Gefühle und Fakten zur Armut in Österreich
Eine mit gefühlten Wahrheiten geführte Talkrunde brachte das Thema Armut in Österreich vor Kurzem wieder in den öffentlichen Fokus. In dem Puls4-Format „WildUmstritten“ präsentierte die Journalistin Rosemarie Schwaiger einige ihrer Meinung zu diesem Thema. „Niemand muss hungern in Österreich“ war eine Aussage.
Schwaiger ließe sich zugutehalten, dass arme und hungernde Kinder tatsächlich schwer zu sehen sind, da es meist deren Eltern sind, die vor der Tafel Schlange stehen oder auf Unterstützung von Caritas oder der Volkshilfe hoffen. Dazu kommt, dass bei Kindern häufig Übergewicht und Hunger gleichzeitig auftritt, da sich Eltern keine ausgewogene Ernährung leisten können. Es gibt also Nudeln und Fertigpizza statt frischem Gemüse. In Österreich leben 78.000 Kinder in Haushalten, die sich nicht jeden Tag Fisch, Fleisch oder ein ähnlich nährstoffreiches vegetarische Gericht leisten können, rechnet der Bericht EU-SILC 2022 vor.
Monatliches Nettoeinkommen für ausgesuchte Haushaltsgrößen, ab dem man in Österreich als arm gilt:
- Ein Erwachsener & ein Kind: 1.810 Euro
- Ein Erwachsener & zwei Kinder: 2.228 Euro
- Ein Erwachsener & drei Kinder: 2.646 Euro
- Zwei Erwachsene & ein Kind: 2.506 Euro
- Zwei Erwachsene & zwei Kinder: 2.924 Euro
- Zwei Erwachsene & drei Kinder: 3.342 Euro
Armut in Österreich in Zahlen
In Österreich sind 1.555.000 Menschen von Armut und Ausgrenzung gefährdet. Also 17,5 Prozent der Bürger:innen. Wobei Kinder häufiger betroffen sind – hier liegt die Quote sogar bei 22 Prozent. Der EU-SILC 2022 schlüsselt die Zahlen für Kinder, die von Armut in Österreich betroffen sind, noch genauer auf:
- 78. 000 Kinder leben in Haushalten, die es sich nicht leisten können, jeden 2. Tag Fleisch, Fisch oder eine vergleichbare vegetarische Speise zu essen.
- 40.000 Kinder leben in Haushalten, die ihre Wohnung nicht angemessen warm halten können.
- 278.000 Kinder (bis 17 Jahren) leben in einem Haushalt, der es sich nicht leisten kann, zumindest einmal im Jahr Urlaub zu machen.
- 123.000 Kinder leben in Familien, die mit Zahlungen im Rückstand sind (bspw. Energiearmut).
Wie eine Kindergrundsicherung gegen Armut in Österreich helfen kann
Warum es keine Armut in Österreich geben kann, glaubt Schwaiger ganz genau zu wissen: „Wir haben weltweit eines der besten Sozialsysteme.“ Und tatsächlich ist der Sozialstaat in Österreich das Vermögen der Vielen. Was Schwaiger aber entweder nicht weiß oder weglässt ist, dass es zum einen keine Kindergrundsicherung gibt und zum anderen die Sozialleistungen nicht armutsfest sind.
Entsprechend fordern wichtige Institutionen in Österreich eine Kindergrundsicherung. Dabei handelt es sich um eine Art der sozialen Staffelung der Familienbeihilfe. „Statt der aktuellen Familienbeihilfe und dem Kinderabsetzbetrag, würden dann alle Kinder 285 Euro monatlich bekommen“, erklärt die Volkshilfe die Idee. Dazu gäbe es eine nach dem Einkommen gestaffelte Komponente. Armutsgefährdete Familien, deren Haushaltseinkommen unter 25.000 Euro pro Jahr beträgt, würden so 872 Euro pro Kind bekommen. Das betrifft 23 Prozent aller Kinder.
Kindergrundsicherung in Zahlen
Grundlage für die Berechnung ist das sogenannte „Referenzbudget der Schuldner*innenberatung“. Es zeigt auf, welches Einkommen ein Haushalt braucht, um die Bedürfnisse von Kindern bezahlen zu können. Aktuell beziehen sich die Rechnungen auf die sogenannte „Kinderkostenstudie“, die ausrechnet, was für Kinder ausgegeben wird. Der Haken dabei ist, dass eben beinahe 1,6 Millionen Menschen in Österreich in Armut leben und gar nicht alle Bedürfnisse der Kinder abdecken können.
In Österreich sind mehr als 1,5 Millionen Menschen von #Armut und Ausgrenzung bedroht sind. Das zeigen die neuen EU-#SILC-Daten der Statistik Austria. Die Armutsquote liegt damit bei 17,5%, was einem Anstieg um 0,2 Prozentpunkte entspricht. pic.twitter.com/c4WpYTciP2
— Volkshilfe Österreich (@volkshilfe) April 20, 2023
„Die Kindergrundsicherung würde 4,6 Mrd. Euro kosten“, rechnet Michael Fuchs vom Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung vor. Die Kosten fallen auch deswegen vergleichsweise gering aus, weil die Kindergrundsicherung nicht nur die Familienbeihilfe, sondern auch Alters- und Geschwisterstaffelung, den Mehrkindzuschlag, das Schulstartgeld und den Kinderabsetzbetrag ersetzen würde.
