Die Rechnung bezahlen am Ende also die Mieter:innen, und zwar doppelt. Einmal tatsächlich für Strom und Gas und ein zweites Mal nach der nächsten indexbasierten Mietpreiserhöhung, also per Anfang April 2023 – „so sind Vermieter:innen die uneingeschränkten Nutznießer:innen“, kritisiert Schuberth. Die Mieter:innen sind überwiegend bei den unteren Einkommen zu finden, während das Gros der Mieteinnahmen an die Top-Verdiener:innen bzw. Top-Vermögenden geht. Fast jede:r zweite Mieter:in empfindet die Situation laut einer Umfrage als belastend.
Mediterran mieten
Die Volkswirtin Schuberth plädiert für eine Beschränkung der Mieterhöhungen nach spanischem, portugiesischem bzw. französischem Vorbild: Mietpreiserhöhungen sind auf der Iberischen Halbinsel mit 2 Prozent und in Frankreich mit 3,5 Prozent gedeckelt. Solange die Inflationsrate so hoch ist, so Schuberth, sollten die Mieterhöhungen überhaupt ausgesetzt werden. Das würde auch die Inflationsrate senken. In Österreich allerdings wurden Richtwertmieten per 1. April 2023 um 8,6 Prozent erhöht.
Mietrecht: Es tut sich nichts
Das Mietrechtsgesetzt (MRG) stammt aus dem Jahr 1981. Und es muss dringend reformiert werden. Da sind sich Interessen- und Standesvertreter:innen, aber auch viele Politiker:innen einig.
Im Programm der Regierung Kurz aus dem Jahr 2020 heißt es dazu: „Bei der Novellierung des Mietrechts sollen folgende Ziele Berücksichtigung finden: [t]ransparentes, nachvollziehbares Mietrecht …, [h]ohe Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzbarkeit …, [t]ransparente Preisbildung, die zu einem leistbaren Mietpreis für die Mieterinnen und Mieter führt …, [d]as Mietrecht soll attraktiviert werden, um Ökologisierung zu forcieren.“
Vermieter:innen bezahlen
zwar keine Energiekosten, aber sie profitieren
von jeder Mietpreisanpassung.
Helene Schuberth, Ökonomin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB)
Nach gut drei Jahren Koalitionsarbeit der ÖVP-Grünen-Regierung hat Justizministerin Alma Zadić im Vorjahr Aktivitäten angekündigt, aber „es tut sich nichts“, wie es aus der für Mietrecht zuständigen Abteilung II im Justizministerium heißt.
Selbst für Spezialisten kaum zu überschauen
Dabei besteht dringender Handlungsbedarf. Denn das Mietrecht ist „auch für Spezialisten kaum zu überschauen …, geschweige denn für normale Mieter oder Vermieter. Mietvertragsstreitigkeiten und permanente Reformen im Detail sind an der Tagesordnung.“ Zu diesem Urteil kommen zwei deutsche Studienautoren in ihrer wohnungspolitischen Analyse Wiens.
Aber auch für österreichische Jurist:innen ist das Gesetz „wahnsinnig kompliziert“, denn „der Teufel steckt im Detail“. Und in jedem Mietvertrag „finden sich gesetzwidrige Klauseln“, sagt Walter Rosifka, Mietrechtsexperte der Arbeiterkammer Wien (AK), im Gespräch mit A&W. Besonders krasse Mietverträge enthalten nach seiner Analyse „mehr als 70 rechtswidrige Klauseln“, in einem besonders schlimmen Fall habe er 118 ungesetzliche Klauseln in nur einem Vertrag gefunden.
Richterliches Urteil
Bei jeder zweiten bei Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeit dauern die Verfahren inklusive Gutachten und Prozess viele Jahre und kosten oft viele Tausend Euro. Und wie skurril die Situation immer wieder einmal sein kann, beschreibt Rosifka anhand eines Beispiels: „Nicht einmal Gerichte kommen in ein und derselben Causa zum selben Ergebnis“, schildert er und zitiert einen Fall, bei dem drei Gerichte bei ein und derselben Wohnung und nach demselben Gesetz zu drei unterschiedlichen Mietpreisen gekommen sind: „Im Mietvertrag war eine Miete von 604 Euro festgesetzt. Im ersten Verfahren hat das Bezirksgericht eine Miete von nur 459 Euro für zulässig erklärt, in zweiter Instanz hat das Landesgericht eine Miethöhe von 547 Euro festgesetzt, und am Ende hat der Oberste Gerichtshof eine Miete von 481 Euro für zulässig erklärt.“ Die Gerichtsurteile lagen um fast 20 Prozent auseinander.
