Autor:in – Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

Foto (C) ÖGB-Verlag | Michael Mazohl

Interview: Entwürdigendes Signal

Arbeitsmarktexpertin Judith Pühringer sieht im Ende der Aktion 20.000 eine vergebene Chance, älteren Langzeitarbeitslosen Perspektiven zu eröffnen und wertvolle Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Abschaffung der Notstandshilfe wäre ein "völliger Bruch" mit dem bisherigen System mit allen nachteiligen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und die Menschen.

Standpunkt: Nicht erst als Druckmittel gut

Standpunkt: Nicht erst als Druckmittel gut

Im Schlimmsten Fall müssen wir halt einen Betriebsrat gründen. Dieser Satz eines Bekannten von mir hallte noch eine ganze Weile in meinem Kopf nach: der Betriebsrat als Druckmittel gegen die Firmenleitung.

Standpunkt: Unwürdiges Gezerre um das Mindeste

Standpunkt: Unwürdiges Gezerre um das Mindeste

Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit & Wirtschaft
m kaum etwas gibt es im Moment so viel Gezerre wie darum, was wohl das „Mindeste“ ist: Die Mindestsicherung soll gekürzt werden bzw. wurde es in manchen Bundesländern bereits. Eines der Argumente, die bei der Kürzung von Sozialleistungen wie dieser immer wieder vorgebracht werden, lautet: Es muss sich für die Menschen lohnen, arbeiten zu gehen. Allzu vorschnell wird daraus der Schluss gezogen, dass deshalb Sozialleistungen gekürzt werden müssten. Doch man könnte die Argumentation auch umdrehen – und sollte dies auch tun: Die Löhne und Gehälter müssen steigen, damit es sich für die Menschen lohnt, arbeiten zu gehen.
Knapp über der Armutsschwelle
Im Übrigen sollte man auch den Arbeitsmarkt nicht außer Betracht lassen. So hat sich die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen seit 2008 mehr als verdreifacht. Es ist also geradezu zynisch, wenn man die Kürzung von Sozialleistungen damit begründet, dies sei ein Anreiz zur Arbeit – wenn viele Menschen deshalb nicht arbeiten, weil sie keinen Job finden, und nicht, weil sie dies so wollten. Aber das nur nebenbei bemerkt. Momentan wird heiß über den Mindestlohn diskutiert, 1.500 Euro soll dieser in Österreich ausmachen, wurde von Bundeskanzler Christian Kern als Ziel formuliert. Mit einem solchen Mindestlohn kommen ArbeitnehmerInnen auf 1.200 Euro netto. Zum Vergleich: Die Schwelle, ab der eine alleinstehende Person in Österreich als armutsgefährdet gilt, liegt bei 1.163 Euro, also nur knapp darunter. Viel zu viele Menschen in Österreich gelten als arm trotz Arbeit. Besonders betroffen: Alleinerzieherinnen, Menschen mit schlechten Bildungschancen sowie MigrantInnen. Und: Mehr als 200.000 Menschen erhalten ein Einkommen unterhalb der angestrebten 1.500 Euro.
Wir müssen uns über Verteilung unterhalten – und zwar in diesem Fall nicht über die Verteilung von Vermögen, sondern über die Verteilung von Arbeit und insbesondere deren Bezahlung in unserer Gesellschaft. Wir müssen uns darüber unterhalten, warum bestimmte Jobs selbstverständlich gut bezahlt werden, während es andere ebenso selbstverständlich nicht werden, obwohl hier wie da Schwerarbeit geleistet wird. Wir müssen uns darüber unterhalten, warum unter Schwerarbeit hauptsächlich männliche Branchen fallen: Warum etwa fallen darunter nicht auch Angestellte im Handel, die immerhin auch viele schwere Lasten zu tragen haben. Wir müssen uns darüber unterhalten, dass immer mehr Jobs Teilzeit sind oder gar prekär und damit erst recht kein finanzielles Auskommen ermöglichen.
Es mag erstaunlich klingen, doch gerade in so gut bezahlten Berufen wie RechtsanwältInnen, NotarInnen oder ZahnärztInnen erhalten die Angestellten immer noch weniger als 1.500 Euro. Noch dazu ist völlig unklar, wann sie diesen angestrebten Mindestlohn bekommen werden. Auch in anderen Branchen müssen sich die MitarbeiterInnen noch gedulden. Das eigentlich Ärgerliche: Dieser Betrag kann nur eine erste Etappe sein. Wie bereits erwähnt liegt man damit gerade einmal knapp über der Armutsgefährdungsschwelle. Das ist nur einer der Gründe, weshalb die Gewerkschaften schon länger einen höheren Betrag anstreben, nämlich 1.700 Euro.
1.700 sind das Mindeste
Das aktuelle Tauziehen lässt erahnen, wie schwierig es sich erst recht gestalten wird, dieses weitere Ziel zu erreichen. Dabei wäre es auch dafür schon höchste Zeit. Ein weiteres Faktum dazu: Seit 2008 sind die Wohnkosten pro Quadratmeter für BezieherInnen von niedrigen Einkommen fast dreimal so stark gestiegen wie für Haushalte mit hohen Einkommen. Somit bleibt von dem erwirtschafteten Einkommen immer weniger übrig. Und: Sobald man arbeitslos wird, liegt man darunter, wenn man vorher 1.500 Euro verdient hat. Erst recht ist somit vorprogrammiert, dass man im Alter mit einer viel zu geringen Pension sein Auskommen finden muss. Deshalb: Wenn, dann sind 1.700 Euro ja wohl das Mindeste!

