Starke Bildungsvererbung unter Migrant*innen in Österreich
Dieser Umstand macht sich schon allein in der starken Bildungsvererbung unter Migrant*innen in Österreich bemerkbar. Nicht nur, dass Menschen aus der Türkei und Ex-Jugoslawien niedrigere Bildungslevels als Österreicher*innen aufweisen, sie geben diese auch wesentlich stärker an ihre Kinder und Enkel weiter als das Einheimische tun. In keiner anderen Gruppe ist die Bildungsmobilität so gering ausgeprägt wie unter jungen Erwachsenen der zweiten und dritten Generation türkischer und ex-jugoslawischer Einwanderer*innen – Millennial hin oder her. Haben ihre Eltern nur Pflichtschulabschluss, so schaffen 77 Prozent der Kinder ohne Migrationshintergrund, einen höheren Abschluss zu erlangen. Bei Kindern aus migrantischen Familien sind es nur 51 Prozent, wie die OECD-Studie Catching Up: Country Studies on Intergenerational Mobility and Children of Immigrants (für Österreich ausgearbeitet von Alyssa Schneebaum und Wilfried Altzinger, Wirtschaftsuniversität Wien) zeigt.
Haben ihre Eltern nur Pflichtschulabschluss, so schaffen 77 Prozent der Kinder ohne Migrationshintergrund, einen höheren Abschluss zu erlangen. Bei Kindern aus migrantischen Familien sind es nur 51 Prozent.
Damit liegt Österreich im traurigen Spitzenfeld: In fast allen OECD-Ländern ist unter Kindern von Migrant*innen die Bildungsmobilität stärker ausgeprägt als unter Einheimischen, da Migrant*innen im Durchschnitt niedrigere Bildungsabschlüsse haben und somit weiter aufsteigen können. So liegt im Vereinigten Königreich die Wahrscheinlichkeit für ein Kind mit Migrationshintergrund, einen höheren Bildungsabschluss als seine Eltern zu erreichen, bei satten 90 Prozent. Auch in Ländern wie der Schweiz, Deutschland und Luxemburg haben Jugendliche aus migrantischen Familien eine deutlich höhere Bildungsmobilität als Jugendliche aus einheimischen Familien, was sich vor allem durch das geringere Bildungsniveau der Eltern, aber auch durch hohe und dank politischer Rahmenbedingungen gut realisierbare Bildungsaspirationen der zweiten und dritten Generation erklären lässt.
50%ige Wahrscheinlichkeit, einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern zu erlangen
In Österreich hingegen ist die Bildungsmobilität von Jugendlichen mit Migrationshintergrund vergleichsweise gering: Sie haben eine weniger als 50%ige Wahrscheinlichkeit, einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern zu erlangen, was Österreich gemeinsam mit Estland und Litauen zum europäischen Schlusslicht macht. Zudem lässt sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen der Bildungsmobilität von migrantischen und einheimischen Jugendlichen feststellen.
Ganz besonders betroffen von dieser Schieflage sind junge Frauen mit Migrationshintergrund: Während Buben von niedrig qualifizierten Migrant*innen im Schnitt bessere Bildungsergebnisse erzielen als einheimische, verhält es sich bei Mädchen genau umgekehrt. 48 Prozent der einheimischen Mädchen aus niedrig qualifizierten Familien erreichen einen höheren Bildungsabschluss als ihre Väter, bei Mädchen mit Migrationshintergrund sind es nur 35 Prozent. Das kann kulturelle Gründe haben, aber auch mit der eher männlich dominierten Lehre in Österreich zusammenhängen, die für viele Buben aus migrantischen Familien eine wichtige Aufstiegschance darstellt.
Fehlende Bildungsmobilität unter Migrant*innen kein Generationeneffekt
Die Problematik der fehlenden Bildungsmobilität unter Migrant*innen ist aber weder ein Generationeneffekt noch singulären Ereignissen wie der Finanzkrise 2008 zuzuschreiben, sondern eine vererbte: Türkische Gastarbeiter, die Jahrzehnte am Bau gehackelt haben, um den Wirtschaftsaufschwung in Österreich (und somit das Vermögen der österreichischen Babyboomer) zu ermöglichen, haben die sprichwörtliche Party wohl nie von innen gesehen.
Noch mehr trifft das auf ihre Frauen zu, die nicht einmal als wertvolle Arbeitskräfte wahrgenommen wurden: Sie waren lediglich als „Anhängsel“ ihrer Männer geduldet und wurden dementsprechend stiefmütterlich von der (in weiten Teile nicht existenten) österreichischen Integrationspolitik behandelt, haben oft nie richtig Deutsch gelernt und blieben in weiten Teilen sozial wie beruflich isoliert. Dabei hängt die Bildung von Kindern mit Migrationshintergrund ganz wesentlich von jener ihrer Mütter ab, die eine wichtige Rolle als Multiplikatorinnen und Rollenvorbilder erfüllen. Im Bereich der Frauenintegration und -förderung hat Österreich leider vieles verabsäumt. Die Folgen davon schlagen sich nun in Form fehlender Bildungsperspektiven für eine ganze Generation junger Menschen mit Migrationshintergrund nieder.
Im Bereich der Frauenintegration und -förderung hat Österreich leider vieles verabsäumt. Die Folgen davon schlagen sich nun in Form fehlender Bildungsperspektiven für eine ganze Generation junger Menschen mit Migrationshintergrund nieder.
