Gegenmodell zum Lobbyismus
Kommen wir zum wesentlichen Unterscheidungsmerkmal zwischen Sozialpartnerschaft und Lobbyismus. Während die FunktionärInnen der Sozialpartner demokratisch legitimiert sind und Interessen aller ihrer diversen Mitglieder im Auge behalten, vertreten LobbyistInnen immer die Interessen von denen, die es sich leisten können. Während Sozialpartner immer für dieselben Mitglieder kämpfen, ziehen LobbyistInnen wie Söldner heute für den einen Konzern und morgen für den anderen Multi ins Feld. Bei Sozialpartnern ist der Auftrag transparent, bei LobbyistInnen ist oft unklar, für wen sie gerade arbeiten, wenn sie bei PolitikerInnen vorstellig werden.
Wenn derart breit aufgestellte Organisationen nun auf Basis ihrer jeweils intern gefundenen Positionen miteinander sachlich verhandeln und schließlich eine Sozialpartnereinigung beschließen, dann stößt dieser Kompromiss in den allermeisten Fällen auf sehr große Akzeptanz in breiten Teilen der Bevölkerung. Dazu trägt auch bei, dass die Sozialpartnerorganisationen üblicherweise zu den erreichten Kompromissen stehen, auch wenn sie natürlich nicht den Wunschvorstellungen in Reinform entsprechen. Dafür zeichnen sich die Sozialpartnerlösungen durch große Praxistauglichkeit aus. Auf jeden Kompromiss folgt die Erklärungs- und Überzeugungsarbeit innerhalb der jeweiligen Mitgliedschaft. Und die jeweiligen Mitgliedschaften machen den Großteil der Bevölkerung aus.
Optimalzustand Sozialpartnerschaft
Was hier geschildert wurde, ist natürlich der Optimalzustand: Alle im Land profitieren, weil die Interessenvertretungen neben den Interessen der eigenen Mitglieder gleichzeitig immer auch das große Ganze im Auge behalten, die volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhänge, eine annähernd gerechte Verteilung des Wohlstandszuwachses und den sozialen Frieden.
Schwierig wird es dann, wenn eine Seite nur noch die Interessen der eigenen Mitglieder im Kopf hat, aufgehetzt von LobbyistInnen einer Minderheit großer Industriekonzerne. Die Wirtschaftskammer (und vor allem die Industrie) hat in letzter Zeit ihre Forderungen mehr und mehr zum Prinzip erhoben. Entsprechend schwierig gestalteten sich bekanntlich die Verhandlungen der Sozialpartner zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, die im Frühjahr 2017 begonnen haben. Vorteile für die Arbeitgeber wurden als unverhandelbares Muss hingestellt, während über Vorteile für die ArbeitnehmerInnen – Planbarkeit, Selbstbestimmung, Arbeitszeitverkürzung – jede Verhandlung verweigert wurde.
Auch wenn die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ mittlerweile mit Unterstützung der NEOS ein Arbeitszeitgesetz beschlossen haben, wie es sich nicht einmal die Industriellenvereinigung zu wünschen gewagt hätte, bleibt das Thema auch weiterhin auf dem Tisch der Sozialpartner. Nur eben nicht mehr auf dem Verhandlungstisch der Dachorganisationen und deren PräsidentInnen, sondern auf Branchen- und Betriebsebene. Hier sind vor allem die Gewerkschaften gefragt. Noch mehr als sonst werden die kommenden KV-Runden nicht nur der Lohnfindung dienen, sondern auch der Durchsetzung von Rahmenbedingungen, damit die ArbeitnehmerInnen zum Ausgleich für die dank Gesetz länger werdenden Arbeitszeiten zum Beispiel mit mehr Freizeit entschädigt werden.
Schon möglich, dass es neben dem am Anfang erwähnten Claus Raidl auch noch einigen anderen gefallen würde, wenn sich die Sozialpartnerschaft auf die Lohnfindung zurückziehen würde – und die Politik den Rest so erledigen würde, wie es sich die Großspender der Regierungsparteien vorstellen. Das wird’s aber natürlich nicht spielen. ÖGB und Arbeiterkammern vertreten die Interessen der ArbeitnehmerInnen, und die gehen weit über das hinaus, was ihnen die Arbeitgeber für ihre Arbeit bezahlen. Um es klar zu machen: Was würde es den ArbeitnehmerInnen nutzen, wenn die Gewerkschaftsbewegung für sie noch so gute Lohnerhöhungen erkämpft – und ihnen die Politik davon zum Beispiel höhere Steuern abzieht, das Gesundheitssystem so verschlechtert, dass sie verstärkt privat für ärztliche Leistungen bezahlen müssen, und wenn das Bildungssystem immer mehr Nachhilfe notwendig macht?
Das alles sind berechtigte Anliegen der ArbeitnehmerInnen, die sich direkt darauf auswirken, wie viel vom Lohn den ArbeitnehmerInnen bleibt. Anliegen, die ÖGB und Arbeiterkammern sicher nicht aus den Augen lassen werden, auch wenn sich Raidl das wünscht. Und dazu kommen noch Interessen, die sich nicht direkt in Geld umrechnen lassen, die aber mindestens genauso wichtig sind: demokratische Mitbestimmung, selbstbestimmte Lebensplanung, kulturelle Teilhabe und ganz wesentlich, eine Arbeit, die nicht nur genug zum Leben einbringt, sondern die Menschen auch gesund alt werden lässt. Der ÖGB und die Arbeiterkammern werden sich auch weiterhin in all diese Bereiche einmischen. Das ist keine Selbstherrlichkeit, sondern konsequente Vertretung der ArbeitnehmerInneninteressen.
Bernhard Achitz
Leitender Sekretär des ÖGB
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/18.
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