft, dass der Vorstoß von AK und ÖGB Gehör findet.