Wer auf betreut.at nach Kinderbetreuung sucht, hat die Qual der Wahl: „29-jährige Nanny mit über 10 Jahren Berufserfahrung in Wien Ottakring“, „unternehmungslustige Leihomi in Wien Penzing“ oder „Wonder filipina nanny in Wien Simmering“. Um sich auf der Plattform als Babysitter:in zu profilieren, muss man viele persönliche Informationen teilen. 1.501 Profile bieten dort aktuell Kinderbetreuung im Raum Wien und Umgebung an.
Betreut.at: Sorgearbeit per Mausclick
Plattformvermittelte Sorgearbeit boomt. Kinderbetreuungsplätze sind in Österreich Mangelware, weshalb immer mehr Familien Kinderbetreuung über Plattformen suchen. Die Plattformen wiederum bieten niederschwelligen und unbürokratischen Zugang zu Arbeit für Arbeitssuchende. Was zunächst nach einer „win-win“-Situation klingt, reproduziert prekäre Arbeitsverhältnisse und gesellschaftliche Ungleichheit. Zu dem Schluss kommen die Autorinnen Sabine Köszegi und Laura Vogel in ihrer Fallstudie zu Kinderbetreuung über betreut.at.
Mehr als 90 Prozent der Profile, die auf betreut.at Kinderbetreuung anbieten, sind Frauen. Das deckt sich auch mit der bisherigen Forschung zu plattformvermittelter Sorgearbeit. Es sind mehrheitlich Frauen, die in anderen Haushalten kochen, putzen, waschen, Nachhilfe geben, sich um ältere Personen oder in dem Fall um die Kinder kümmern. In der Debatte um Plattformarbeit bleiben sie aber oft unsichtbar. Während Essenslieferant:innen mit bunten Rucksäcken das Stadtbild prägen, findet Care-Arbeit in privaten Haushalten statt.
Unsichtbar, informell, prekär
Die meisten interviewten Personen arbeiten zwischen acht und 15 Stunden wöchentlich, meist für mehrere Familien. Ähnlich wie bei manchen Essenslieferant:innen müssen sie selbst für den Arbeitsvertrag und gute Rahmenbedingungen sorgen. Die Plattform übernimmt hier keine Verantwortung. Der Großteil der Kinderbetreuung findet deshalb informell statt, Arbeitsverträge existieren höchstens mündlich. Das begünstigt Ausbeutung.
Eine Arbeitnehmerin berichtete von unrechtmäßiger Kündigung und fehlender Bezahlung. Bei der Plattform seine Rechte einzuklagen ist kein leichtes Unterfangen. Weil es keine Niederlassung in Österreich gibt, muss man vor ein deutsches Gericht ziehen. Die Betroffene versucht jetzt nur noch formelle Arbeitsverhältnisse einzugehen, was ihr die Plattform aber erschwert. „Fast 70 Prozent wollen es nur schwarz“, sagt sie. Sie beklagt die fehlende soziale Absicherung und die Nachteile für ihre Pensionsansprüche. Für Frauen, die ohnehin schon vom Gender-Pension-Gap betroffen sind, ist das besonders fatal. Die Voreinstellungen der Plattform verschärfen die Lage. Eine andere Frau merkte kritisch an, dass die Plattformempfehlungen der Stundensätze (acht Euro zum Zeitpunkt ihrer Registrierung) zu niedrig seien.
Der private Kontext, in dem die Arbeit verrichtet wird, begünstigt Belästigung und Gewalt. „Wir waren überrascht, wie oft das Thema in den Interviews aufkam“, erklärt Vogel. Die Schilderungen reichten von unerwünschten Anrufen bis zu sexuellen Übergriffen durch die Kund:innen. Wer keine erlebt hat, berichtet davor Angst zu haben. Migrantische und rassifizierte Frauen betreffe das laut Vogel besonders: „Eine ältere Frau aus Osteuropa hat berichtet, dass sie angefragt wurde, nachts zu putzen“. Die Plattform bietet hier kaum Schutz.