Wir brauchen ein für alle
einheitliches Mitrechtsgesetz,
das für sämtliche Räume gilt.
Walter Rosifka, Mietrechtsexperte der Arbeiterkammer Wien
Das ärgert nicht nur Mieter:innen und Vermieter:innen, sondern am Ende auch Richter:innen, weil zum Beispiel nicht klar ist, welcher Teil des Mietrechtsgesetzes anwendbar ist oder nicht. Sabine Matejka, Präsidentin der Richtervereinigung: „Natürlich wäre eine Reform des Mietrechts angesagt. Es gab in den vergangenen Jahren viele Vorschläge aus Fachkreisen der Justiz. Das war aber alles politisch nicht umsetzbar, weil sich die verschiedenen Interessengruppen der Vermieter:innen und Mieter:innen am Ende nicht einigen konnten.“ Als nur ein Beispiel nennt sie die Mietzinsbildung: „Das Gesetz mit den vielen Zu- und Abschlägen einfacher zu gestalten wäre sicher sinnvoll.“
Wunsch nach dem großen Wurf im Mietrecht
Der Verband der Immobilientreuhänder forderte 2012 ein „zukunftstaugliches Mietrecht“ ein und stellte laut der Tageszeitung „Der Standard“ dafür auch Zugeständnisse in Aussicht. Und Wolfgang Brandstetter unternahm als Justizminister 2014 einen Versuch für ein neues Mietrecht. Er wollte einen „großen Wurf“, scheiterte aber, wie alle vor und auch nach ihm.
Rosifka bringt die Wünsche vieler auf den Punkt: „Wir brauchen ein für alle einheitliches Mietrechtsgesetz, das für sämtliche Räume gilt“, sagt er, also gleichermaßen für Zinshäuser aus dem Jahr 1910 wie für Mietskasernen der 1930er-Jahre, Bauten der 1950er- und 1960er-Jahre und auch für Neubauten.
Ziel ist ein transparentes und leicht verständliches Gesetz, sozusagen ein neues, zukunftstaugliches Mietrechtsgesetz 2024. Es soll aus Sicht der Mieter:innen leistbares Wohnen sichern und aus Sicht der Vermieter:innen Rechts- und Planungssicherheit bieten, um die Erhaltung der Häuser sicherzustellen.
Ein Mietvertrag soll in 15 Minuten ausgefüllt, durchgelesen und verstanden werden können, so lautete immer wieder ein Versprechen der Politik. Die Miethöhe sollte sich am Medianeinkommen orientieren. Mit so einem neuen Mietrechtsgesetz sollten alle Rechtsunsicherheiten und Zersplitterungen der Vergangenheit beseitigt sein.
Wie so ein erster Entwurf aussehen könnte, wurde vor acht Jahren in Form eines Universalmietrechtsgesetzes der Öffentlichkeit vorgesellt. Vier Jahre später wurde dazu im Parlament ein Initiativantrag der SPÖ gestellt. Doch auch dieser Vorschlag ist durchgefallen. „Damals diskutierten die Parteien den Antrag im Nationalrat nur sehr oberflächlich“, wie sich Rosifka erinnert, „die ÖVP hat über das Universalmietrecht nie wirklich ernsthaft verhandelt.“
Was ist jetzt zu tun?
„Das Gesetz muss einfach neu geschrieben werden“, sagt der AK-Experte. Es gibt natürlich Grundthemen, die sich immer wieder in den Gesetzen finden: Kaution, Erhaltungspflichten, Duldungspflichten, Miethöhe, Betriebskosten oder Kündigungsgründe.
Was im Gesetz grundlegend anders geregelt werden muss, ist das Thema Befristung. Nur Privatpersonen sollten befristet vermieten dürfen und nur maximal eine Wohnung. Oder es wird geregelt wie in Deutschland, wo nur noch aus triftigem Grund befristet vermietet werden darf. Zum Beispiel auf 14 Jahre, weil Eltern ihre Eigentumswohnung danach für ihr dann großjähriges Kind verwenden wollen. „Das wäre ein qualifizierter Zeitmietvertrag nach deutschem Vorbild“, beschreibt Rosifka.
