Betriebsräte: Wie Unternehmen demokratische Mitbestimmung unterdrücken

Ein Fuß tritt auf eine Comicfigur mit einem roten Superheldencape. Symbolbild für die Unterdrückung von Betriebsräten in Unternehmen.
David gegen Goliath: Wenn betriebliche Mitbestimmung unterdrückt wird, hat das Konsequenzen für alle Mitarbeiter:innen. | © Adobestock/jozefmicic
Die Mürztaler Verkehrsgesellschaft will die Mitglieder des Betriebsrats loswerden. Ein außergewöhnlicher Fall – aber doch einer, der ein gutes Beispiel für die Unterdrückung demokratischer Strukturen im Betrieb ist.
Wer zwischen Bruck an der Mur und Kapfenberg unterwegs öffentlich unterwegs ist, kennt das MVG-Logo der Mürztaler Verkehrsgesellschaft. Ein wichtiger Faktor in der Region, sowohl für den heutzutage so wichtigen öffentlichen Verkehr, als auch für die lokale Wirtschaft. Doch hinter den Türen der Busse tobt ein Kampf zwischen dem Unternehmen und dem Betriebsrat. Im Epizentrum: Betriebsratsvorsitzender Martin C. Er sagt: „Man wollte schon die Betriebsratswahl manipulieren, der Geschäftsführer hat eine eigene Liste als Betriebsratsvertreter aufgestellt.“ Es ist eine Geschichte, wie demokratische betriebliche Mitbestimmung ausgebeutet und unterdrückt wird – und leider kein Einzelfall.

Betriebliche Mitbestimmung: Einer nach dem anderen

Martin C. ist eigentlich KFZ-Meister und seit 17 Jahren im Betrieb. Er wollte mitbestimmen, weil er registrierte, dass einige Dinge nicht passen. Trotz der widrigen Umstände wurde seine Liste mit ihm an der Spitze von den rund siebzig Arbeitern zu 73 Prozent zum Betriebsrat gewählt. „Wir haben viele Dinge angesprochen“, erzählt er. „Dienstpläne wurden von der Geschäftsleitung kurzfristig umgedreht, oder gar nicht zeitgemäß ausgehängt, Ruhezeiten waren zu kurz, Mitarbeiterstand wird bewusst niedrig gehalten. Wir als Betriebsrat haben solche Dinge angesprochen und wurden seitdem massiv unter Druck gesetzt.“

Um ein Betriebsratsmitglied kündigen zu können, muss sich das Unternehmen vom zuständigen Gericht die Erlaubnis holen. Man muss anzeigen, dass man das machen möchte und es gibt eine Verhandlung, beide Seiten legen dar. Erst wenn das Gericht dem zustimmt, kann ich kündigen. 

Martin Müller, Jurist beim ÖGB

Der stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats etwa wurde zuerst mit Beschwerden und Verwarnungen traktiert, dann mit großen Lohneinbußen in den Innendienst versetzt. Er ging. Ein anderer wurde gekündigt, weil er den Mundschutz angeblich, so C., kurz nicht getragen hat. Die Kündigung wurde gerichtlich zurückgenommen, am Ende gab es dennoch eine einvernehmliche Trennung, denn wer will unter solchen Umständen arbeiten? Ein drittes Betriebsratsmitglied arbeitete eigentlich nur halbtags, bekam stets Jahresverträge. Es konnte schlicht nicht mehr gearbeitet werden, als die Person in den Betriebsrat gewählt wurde, sah der neue Vertrag, mehr Stunden vor – das ging aus privaten Gründen aber nicht.

Rauswurf provozieren, betriebliche Mitbestimmung einschränken

Das Unternehmen hat die Werkstatt, in der C. arbeitete, augenscheinlich geschlossen und die Reparaturen in eine intern eingemietete Werkstätte auslagert. Viele Reparaturen werden weiterhin von den eigenen Mitarbeitern durchgeführt, nur unter einer anderen Arbeitsbetitelung, um eine Schließung der Werkstätte vorm Arbeitsgericht, glaubhaft zu machen. C. sollte Bus fahren, was aus gesundheitlichen Gründen aber nicht ging. „Sie haben 2022 im Krankenstand einen neuen Vertrag geschickt, dass ich nun Buslenker sei“, erinnert er sich. Dabei wusste die Firma schon vier Jahre lang, dass sein Gesundheitszustand das Lenken eines Busses mit dem langen Sitzen nicht zulässt. Das Bundessozialamt hatte ihm zudem schon 2019 einen Behindertenstatus zugestanden, der 2021 sogar unbefristet wurde.

