Wir brauchen echte Zukunftslösungen!

Der Abwehrstreik gegen die sogenannte Pensionsreform war mit rund einer Million Teilnehmern die größte derartige Aktion seit Jahrzehnten. Können wir die Abmilderungen der ursprünglich noch krasseren Kürzungspläne als Erfolg der organisierten Arbeitnehmer bezeichnen?
Das so genannte Pensionssicherungsgesetz wurde im Nationalrat mit den Stimmen der ÖVP/FPÖ-Mehrheit beschlossen. Ich bin aber dennoch überzeugt davon, dass unsere gemeinsamen Aktionen der Gewerkschaften und des ÖGB – ob auf Bundes-, Landes-,- oder Bezirksebene – erfolgreich waren. Wir haben damit, wie viele Meinungsumfragen und persönliche Kontakte zeigen, Bewusstsein geschaffen, um was es geht und haben sicher die Mehrheit der Bevölkerung vertreten.

Die Abwehrstreiks am 3. Juni waren ein weiterer Beweis für unsere gemeinsame Organisationskraft. Mit rund einer Million Teilnehmerinnen fand der größte Streik seit Jahrzehnten statt. Nur durch diese gemeinsame Beharrlichkeit ist es gelungen, die Regierung zum Handeln zu bringen.

Wer hätte anfangs dieses Jahres gedacht, dass wir innerhalb kurzer Zeit eine Bewegung gegen Pläne der Regierung – nicht gegen die Regierung an sich – erfolgreich durchführen, wie sie in ihrer Dimension seit Jahrzehnten in Österreich nicht mehr stattgefunden hat. Ich bin beeindruckt und stolz, mit welchem Einsatz Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen, weit über ihr eigenes Aufgabengebiet hinaus, unermüdlich im Verfolgen unserer Ziele waren.

Erwähnen möchte ich auch noch das Verhalten, das von der FPÖ angewandt wurde: Da legt der Vizekanzler (FPÖ) einen Regierungsentwurf vor und anschließend rühmen sich die Abgeordneten der selben Partei, dass sie die von ihrer Partei selbst vorgelegten Entwürfe in harten Verhandlungen – (mit wem?) – abgeschwächt hätten. Das ist etwa so, als ob wir ein Programm beschließen und dann mit uns selbst verhandeln, um dieses Programm wieder abzuändern.

Die Unternehmer beschweren sich und sagen, sie seien nur unschuldige Opfer der Streikaktionen, da sie mit den Beschlüssen der Regierung nichts zu tun hätten? Kann man nicht davon ausgehen, dass sie doch einen wesentlichen Einfluss auf die Regierungsparteien haben?
Zum Vorwurf, dass wir die Falschen bestreiken, halte ich fest, dass die Arbeitnehmer die Beiträge in den Betrieben und Dienststellen erwirtschaften und es daher auch den Unternehmern nicht egal sein kann, was mit den Beiträgen passiert.

Was ist zu dem von der Presse so bezeichneten »Umfaller«von Fritz Neugebauer zu sagen?
Vizepräsident Fritz Neugebauer hat als Abgeordneter der ÖVP, entgegen seiner Haltung im ÖGB und in der Öffentlichkeit, für die Regierungsvorlage der ÖVP/FPÖ Koalition gestimmt.

Ich habe mehrmals darauf hingewiesen, dass jeder Mandatar, und insbesonders ein Abgeordneter, der eine Gewerkschaftsfunktionen inne hat, mit sich selbst ins Reine kommen muss, wem er sich mehr verpflichtet fühlt: den Mitgliedern, Funktionären und Beschlüssen in den eigenen Gremien oder nur der politischen Funktion als Abgeordneter im Nationalrat.

Maßstab unseres Handelns als Gewerkschaftsfunktionäre müssen, so wir unsere Funktion im ÖGB ernst nehmen wollen, auch die Beschlüsse unserer Organisation sein.

Und wie geht es nun weiter? Was bringt der Bundeskongress?
Wir machen weiter und werden bis zum Bundeskongress im Oktober, wie angekündigt, gemeinsam mit allen Gewerkschaften und der AK ein umfassendes mittel- und langfristiges Pensionsreformkonzept vorlegen, das den Namen auch verdient. Wir wollen damit unseren bisherigen Weg fortsetzen.

Nicht nur die organisatorischen Erfolge, sondern unsere Ziele haben uns große Anerkennung in der Bevölkerung gebracht – und ich bin stolz auf den Ideenreichtum der Kolleginnen und Kollegen, wenn es ums Organisieren geht und um das Aufzeigen von Ungerechtigkeiten. Lassen wir uns nicht durch den Beschluss im Parlament entmutigen! Als Demokraten müssen wir diesen Beschluss zwar zur Kenntnis nehmen, müssen aber das Ergebnis nicht anerkennen.

