Auf Wunsch der Lobbies

Im Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), wo die zentralen volkswirtschaftlichen Fragestellungen des Landes und Europas diskutiert werden, hat die Regierung die bisherige Vertretung der ArbeitnehmerInnen entfernt. Weiterhin vertreten sind Unternehmen und Banken.
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Unternehmen bauen mithilfe der Regierung ihre Macht aus. Spüren werden das vor allem ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen. Eine Übersicht.
Es ist eine ernüchternde Bilanz, jedenfalls aus Sicht der ArbeitnehmerInnen, wenn man die 2018 in Österreich durchgeführten und noch geplanten Reformen betrachtet. Die schwarz-blaue Regierung nimmt sich zunehmend der Interessen der Unternehmen an und fungiert als deren Botschafter. ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen hingegen bleiben auf der Strecke. Für sie hat das letzte Jahr vor allem eines gebracht: eine Flut an Verschlechterungen.

Das neue Arbeitszeitgesetz

Der Arbeitsmarkt wurde 2018 durch das neue Arbeitszeitgesetz erschüttert, das mit September unter dem Deckmantel der Arbeitszeitflexibilisierung in Kraft getreten ist. Was sich nach mehr Autonomie und Freiheit für alle anhört, ist in Wirklichkeit sehr einseitig: Arbeitgeber können noch flexibler über ihre MitarbeiterInnen verfügen, und den ArbeitnehmerInnen drohen mehr Überstunden, verkürzte Ruhepausen und ein erhöhtes Unfallrisiko. Die neuen Bestimmungen gefährden genau das, was die betroffenen Gesetze eigentlich schützen sollten: die Gesundheit der Beschäftigten und die ausreichende Freizeit für Familie, Freunde und Hobbys.

Das neuen Arbeitszeitbestimmungen gefährden genau das, was die betroffenen Gesetze eigentlich schützen sollten: die Gesundheit der Beschäftigten und die ausreichende Freizeit für Familie, Freunde und Hobbys.

Die neue Digitalisierungsagentur

Zudem sind in der Arbeitswelt die negativen Auswirkungen der Digitalisierung zu spüren. Technische Neuerungen und effizienzsteigernde Technologien verunsichern die Beschäftigten. Diese sehen ihren Arbeitsplatz gefährdet und haben Angst, mit den immer schneller werdenden Umbrüchen irgendwann nicht mehr mithalten zu können. Mit diesen Problemen soll sich die von der Bundesregierung ins Leben gerufene Digitalisierungsagentur (DIA) auseinandersetzen. Das Problem dabei? „Der Fachbeirat der neuen Digitalisierungsagentur hat acht stimmberechtigte Mitglieder: drei aus der Wissenschaft und fünf UnternehmerInnen, aber keine einzige Arbeitnehmervertreterin und keinen einzigen Arbeitnehmervertreter“, ärgert sich AK-Direktor Christoph Klein in einem Beitrag im A&W-Blog.

Der Insolvenz-Entgelt-Fonds

Eine Entmachtung der ArbeitnehmerInnen fand auch beim Insolvenz-Entgelt-Fonds, dem sogenannten „Pleitefonds“, statt. „Für Menschen, die gerade ihren Job verloren haben, ist dieser Fonds existenziell wichtig“, betont Christoph Klein. Denn daraus werden „Löhne, Gehälter und weitere Ansprüche von Beschäftigten bezahlt, deren Unternehmen insolvent geworden sind“. Dem Mitspracherecht der Beschäftigten im Fonds hat die Regierung ein Ende gesetzt: Künftig sind sie nicht mehr mit ihrer Stimme in dessen Aufsichtsrat vertreten.

Die Sozialversicherungsform

Ähnlich prekär sieht die Lage im Sozialversicherungsbereich aus. Mit der geplanten Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) sollen die bisher 21 Sozialversicherungsträger auf fünf reduziert werden. Bislang standen bei der Gesundheitsversorgung Werte wie Regionalität, Eigenverantwortung und Innovationskraft an oberster Stelle. Regional heißt: „nahe bei den Versicherten“, und das wiederum ist die Voraussetzung dafür, „flexible, der Region angepasste Lösungen zu finden“, so Manfred Brunner, Obmann der Vorarlberger Gebietskrankenkasse und stellvertretender Obmann der Pensionsversicherungsanstalt.

Bisher waren es die ArbeitnehmerInnen, die in den geschäftsführenden Gremien der Gebietskrankenkassen die Mehrheit hatten. Und das hat einen ganz entscheidenden Grund, denn um ihre Interessen geht es schließlich.
Inwiefern die Versicherten von der geplanten Zentralisierung – und nichts anderes bedeutet die Zerschlagung der regionalen und damit den Bedürfnissen am besten angepassten Versorgungsstruktur – profitieren, entzieht sich jeglicher Logik. Der springende Punkt ist vielmehr, dass sich das Machtgefüge innerhalb der Sozialversicherung verschiebt. Bisher waren es die ArbeitnehmerInnen, die in den geschäftsführenden Gremien der Gebietskrankenkassen die Mehrheit hatten. Und das hat einen ganz entscheidenden Grund, denn um ihre Interessen geht es schließlich.

Der springende Punkt ist vielmehr, dass sich das Machtgefüge innerhalb der Sozialversicherung verschiebt.