„Die umverteilende Wirkung wäre enorm: Die Armutsgefährdung würde in der Gesamtbevölkerung auf 8,6 Prozent sinken und bei den 0- bis 17-Jährigen sogar auf 2,8 Prozent. Kinderarmut könnte so gut wie abgeschafft werden und auch für die verbleibenden Kinder würde sich die Lebensqualität deutlich verbessern“, so Fuchs.
Geringe soziale Mobilität
„Arme Kinder haben bei ihrer Geburt ein geringes Geburtsgewicht, sind häufiger in Unfälle verwickelt, klagen öfter über Bauch- oder Kopfschmerzen“, schreibt die Volkshilfe. Doch wer aus der Armut in Österreich ausbrechen will, hat es schwer. Die soziale Mobilität ist in Österreich extrem gering. Ein Grund dafür ist, dass schulischer und beruflicher Erfolg vererbbar sind. Nachhilfeunterricht und Förderkurse kosten Geld. Ideale Bedingungen für Hausaufgaben – ein eigenes Zimmer zum Lernen beispielsweise – gibt es in armutsgefährdeten Haushalten selten.
Die OECD hat in ihrer Studie „A Broken Social Elevator? How to Promote Social Mobility“ festgestellt, dass es in Österreich besonders schwer ist, der Armut zu entkommen. Theoretisch würde es fünf Generationen dauern, bis ein Kind, dessen Familie zu den ärmsten zehn Prozent gehört, das Medianeinkommen verdient. „Das ist also ein hypothetisches Szenario, denn fünf Generationen überlebt niemand. Es verweist aber auf das beträchtliche Ausmaß der Vererbung von Vor- und Nachteilen in Österreich. Zum Vergleich: In Dänemark dauert so ein Aufstieg im Schnitt zwei, in Norwegen, Schweden und Finnland drei Generationen“, wertete Franziska Disslbacher in einem Blog diesen Befund aus. Sie ist Referentin für Verteilungsfragen in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften der Arbeiterkammer Wien.
Mit Arbeit gegen Armut in Österreich
Dass viele Menschen in der Armut festhängen, sich also nicht selbst befreien können, hat auch mit der Art der Arbeit zu tun. In Österreich gibt es nach Angaben des ÖGB etwa 300.000 sogenannte „working poor“. Also Beschäftigte, die von den Einkünften ihrer Arbeit nicht leben können. Also Arbeitnehmer:innen in Teilzeit, in geringfügiger Beschäftigung, mit befristeten Arbeitsverhältnissen, freien Dienstverträgen, als PraktikantInnen oder als Leiharbeiter:innen. In der vergangenen Herbstlohnrunde klagten beispielsweise die Beschäftigten in der Sicherheitsbranche darüber, dass sie selbst mit einer 60-Stunden-Woche oft kaum die Miete bezahlen könnten.
Besonders häufig von Armut sind außerdem Ein-Eltern-Familien betroffen – das sind zu 85 Prozent Mütter. Sie kämpfen gegen eine Vielzahl von Windmühlen. Für ihre Kinder gibt es nur wenige Betreuungsplätze, die eine Vollzeitstelle möglich machen. Also arbeiten 48 Prozent aller Frauen in Teilzeit. Der Gender-Pay-Gap liegt bei erstaunlichen 19,4 Prozent. Ein Problem, das sich durch das gesamte Leben durchzieht, denn aufgrund des geringeren Einkommens fällt auch die Pension um etwa 40 Prozent niedriger aus als bei Männern.
Reichtum in Österreich
Erstaunlich ist, wie viele Zahlen es zur Armut in Österreich gibt. Dafür gibt es Gründe. Der Staat durchleuchtet Bürger:innen, die Geldleistungen beziehen, sehr genau. Die Steuerdaten sind ebenfalls leicht abrufbar. Bei Reichtum sieht es anders aus. Wer Einkommen aus Kapital erzielt, muss kaum offenlegen, wie viel Vermögen existiert. Immerhin gibt es Erhebungen der Europäischen Zentralbank, die etwas Licht ins Dunkel bringen. Auch, wenn diese Angaben nur freiwillig sind.
Eine Auswertung von Stichproben und öffentlichen Vermögensangaben (z.B.: Forbes Magazine) kommt zu dem Schluss, dass das reichte Prozent der Österreicher:innen die Hälfte des Gesamtvermögens besitzt. Die restlichen 99 Prozent teilen sich die andere Hälfte. Und selbst in diesem einen Prozent gibt es ein enormes Gefälle. Die reichsten zehn Personen in Österreich besitzen fünf Prozent des Gesamtvermögens, rechnet Miriam Baghdady im Podcast „Klassenkampf von oben“ vor. Sie arbeitet im volkswirtschaftlichen Referat des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Kurzum: Das Geld ist da.