Die Gründe für die starke Vererbung fehlender Bildungs- und Aufstiegschancen sind vielfältig, liegen aber vor allem im frühzeitig und sozial segregierenden Schulsystem Österreichs, das sich konkret anhand dreier Trennlinien zeigt. Erstens im Vorschulalter, in welchem Kinder aus migrantischen Familien eine sechsfach niedrigere Wahrscheinlichkeit haben, einen Kindergarten zu besuchen, als Kinder ohne Migrationshintergrund. Zudem besuchen einheimische Kinder den Kindergarten im Schnitt länger als Kinder mit Migrationshintergrund, was nachweislich positive Effekte auf den späteren Bildungsverlauf hat.
Die zweite Trennlinie wartet im Alter von zehn Jahren, wenn sich Kinder zwischen dem Besuch einer AHS/BHS oder einer NMS entscheiden müssen: Schüler*innen mit türkischer Staatsbürgerschaft hatten im Jahr 2011 eine 68 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit als Österreicher*innen, eine AHS zu besuchen. Die letzte Trennlinie passiert man mit 15 Jahren, wenn sich Jugendliche für eine Berufsausbildung oder eine weiterführende Schule bzw. ein Studium entscheiden. Österreicher*innen haben eine etwa viermal so hohe Wahrscheinlichkeit, an die Universität zu gehen, als Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund.
Benachteiligende Verschränkung von Bildungschancen, Herkunft und sozioökonomischem Hintergrund
Anhand der zweiten und dritten Generation von Migrant*innen zeigt sich deutlich, dass die Generationenfrage in vielen Fällen eher eine Frage des sozialen Milieus und somit auch der (sozialen und ethnischen) Herkunft ist.
Anhand der zweiten und dritten Generation von Migrant*innen zeigt sich deutlich, dass die Generationenfrage in vielen Fällen eher eine Frage des sozialen Milieus und somit auch der (sozialen und ethnischen) Herkunft ist. Diejenigen unter uns, die dank ihrer in den 1950ern und 1960ern geborenen Eltern weit oben einsteigen, mögen sich zwar mit geringeren Aufstiegschancen, dafür aber grundsätzlich soliden Bedingungen für Bildungs- und Karriereweg (und nicht zuletzt den Aussichten auf ein gutes, weiterhin steuerfreies Erbe) konfrontiert sehen. Diejenigen aber, die ganz unten einsteigen und dort aller Voraussicht bleiben werden, hatten von vorherein eine statistisch sehr geringe Wahrscheinlichkeit, es nach oben zu schaffen – schon allein, weil für sie der Weg wesentlich weiter und steiniger ist.
In diesem Sinne haben Analysen eines angeblichen Babyboomer-vs.-Millennials-Konflikts einen wahren Kern: Die Vermögensverhältnisse in Österreich, aber auch in vielen vergleichbaren westeuropäischen Ländern sind stärker festgefahren als noch vor zehn Jahren.
Nicht nur in Österreich, auch international wird der Aufstieg in der Mittelschicht immer schwieriger. In den 1980er-Jahren gehörten noch 64 Prozent der Bevölkerung aller OECD-Länder der Mittelschicht an, heute sind es 61 Prozent (in Österreich immerhin noch 67 Prozent). Als Mittelschicht gelten Haushalte, deren Nettoeinkommen zwischen 70 und 200 Prozent des Medianeinkommens eines Landes liegt. Während auf globaler Ebene immer wieder stolz darauf hingewiesen wird, dass die ökonomische Ungleichheit zwischen den Ländern der Welt gesunken ist, so ist sie gleichzeitig innerhalb von Ländern gestiegen.
[infogram id=“aandw-online-zukunft-altjung-verdienstmobilitaet-1h1749m0v33q6zj?live“]Wie eine Studie im Auftrag des Sozialministeriums im letzten Jahr zeigte, schaffen nur 15 Prozent der Kinder aus Familien im niedrigsten Einkommenssegment den Aufstieg nach ganz oben. Gleichzeitig ist aber auch das Absturzrisiko für Kinder aus einkommensstarken Familien gesunken – privilegierte Millennials mögen es zwar wesentlich schwerer haben, aus eigener Kraft aufzusteigen, laufen aber auch weniger Gefahr, ins Bodenlose zu fallen. Wird man in eine Familie im höchsten Einkommenssegment geboren, so liegen die Chancen, dort auch als Erwachsener zu landen, bei immerhin 42 Prozent. Die Determinanten des sozialen Milieus werden deutlich sichtbar: Die Wahrscheinlichkeit für ein Kind aus einer Arbeiterfamilie, später einmal als Fach- oder Führungskraft tätig zu sein, ist 3,3-mal geringer als für Kinder von Eltern, die bereits selbst in diesen Positionen arbeiten. Und in Österreich sind nun einmal 43 Prozent aller Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund Arbeiter*innen.
Statt nach Generationen zu fragen, sollten wir uns also eher den altbekannten Faktoren von Klasse und Herkunft zuwenden und uns bewusst machen, dass es hierzulande nicht die Arbeit, sondern immer noch (und tatsächlich verstärkt) das bestehende Vermögen ist, das reich macht. Migrant*innen haben aus unterschiedlichen Gründen meist weniger davon und sind somit oft am stärksten von fehlenden Chancen und geringer sozialer Mobilität im Aufnahmeland betroffen. Die Tür zur Party bleibt somit über viele Generationen hinweg fest verschlossen.