Standpunkt: Bedarf ist kein Stigma

Standpunkt: Bedarf ist kein Stigma

Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit & Wirtschaft
edürftigkeit: Viel wird wieder über dieses Wort gestritten. Für diese müssen sich die Betroffenen ausführlich rechtfertigen, jedenfalls sollten sie sich schämen, wenn ihnen nicht gar unterstellt wird, den Sozialstaat nur auszunutzen. Nur wer auch wirklich bedürftig sei, dürfe Sozialleistungen beziehen, und zwar nur in jenem Ausmaß, das die Bedürftigkeit lindert. Wehe, die Menschen könnten auch nur ein kleines bisschen mehr bekommen.
Bedürftigkeit kommt von Bedarf
Um dieses Missverhältnis am Beispiel der Mindestsicherung zu illustrieren: „Kaum eine Leistung wird so häufig unter dem Titel Missbrauch diskutiert wie die Mindestsicherung. Dabei wird nirgends so streng kontrolliert wie hier. So sind schon beim Antrag die Kontoauszüge für mehrere Monate, allfällige Sparbücher, Bausparverträge, Lebensversicherungen und Ähnliches vorzulegen. Wer diese Auskünfte unzumutbar findet, dessen Antrag wird gleich gar nicht bearbeitet“, fasste Sybille Pirklbauer vor einem Jahr treffend zusammen. Zu diesen Hürden kommt die öffentliche Stigmatisierung.
All dem liegt ein völlig falsches Verständnis von Bedürftigkeit zugrunde. Was darin nämlich viel zu wenig vorkommt, ist der Begriff „Bedarf“, der allen Sozialleistungen zugrunde liegt. Ein Beispiel: Wer keine Arbeit hat und seinen Lebensunterhalt deshalb nicht selbst verdienen kann, hat Bedarf an Arbeitslosengeld. Das ist keine Schande, sondern oftmals eine Frage von Bildungschancen. Denn durch die Bildungsherkunft werden in Österreich sehr früh die Weichen gestellt, wohin die spätere Berufsreise geht. Diese führt jene, die nicht in den Genuss von höheren Ausbildungen gekommen sind, oftmals in Branchen, in denen es ohnehin ein großes Arbeitskräfteangebot gibt – oder in denen die Arbeitsplätze rarer werden, ob durch technische Möglichkeiten oder Auslagerungen ins Ausland. Damit haben sie ein höheres Risiko, arbeitslos zu werden.
Dass es auch Menschen gibt, die den Sozialstaat ausnutzen, darf nicht als Ausrede missbraucht werden, um die vielen anderen Menschen mit Bedarf immer weiter unter Druck zu setzen. Gerade bei der Mindestsicherung gibt es ohnehin schon viele Kontrollen. Es wäre zu wünschen, dass die Regierung mindestens so viel Energie investieren würde, um Sozialbetrug an anderen Stellen effektiver zu bekämpfen. Ja, es darf sogar ein bisschen mehr Energie sein: Immerhin ein Drittel der hinterzogenen Abgaben geht in Österreich auf klassischen Abgaben- und Steuerbetrug zurück, die Hälfte geht auf das Konto der Schattenwirtschaft. Bei der Mindestsicherung etwa liegt die Zahl der Fälle, in denen sie widerrechtlich bezogen wurde, im Promillebereich.
Im Interesse aller
Sozialleistungen schützen aber nicht nur das Individuum, sondern sie sind auch von gesellschaftlichem Interesse, Stichwort Prävention von Armut und Kriminalität. Noch dazu hat der Sozialstaat dafür gesorgt, dass Österreich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern mit einem kleineren blauen Auge aus der Krise gekommen ist. Auch die Pläne zur Kürzung der Familienbeihilfe für ArbeitnehmerInnen, deren Kinder im Ausland leben, sind gelinde gesagt kurzsichtig: Diese trifft in erster Linie Pflegerinnen, und genau an diesen haben wir mangels sozialer Dienstleistungen enormen Bedarf. Wozu sollten sie weiterhin dieser Schwerarbeit nachgehen, wo sie doch genauso gut in anderen Branchen arbeiten können, in denen sie oftmals sogar noch besser bezahlt werden?
So gesehen hat auch die Gesellschaft großen Bedarf an einem funktionierenden Sozialstaat, aus dem Menschen nicht fahrlässig ausgeschlossen werden. Von daher braucht es in Österreich eine intensive Debatte über die Finanzierung des Sozialstaats. Dass darin die gerechte Besteuerung von Vermögen oder Maschinen unter „ferner liefen“ rangiert, ist schlichtweg unverständlich.