Nun soll es zu einem Gleichstand zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen kommen. Christoph Klein verweist darauf, dass Arbeitgeber kein Eigeninteresse an guten Leistungen in der ÖGK haben: „Erstens sind die UnternehmerInnen naturgemäß daran interessiert, ihre Dienstgeberbeiträge zu senken, was den Druck erhöhen würde, auch die Leistungen zu reduzieren. Zweitens haben manche von ihnen ein Interesse, selbst gute Geschäfte zu machen, etwa durch Privatisierung im Gesundheitswesen.“

Die Mindestsicherung NEU

Mit der Mindestsicherung NEU ist seitens der Regierung eine weitere Maßnahme geplant, soziale Leistungen zu kürzen bzw. sogar ganz abzuschaffen. Im Fokus der Reform steht die angedachte Abschaffung der Notstandshilfe. Arbeitslose Personen, die ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgeschöpft haben, sollen statt Notstandshilfe künftig Bedarfsorientierte Mindestsicherung erhalten. Das bedeutet jedoch, dass auf ihr Vermögen zugegriffen wird. Leistungen erhält man erst dann, wenn die eigenen Ersparnisse bis auf einen Freibetrag von 5.200 Euro aufgebraucht sind.

Ein drastischer Schritt, der mit der 2005 in Deutschland durchgeführten Hartz-IV-Reform vergleichbar ist. Diese hatte beträchtliche Folgen auf dem deutschen Arbeitsmarkt: ein erhöhtes Armutsrisiko von Arbeitslosen und ein hoher Druck, auch schlechter bezahlte Jobs sowie ungünstigere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Die schwarz-blaue Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit gerne als individuelles Versagen hinstellt, deklariert ihre geplanten Maßnahmen als Schaffung von Anreizen, Arbeitslose schneller wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Bei genauerer Betrachtung erhöhen sie jedoch lediglich den Druck auf die Betroffenen, die ohnehin schon mit der Stigmatisierung und Schuldfrage ihrer Langzeitarbeitslosigkeit konfrontiert sind.

Mitsprache ade

Keine Mitsprache für ArbeitnehmerInnen im Generalrat der Österreichischen Nationalbank
Das Mitspracherecht wurde ArbeitnehmerInnen sowie ihren VertreterInnen auch in zwei weiteren Bereichen genommen. Zum einen im Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), wo die zentralen volkswirtschaftlichen Fragestellungen des Landes und Europas diskutiert werden. Hier hat die Regierung die bisherige Vertretung der ArbeitnehmerInnen entfernt. Weiterhin vertreten sind Unternehmen und Banken. Christoph Klein warnt, dass dies zum „Nachteil der Interessen der Bevölkerungsmehrheit“ führt. Beispielhaft erwähnt AK-Direktor Klein den 2015 aufgetretenen Widerstand der Banken, Zinssenkungen an ihre KreditnehmerInnen weiterzugeben. Erst durch das Einschreiten der OeNB konnte dies durchgesetzt werden, doch ohne ArbeitnehmerInnenvertretung werden ähnliche Erfolge künftig vermutlich ausbleiben.

Keine Mitsprache für ArbeitnehmerInnen im Aufsichtsrat der Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte
Zum anderen haben ArbeitnehmerInnen auch Interessen als PassagierInnen und Fahrgäste von Bus, Bahn, Schiff oder Flugzeug. Diese werden von der Schienen-Control GmbH und deren Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte wahrgenommen. Bisher waren dort sowohl Wirtschafts- als auch Arbeiterkammer im Aufsichtsrat vertreten, um für einen Interessenausgleich zu sorgen. „Mit Ende Mai 2018 wurde dieser sozialpartnerschaftliche Konsens aufgekündigt“, so Christoph Klein. Wie KonsumentInnen künftig zu ihrem Recht und entsprechenden Entschädigungen bei Verspätungen, Überbuchungen oder Annullierungen kommen, wenn sie nicht mehr durch die Arbeiterkammer vertreten werden, ist fraglich.

Republik in Schieflage

All diese Beispiele zeigen vor allem eines: ArbeitnehmerInnen verlieren ihren Einfluss – nicht nur gegenüber ihren Arbeitgebern, sondern auch gegenüber Institutionen. Die Tendenz der Regierung ist deutlich: Zunehmend werden die Interessen der Unternehmen berücksichtigt und gesetzlich verankert, während jene der Beschäftigten weiter in den Hintergrund gedrängt werden.

Schritt für Schritt kommt es zu einer Machtverschiebung zulasten der Beschäftigten.

Schon länger strebt die Industrie danach, das Staatsziel eines „wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandortes“ in der Verfassung zu etablieren. Diesem Wunsch plant die Regierung nachzukommen. Dass damit aber auch Tür und Tor für Lohnzurückhaltung, geringere Sozial- und Umweltstandards und schlechtere Schutzbestimmungen für ArbeitnehmerInnen geöffnet wird, fällt in der öffentlichen Debatte leider oftmals unter den Tisch. „Diese Änderung würde die Benachteiligung der 3,7 Millionen Beschäftigten in Österreich dauerhaft festschreiben“, warnt Christoph Klein. Zu Recht spricht er in diesem Zusammenhang von einer „Republik, die aus dem Gleichgewicht gerät“. Denn genau das passiert, wenn sich die Machtverteilung Schritt für Schritt zulasten der Beschäftigten verschiebt und zudem die Absicherung durch den Sozialstaat angegriffen wird.

Das AK-Zukunftsprogramm
Von
Beatrix Mittermann

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/19.

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Über den/die Autor:in

Beatrix Ferriman

Beatrix Ferriman hat internationale Betriebswirtschaft an der WU Wien, in Thailand, Montenegro und Frankreich studiert. Sie ist Autorin, Schreibcoach sowie freie Redakteurin für diverse Magazine und Blogs.

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