Jemand sitzt an einem Buslenkrad. Vor ihm:ihr ist der Straßenverkehr zu sehen. Symbolbild für die MVG.
„Sie wollten mich dazu drängen, Bus zu fahren“, meint C., „aber ich kann nicht mit den Medikamenten acht Stunden und vielen Menschen herumfahren.“ | © Adobestock/polack

„Sie haben das ausgenutzt und wollten mich dazu drängen, Bus zu fahren“, meint er, „aber ich kann nicht mit den Medikamenten acht Stunden und vielen Menschen herumfahren.“ Ein Dilemma. Fährt C., während er die Medikamente nimmt, wäre er haftbar, wenn etwas passiert. Geht er zu oft in den Krankenstand, könnte die Firma eine Kündigung argumentieren. C. kämpft, aber „die Leute knicken verständlicherweise ein. Sie haben in meinem Fall eine Entlassung des Betriebsratsmitglieds eingereicht, weil ich immer wieder im Krankenstand bin und weil es meinen Arbeitsvertrag nicht mehr gibt. Wir haben in meinem Fall eine Feststellungsklage eingereicht. Ich habe ja einen gültigen Arbeitsvertrag, der neue gilt meiner Meinung nach nicht. Solange ich aber kein Urteil des Gerichts bekomme, riskiere ich eine Entlassung wegen Arbeitsverweigerung.“ Alle Vermittlungsversuche scheiterten bislang, die Verkehrsbetriebe wollen demokratische betriebliche Mitbestimmung offenbar unmöglich machen. Und damit sind sie nicht die einzigen.

Viele Verhinderungen

Die Vorgänge im Mürztal sind auch aus Gewerkschaftssicht außer-, aber im Grunde nicht ungewöhnlich. „Wir hatten von 7. April 2021 bis 2022 eine Betriebsräte-Kampagne, mit dem Ziel, 150 Betriebsräte neu zu gründen“, erzählt Richard Ondraschek, Referatsleiter beim ÖGB. „Es gibt immer wieder Betriebe, die alles Mögliche, teilweise auch sehr ‚kreativ‘ versuchen, die Gründung eines Betriebsrats zu verhindern.“ Etwa wie, siehe oben, durch eigene Listen oder einfach Kündigungen. Das wäre eine Motivkündigung: Du willst Betriebsratsmitglied sein, also setze ich dich vor die Türe. „Das kann man schon anfechten, aber in Wahrheit verliert man seinen Job“, meint er. Denn wenn das Arbeits- und Sozialgericht nach Monaten feststellt, dass es eine Motivkündigung war, dann wolle man kaum noch dort arbeiten. Doch einen Schritt zurück: Wie sind Betriebsratsmitglieder überhaupt geschützt?

ÖGB-Jurist Martin Müller präzisiert: „Der Betriebsrat ist ja eine Personengruppe und ein Mitglied kann man nicht einfach loswerden, da gibt es Schutzbestimmunen.“ Etwa das Benachteiligungsverbot. Man darf die Betriebsratsmitglieder nicht schlechter behandeln als andere Arbeitnehmer:innen in selber Position. Es gibt einen Versetzungsschutz und einen besonderen Kündigungsschutz, da der gerade erwähnte Motivkündigungsschutz ja für alle gelte: „Um ein Betriebsratsmitglied kündigen zu können, muss sich das Unternehmen vom zuständigen Gericht die Erlaubnis holen. Man muss anzeigen, dass man das machen möchte und es gibt eine Verhandlung, beide Seiten legen dar. Erst wenn das Gericht dem zustimmt, kann ich kündigen.“ Das geschehe eben davor, von sich aus könne man kein Betriebsratsmitglied kündigen.

Mehr Rechtssicherheit

Die Motivkündigung bei Betriebsrats-Gründung nachzuweisen, sei in der Praxis schwierig: „Für Kündigungen findet man schnell einen Grund. Das glaubhaft machen ist nicht immer ganz leicht.“ Die Möglichkeit eine BR-Gründung zu unterlaufen, sind mannigfaltig. Missstände aber aufzudecken, gestaltet sich eben schwierig. Das Arbeitsinspektorat kann nur dann sofort tätig werden, wenn offensichtlich Gefahr für Leib und Leben besteht. Ein indirekter Druck durch den Arbeitgeber, überbordende Dienstpläne und ungefähr alles, was hier bislang erwähnt wurde, führt eher selten zu echten, gerichtlich strafbare Konsequenzen.

Wie Leute teilweise ausgebeutet werden, da wähnt man sich im Mittelalter.

Richard Ondraschek, Referatsleiter beim ÖGB

Allerdings, so wieder Ondraschek, erlägen auch die Arbeitnehmer:innen quasi dem Präventionsparadoxon. Solange es keine Probleme gebe, sieht die Belegschaft wenig Grund, einen Betriebsrat neu zu gründen. „Das passiert oft erst, wenn es Brösel gibt.“ Ondraschek kann sich vorstellen, dass Unternehmen ab einer gewissen Größe verpflichtet werden, Betriebsräte einzurichten. Auch wenn Gründung und Prozedere durchaus kompliziert sind. Der Gesetzgeber könne auch mehr Straftatbestände einrichten, wenn Arbeitnehmer:innen ausgebeutet werden. Oder die Gründung eines Betriebsrats verhindert wird, die dann auch zu Konsequenzen für die Arbeitgeber führen. Es brauche eben betriebliche Mitbestimmung, denn der eingangs dargelegte Fall erinnert auch aus Ondrascheks Sicht an andere Zeiten: „Wie Leute teilweise ausgebeutet werden, da wähnt man sich im Mittelalter.“ Und am Ende schießen sich die Betriebe in die Knie, wenn sie demokratische betriebliche Mitbestimmung in Form eines Betriebsrats verhindern, wie Müller in anderen Worten abschließend erklärt: „In Unternehmen mit Betriebsrat sind Menschen zufriedener und verbleiben länger.“

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