Standpunkt: Missbrauchte Start-ups

Standpunkt: Missbrauchte Start-ups

Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit & Wirtschaft
ls die ersten Fahrräder in Magenta in Wien auftauchten, war ich fasziniert: ein ökologischer Lieferdienst, was für eine tolle Idee! Natürlich hätte ich angesichts der Einheitsmontur skeptisch werden müssen. Erst später wurde mir klar, dass Foodora Teil einer großen Unternehmung ist, hinter der wiederum Großinvestoren stecken, in dem Fall die Risikokapitalgesellschaft Rocket Internet. Die FahrerInnen haben sich inzwischen organisiert, um gegen die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft anzukämpfen. Es sind die Wirren der neuen Wirtschaft: Es muss kein großer Konzern mehr sein, sondern die Ausbeutung von Menschen und/oder der Umwelt kommt in einem unscheinbaren, wenn nicht sogar scheinbar progressiven Gewand daher.
Versteckter Großkonzern
Was als sympathisches Start-up wahrgenommen wird, ist dies beleibe nicht immer. So rühmt sich Rocket Internet damit, in mehr als 110 Ländern auf sechs Kontinenten vertreten zu sein und damit zumindest indirekt Arbeitgeber von 36.000 Menschen zu sein. Das wohl bekannteste Start-up, bei dem die deutschen Investoren ihre Finger im Spiel hatten, ist Zalando. Auch von dieser Firma gibt es immer wieder Berichte über erschreckend miese Arbeitsbedingungen. So drängt sich eine Frage geradezu auf: Wie gerechtfertigt sind staatliche Förderungen, wenn diese am Ende Firmen unterstützen, die nicht nur auf das Arbeitsrecht pfeifen, sondern von denen viele fleißig Stimmung gegen Steuern und Sozialabgaben machen, aber zugleich nach mehr Förderungen der öffentlichen Hand verlangen?
An sich habe ich große Sympathien für Start-ups. Immerhin könnte es sein, dass von ihnen die nächste große Innovation erfunden wird, die die Welt tatsächlich ein bisschen besser machen könnte. Sie sind mir sympathisch, weil sie von ihrer Idee überzeugt sind – und zwar so sehr, dass sie sogar alles daransetzen, um mit ihr Geld zu verdienen.
Start-ups sind mir allerdings dann wirklich zutiefst unsympathisch, wenn sie nur das große Geld zum Ziel haben – und zwar um jeden Preis, wie beim eingangs beschriebenen Beispiel. Bei diesem kommt sogar noch ein Aspekt dazu, den ich wirklich abstoßend finde: Es wird Umweltbewusstsein suggeriert, während die ArbeitnehmerInnen ausgebeutet werden.
Zum Glück agieren nicht alle Start-ups so, ganz im Gegenteil. Auch sind nicht alle auf das große Geld aus, sondern wollen tatsächlich etwas beitragen. Eine positive Seite davon sind Crowdfunding-Projekte. Gerade im Journalismus wer-den spannende Alternativen entwickelt, um den großen Verlagshäusern und ihrer Logik etwas entgegenzustellen. Ein Beispiel aus Deutschland sind die Krautreporter: Anfangs waren sie eine Crowdfunding-Plattform, auf der JournalistInnen ihre Artikelideen anbieten und dafür Geld sammeln konnten. Es war ein wirklich spannendes Projekt, das LeserInnen und AutorInnen näher zusammenbrachte: Wer mit seiner/ihrer Idee punkten konnte, erhielt entsprechende Geldmittel. Dadurch wurden einige spannende Projekte möglich. Dass verschiedene Privatpersonen Geld dafür rausgerückt haben, sorgt für eine möglichst große Unabhängigkeit des Projekts.
Nicht ohne Rücksicht auf Verluste
Zuletzt warben die Krautreporter für ihr eigenes journalistisches Projekt per Crowdfunding um Geld: Bei ihnen sollten lange Geschichten, gute Reportagen und Hintergründe ihren Platz haben. Kurzum: Guter Qualitätsjournalismus sollte wieder eine Plattform bekommen. Welch hehrer Anspruch und wie schön, dass es dieses Projekt immer noch gibt – und zum Vorbild für so manch andere wurde.
Zumindest eines macht den Reiz von Start-ups aus: der Anspruch, neue Wege zu gehen und dafür auch eigenes Geld in die Hand zu nehmen. Denn ebendiese Bereitschaft kann eine Wirtschaft sehr bereichern. Auf Kosten der Allgemeinheit oder von ArbeitnehmerInnen darf dies aber nicht gehen.

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