Behinderung und Arbeitsmarkt: Anerkennung, wo bist du?

Eine Verkäuferin mit Trisomie 21 geht mit einem Tablet in der Hand durch den Bestand eines Bekleidungsgeschäfts.
Die Arbeitsleistung von Menschen mit Behinderung wird oft nicht anerkannt. | © Adobestock/Krakenimages.com
Mehr als 1,3 Millionen Menschen ab 15 Jahren sind in Österreich laut Statistik Austria dauerhaft eingeschränkt. Die Herausforderungen für diese Gruppe sind vielfältig und auf dem Arbeitsmarkt sind nicht alle Unternehmen willens, die Potenziale zu nutzen.
Man stelle sich vor, man geht arbeiten und bekommt keinen Lohn oder kein Gehalt, sondern „Taschengeld“. Was auf dem ersten Blick surreal wirkt, ist aber Realität. Für Menschen mit Behinderung, die in einer Werkstätte arbeiten, sieht die Entlohnung nämlich nur ein „Taschengeld“ vor. Dieses reicht oft nicht aus, um davon leben zu können und deshalb sind Betroffene weiterhin zusätzlich auf Leistungen der Behinderten- und Sozialhilfe der Länder angewiesen und das häufig ein Leben lang.

Menschen mit Behinderung: Anerkennung gesucht

Neben dem fehlenden Aspekt einer fairen Entlohnung und dem damit verbundenen Einzahlen in die Arbeitslosenversicherung fehlt die Anerkennung der erbrachten Arbeitsleistung. Denn wer arbeitet, der sollte auch ein Einkommen bekommen und Anspruch auf Arbeitslosengeld und Pension haben.

„Durch das ‚Taschengeld‘ ergibt sich eine lebenslange Abhängigkeit von Sozialleistungen und den eigenen Eltern. Diese Menschen können nicht in Pension oder auf Urlaub gehen und der Arbeitnehmer:innen-Schutz gilt für sie nicht. Es braucht ein Gehalt für diese Personen und eine damit verbundene Einbeziehung in die Sozialversicherung und Anwendung des Arbeitsrechts“ sagt Patrick Berger, Leiter des „Chancen Nutzen“-Büros im ÖGB.

Arbeitsmarkt ist nicht gleich Arbeitsmarkt

Viele Menschen, die in Werkstätten arbeiten, trauen sich zu auf den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln, auf dem sie genau diese Dinge erwarten würden. Wenn vom etwas unglücklichen Begriff des ersten Arbeitsmarkts gesprochen wird, dann meint das den regulären Arbeitsmarkt und mit dem ebenfalls unglücklichen Begriff des zweiten Arbeitsmarktes sind geschützte Arbeitsplätze gemeint, wie beispielsweise jene in Werkstätten von Trägerorganisationen wie Caritas oder Lebenshilfe.

Ein Mann mit Sehbehinderung arbeitet an einem PC. Symbolbild für das Arbeiten von Menschen mit Behinderung
Die Arbeitsplatzausstattung, die hochgradig sehbehinderte Menschen brauchen, wird durch den Sozialministeriumservice (SMS) finanziert. | © Ludwig Schedl / Hilfsgemeinschaft der Blinden und Sehschwachen Österreichs

Eine Umfrage der Caritas aus dem Vorjahr zeigt, dass von den 218 befragten Personen mit Lernschwächen und/oder Mehrfachbeeinträchtigungen sich 60 Prozent einen Wechsel auf den ersten Arbeitsmarkt vorstellen können und besonders junge Menschen unter 30 Jahren würden einem Wechsel äußerst positiv gegenüberstehen. „Die Politik hat geeignete Rahmenbedingungen, welche die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ermöglicht, zu schaffen. Es braucht Unterstützungsmaßnahmen sowohl für die Arbeitnehmer:innen mit Behinderung, als auch für die Arbeitgeber:innen“, so Berger.