Strukturelle Ungleichheiten ebnen Weg in die Plattformarbeit
Nicht alle Plattformarbeiterinnen sind gleich von den Folgen der informellen Arbeit betroffen. Wer anderweitig sozialversichert ist und neben dem Studium, der Pension oder Teilzeitanstellung babysittet, stört sich weniger an der Informalität. „Diese Art der Plattform profitiert davon, dass Leute anderswo sozial abgesichert sind“, sagt Vogel. Zugleich sind soziale Ungleichheiten oft der Grund, wieso sich die Frauen überhaupt erst auf die Plattformen einlassen. Sogenannte Leihomas wollen über betreut.at ihre Pension aufbessern, und Frauen aus Drittstaaten, deren Studium nicht anerkannt wurde, haben oft kaum Zugang zum formellen Arbeitsmarkt. Eine Betroffene sagt: „Deswegen mache ich, was die Österreicher oder die Menschen aus der EU nicht machen wollen.“
Was bei migrantischen Arbeiterinnen zudem auffällt: Sie haben die niedrigsten Stundensätze. Auf Nachfrage meint eine Befragte, dass zehn Euro pro Stunde „für Ausländerinnen nicht so wenig“ sei. Österreicherinnen ohne Migrationsbiografie hätten hier laut Vogel ein anderes Selbstbewusstsein. Außerdem begünstige die Plattform ein diskriminierendes Auswahlverfahren der Kund:innen, etwa durch die Anzeige von Muttersprache und Profilbild.
Betreut.at: Ein Beitrag zur Care-Krise?
Hinter der Diskussion um faire Arbeitsbedingungen in der plattformvermittelten Sorgearbeit steht eine wichtige gesellschaftliche Frage: Wer übernimmt die Sorgearbeit, wenn Eltern immer mehr arbeiten müssen? Die Erwerbstätigkeit von Frauen, die bisher den Großteil der unbezahlten Sorgearbeit geleistet haben, nimmt zu. Gleichzeitig gibt es aber nicht genügend geeignete Betreuungsplätze. Plattformarbeiter:innen sollen diese Lücke füllen und damit die Care-Krise und den Pflegenotstand lösen, die die Politik bisher ignoriert hat. Forscher:innen sind allerdings der Meinung, dass die Krise dadurch nicht entschärft, sondern nur verschoben wird.
„Vier von zehn Eltern bereiten die Sommerferien Schwierigkeiten“, sagt #AK Bildungsexpertin @ElkeLarcher. „Eine Woche sind die Kinder in einer öffentlichen Betreuung, eine Woche im privaten Feriencamp, eine Woche sind sie unbetreut und sechs Wochen sind sie im Familienverband.“ pic.twitter.com/KpvI3XaIhn
— AK Österreich (@Arbeiterkammer) June 21, 2024
„Hier zeigt sich, wie berufstätige Frauen aus der Mittelschicht die Betreuung an andere, teils migrantische Frauen auslagern, wenn das institutionelle Angebot fehlt“, sagt Vogel. Eine gesellschaftliche Diskussion darüber, wer die Sorgearbeit übernimmt und zu welchem Preis, sei notwendig.
Solange die Care-Frage ungelöst bleibt, schlagen Plattformen ihr Kapital daraus: Aktuell gestalten die Plattformen die Jobchancen und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerinnen. Deshalb braucht es laut Vogel dringend Regulierungen, die Plattformen zu besseren Standards zwingen. Die neue EU-Richtlinie, über die man sich vorläufig geeinigt hat, ist zumindest ein erster Schritt. Auch benötigen Plattformarbeitende Räume zur politischen Vernetzung: Gewerkschaften sollten Plattformarbeitenden mehr Sichtbarkeit und Aufklärung über ihre Rechte bieten. Eine Zusammenarbeit von AK und ÖGB mit dem Gig-Clean-Forschungsteam um Soziologin Laura Wiesböck zeigt, wie es funktionieren kann. Gemeinsam wurde eine Webseite in mehreren Sprachen erstellt, die plattformvermittelten Reinigungskräften zu arbeitsrechtlichen Fragen konsultieren können.
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