Zimmerpalme und Kanari

Von den … Ausgabengruppen, die im wesentlichen der Befriedigung von Kulturbedürfnissen dienen, finden sich … bei sämtlichen 119 Familien … die Ausgaben für geistige Zwecke – worin wohl die Tatsache zum Ausdruck kommt, dass die Erhebung eine höhere Schicht der Arbeiterschaft erfasst hat, … Die Mehrzahl der Haushaltungsrechnungen … enthalten auch Ausgaben für Taufen, Begräbnisse und ähnliches, für Zimmerpflanzen, Singvögel und dergleichen … Das stand im Bericht des arbeitsstatistischen Amts im kaiserlich-königlichen Handelsministeriums über Wirtschaftsrechnung und Lebensverhältnisse von Wiener Arbeiterfamilien in den Jahren 1912 bis 1914.

Diese Erhebung war eine Folge der Diskussionen nach den großen Teuerungsdemonstrationen von 1911 und deren blutigem Ende durch den Einsatz von Militär und berittener Polizei und sollte zu einem Dauerprojekt werden. Der Erste Weltkrieg durchkreuzte diesen Plan zunächst, aber ab 1925 übernahm die neugegründete Arbeiterkammer in Wien bis zum Ende der Demokratie 1934 die Weiterführung. In der Zweiten Republik bildete die Auswertung von Haushaltsbüchern noch Jahrzehnte eine wichtige Informationsbasis für AK und ÖGB, zuletzt in den 1980er-Jahren. Das Modell blieb dabei seit 1912 unverändert: Familien wurden ersucht, regelmäßig Haushaltsbücher nach einer vorgegebenen Gliederung zu führen. Die Auswahl der Beteiligten änderte sich dagegen: Nach 1945 handelte es sich um ArbeitnehmerInnenfamilien mit unterschiedlichen Haushaltseinkommen, in der Ersten Republik um „minderbemittelte Familien“, im Kaiserreich um ArbeiterInnenfamilien. Der Kontakt zu den ArbeiterInnenfamilien wurde über die Gewerkschaften hergestellt, und es waren vor allem überdurchschnittlich Qualifizierte und Interessierte zum Mitmachen bereit. So zeigten die Ergebnisse eben, wie in dem zitierten Bericht betont wurde, die Daten über den Konsum einer höheren Schicht der Arbeiterschaft. Armut herrschte trotzdem, das dokumentierte die Auswertung der Aufzeichnungen eindrücklich:

Dass … bei geringerer Wohlhabenheit die Ausgaben für Kleidung usw. in einem überdurchschnittlichen Maß eingeschränkt werden können, beruht wohl darauf, dass es sich hier … um ein Gebrauchsgut handelt: bei einem solchen kann die Ausgabenhöhe durch Verlängerung der Gebrauchsdauer – längeres Tragen der nämlichen Stücke, Einkauf von schon gebrauchten Kleidern – wesentlich herabgesetzt werden. … Bei Familien, welche nur einen Wohnraum benützen, (kann) das Bedürfnis nach Wärme und Licht für die ganze Familie ohne Rücksicht auf deren Größe mit den nämlichen Kosten gedeckt werden; in größeren Familien kann daher ohne Beeinträchtigung der tatsächlichen Bedürfnisbefriedigung die Ausgabenquote der Konsumeinheit sinken. …

Zusammengestellt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

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Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 12/2010.

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