Ein ganz normaler Supermarkt

Eine gemeinsame Initiative von Caritas und dem Lebensmitteleinzelhändler SPAR hat sich zum Ziel gesetzt, die Vermittlung jener Menschen zu fördern, bei denen Unternehmen Hemmnisse hinsichtlich der Anstellung haben. Mit der 2016 gegründeten gemeinnützigen Perspektive Handel Caritas gGmbH unterstützt man die Integrationen in den regulären Arbeitsmarkt in Form einer Lehrausbildung oder Teilqualifizierungslehre. „Insgesamt betrieben wir in Oberösterreich, Niederösterreich und Kärnten acht eigene Märkte und haben eine sehr enge Zusammenarbeit mit zwei Märkten der Caritas in Wien“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Scheidl. Die Perspektive bietet aktuell 29 Lehrlingen mit Behinderungen eine Lehrstelle.

Gerade große Unternehmen haben über
alle Branchen hinweg innerbetrieblich die Möglichkeit,
einen Arbeitsplatz für einen Menschen mit Behinderung
zu schaffen und daher sind wir ganz strikt
gegen eine Änderung der Pflichtzahl.

Patrick Berger, Leiter des „Chancen Nutzen“-Büros im ÖGB

„Ich mache eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und arbeite dabei in allen Bereichen, die es im SPAR-Markt gibt. In der Feinkost, im Frischebereich, im Trockensortiment und auch an der Kasse“, sagt der 19-jährige Fabio H. Dass Fabio von dem Projekt erfahren hat, ist der Teilnahme am Projekt „Chance Metall“ der Caritas geschuldet. Dort erfuhr er von der Kursleitung, dass es die Perspektive Handel gibt. Somit wechselte Fabio von einer möglichen Ausbildung im Metallbereich in den Einzelhandel und fühlt sich dort sehr wohl.

„Ich arbeite in einem ganz normalen SPAR-Markt, der sich nicht von anderen SPAR-Märkten unterscheidet“, so Fabio. Die Kooperation zwischen Caritas und SPAR findet er daher sehr gut. Bei Anliegen oder Problemen haben die Lehrlinge außerdem mehrere Ansprechpartner:innen. „Für die Jugendlichen gibt es einen Jugendvertrauensrat und alle Personen werden bei uns von Sozialpädagog:innen begleitet“, bestätigt Scheidl.

Arbeitsplätze schaffen

Doch viele Unternehmen nutzen das Potenzial von Menschen mit Behinderungen nicht oder geben ihnen erst gar nicht die Chance dazu, weil sie lieber eine Ausgleichstaxe in Fonds für die berufliche Förderung von Inklusion zahlen, als eine solche Person einzustellen. Die Höhe der Taxe liegt aktuell bei 292 Euro monatlich, jedoch trifft sie nur eine geringe Zahl an Unternehmen, denn erst ab 25 Dienstnehmer:innen:innen, muss ein:e begünstigte:r behinderte Arbeitnerhmer:in eingestellt werden. Die Wirtschaftskammer (WKO) fordert aber für bestimmte Branchen eine Lockerung auf 1:40.

„Schon jetzt betrifft die Ausgleichstaxe nur ungefähr drei Prozent der Unternehmen, da wir ein Land der Klein- und Mittelunternehmen (KMU) sind. Gerade große Unternehmen haben über alle Branchen hinweg innerbetrieblich die Möglichkeit, einen Arbeitsplatz für einen Menschen mit Behinderung zu schaffen und daher sind wir ganz strikt gegen eine Änderung der Pflichtzahl“, sagt Berger. Der Experte sieht auch die Ausgleichstaxe als wenig sinnvoll an und schlägt als Alternative dazu eine allgemeine Abgabe für alle Unternehmen vor. „Somit würde der Staat mehr Geld einnehmen und könnte damit die Einstellung von Menschen mit Behinderungen beispielsweise bei KMUs stärker monetär belohnen“, so Berger.

Chancen bieten

Nicht alle Unternehmen haben aber einen offenen Zugang zum Thema Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt, genau den braucht es jedoch laut Berger. „Das und die Bereitschaft der Unternehmen sich Unterstützung zu holen und Arbeitnehmer:innen mit einer Behinderung eine Chance anzubieten, benötigt es“ so der Leiter des „Chancen-Nutzen“-Büros.

Einer der auf dem ersten Arbeitsmarkt angekommen ist und dort seine Lehre mit viel Freude absolviert ist Fabio, und der 19-Jährige weiß auch bereits wie es nach der Ausbildung weitergehen soll. Gefragt nach seinen beruflichen Zielen meint Fabio: „Ich möchte im Einzelhandel, bei SPAR, bleiben und dort Karriere machen!“

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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