Was schon jetzt im Gesetz stehe, aber oft einfach ignoriert werde, seien Erhaltungs- und Verbesserungspflichten der Vermieter:innen, wie etwa das Anschließen des Hauses an die Fernwärme. Sobald eine ausreichende Mietzinsreserve vorhanden sei, „müssen Hauseigentümer:innen das Haus verbessern. Es kümmert sich derzeit nur niemand darum“, sagt Rosifka. Diesen geltenden Passus will er zum Beispiel auch in das neue Gesetz übernehmen. Der soll dann für alle Mietwohnungen gelten.
Auch Mietzinsbegrenzungen müssten laut dem AK-Experten fast überall gelten: „Diese müssen sich an einem Grundbetrag orientieren, mit klar definierten und begrenzten Zuschlagsmöglichkeiten.“ Und eine neue mietrechtliche Normwohnung muss im neuen Gesetz sehr viel besser und genauer beschrieben werde, als das derzeit für Richtwertmieten der Fall ist (siehe weiter unten).
Komplexer Status quo im Mietrecht
Wie komplex ist das MRG wirklich? Ein kurzer Abriss soll das darlegen: In Österreich gibt es rund 1,7 Millionen Wohnungsmietverträge. Davon sind 700.000 Verträge von Genossenschaften. Die restliche Million setzt sich so zusammen: 500.000 sogenannte freie Mieten, die nicht preisgedeckelt sind, der Rest sind 130.000 Kategorie- und 370.000 Richtwertmieten.
Das Gesetz muss einfach
neu geschrieben werden.
Walter Rosifka, Mietrechtsexperte der Arbeiterkammer Wien
Kategoriemieten gelten für Altbaumieter:innen. Die Verträge sind hauptsächlich zwischen 1. Jänner 1982 und 28. Februar 1994 abgeschlossen worden, bestehen also seit mindestens 29 Jahren. Der Mietzins der Kategoriemietverträge ist an den Verbraucherpreisindex 2000 gekoppelt. Eine Mietzinserhöhung ist immer mit einer Verlautbarung durch das Justizministerium verbunden. Auslöser für eine Kategoriemietzins-Erhöhung ist eine Inflation von 5 Prozent seit der letzten Anpassung. Der Basismietzins in Kategoriewohnungen liegt im März 2023 bei 4,23 Euro je Quadratmeter, die Kategorie B liegt bei 3,18 Euro, C bei 2,12 Euro und D bei 1,06 Euro.
Normwohnung
2022 sind diese Mietverträge gleich dreimal erhöht worden: im April, im Juni und erneut im November um jeweils fast 5,5 Prozent. Die Mieter:innen zahlen damit nun um 17,5 Prozent mehr Miete als noch 2021.
Seit dem 1. März 1994 gelten die Richtwerte für die Berechnung von Mieten. Für die Richtwertmieten wurde eine sogenannte Normwohnung erfunden. Diese entspricht einer mindestens 30 Quadratmeter großen Kategorie-A-Wohnung mit Zimmer, Küche, Bad, WC, Vorraum und Zentralheizung. Allerdings gemessen an einer Zeit praktisch ohne Telefone, Gegensprechanlagen oder Waschmaschinenanschlüsse, wofür daher Zuschläge verrechnet werden.
Um saftige 8,6 % sind die Richtwertmieten für Altbauten im April für neue Mietverträge gestiegen. Im Mai folgen dann die Mieten für bestehende Verträge und schnalzen in die Höhe. Wer kann sich das noch leisten? Eine berechtigte Fragen auf @AundW 👇https://t.co/viR5nx0LpV
— AK Österreich (@Arbeiterkammer) April 12, 2023
Alle zwei Jahre und wieder zum 1. April 2023 wird der Richtwert an die Inflation angepasst. Auch hier verlautbart das Justizministerium die neuen Werte. Da der Richtwert auf Basis der geförderten Baukosten berechnet wird, hat er in jedem Bundesland eine andere Höhe.
Dazu kommen zum Beispiel Lage- und andere Zuschläge. Letztere errechnen sich aus den Grundstückskosten. Ob sie verlangt werden dürfen, hängt etwa davon ab, ob Gebäude in einer Gegend stehen, die über- bzw. unterdurchschnittlich gelegen ist. Damit sollte bis zu einem gewissen Grad der sogenannte freie Wohnungsmarkt mitberücksichtigt werden. Hauptargument der Vermieter:innen: Ein Grundstück am Wiener Gürtel hat einen anderen Wert als eines in einem Villenviertel.