Wir werden unsere Kritik weiterhin aufrecht erhalten, an besseren Lösungen arbeiten und dafür kämpfen. Denn wer kämpft, kann verlieren, wer aber das Kämpfen aufgibt, hat bereits verloren.

Auf einem ÖGB-Plakat heißt es: »Der höchste Grad von Ungerechtigkeit ist geheuchelte Gerechtigkeit.«Gilt die soziale Gerechtigkeit in unserem Land nichts mehr?
Das Kräfteverhältnis in unserer Gesellschaft ist zur Zeit so, dass nach neoliberalem Modell der Profit über alles gestellt wird. Wir haben uns nicht nur statutengemäß zum unentwegten Kampf zur Hebung des Lebensstandards der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Österreichs verpflichtet.

Aus den Gewerkschaften ist es mehrfach angeklungen, dass man bei den kommenden Kollektivvertragsverhandlungen noch mehr auf eine Verteilungsgerechtigkeit achten wird. Stehen uns damit künftig auch schärfere Lohnkämpfe bevor?
Die Gewerkschaften innerhalb des ÖGB sind autonom und entscheiden eigenständig, wie sie die Lohnverhandlungen für ihre Mitglieder anlegen. Allerdings kann ich mir durchaus vorstellen, dass Gewerkschaften sich jetzt nicht einer besonders vornehmen Zurückhaltung befleißen werden. Die Unterstützung des ÖGB ist ihnen gewiss.

Was ist zur Informationskampagne der Bundesregierung zu sagen?
Ich bin davon überzeugt, dass die Bevölkerung uns zustimmen wird, wenn ich sage, nicht überall, wo Reform draufsteht, ist tatsächlich eine Zukunftsreform drinnen. Wir brauchen keine Verpackungskünstler. Was wir brauchen, sind Zukunftslösungen. Der Informationsgehalt der Inserate der Bundesregierung ist wirklich stark in Zweifel zu ziehen. Wir werben nicht mit berstenden Staumauern um die Zukunft der Pensionen, wie sie das in Fernsehspots macht. Wir halten Fakten und Daten noch immer für das bessere Argument. Faktum ist, das die Pensionen künftig um 12 Prozent gekürzt werden sollen.

Und wie geht es jetzt konkret weiter?
Was steht als nächstes auf dem Programm? Der EU-Konvent zur Soziale Gerechtigkeit und Verantwortung müssen in unserer Gesellschaft wieder eine größere Rolle spielen. Deswegen sollte im Rahmen des Österreich-Konvents, der in den kommenden eineinhalb Jahren eine Aktualisierung der österreichischen Verfassung erarbeiten soll, die Verankerung der sozialen Grundrechte und des Sozialversicherungsprinzips in der österreichischen Bundesverfassung erfolgen. Der Sozialstaat muss weiterentwickelt werden und zwar nach den Grundsätzen der Solidarität, der Würde und sozialen Gerechtigkeit. Der Österreich-Konvent ist eine Chance, diesbezügliche Lücken und Mängel auszugleichen.

Österreich hat in diesen Punkten Aufholbedarf. Neben Großbritannien ist es das einzige EU-Land, in dem die soziale Verantwortung des Staates nicht in der Verfassung verankert ist. Obwohl Österreich eines der reichsten Länder der Welt ist, wird der Sozialstaat unter dem Vorwand wirtschaftlicher Zwänge systematisch ausgehöhlt. Jüngstes Beispiel sind die unsozialen Pensionskürzungen. Wird dieser Trend nicht gestoppt, so wird vom Sozialstaat nicht viel mehr als eine leere Worthülse übrigbleiben. Der Mensch muss mehr zählen als Aktienkurse und Profite.

Angesichts der jüngsten sozialpolitischen Entwicklungen ist es notwendig, ein deutliches Zeichen zu setzen, in welche Richtung die Zukunft gehen soll. Die Anliegen des Sozialstaates betreffen jeden von uns. Daher ist es recht und billig, dass der Gesetzgeber – also das Parlament – Systemänderungen nur mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen kann. Immerhin ist diese auch bei jeder noch so kleinen Reform im Schulbereich notwendig. Und genau das wäre das Ergebnis, wenn das Prinzip des Sozialstaats in die Bundesverfassung aufgenommen wird. Immerhin haben sich bereits bei der ÖGB-Urabstimmung im Oktober 2001 96,4 Prozent der Stimmberechtigten für diese Kernforderungen ausgesprochen.

Der Sozialstaat ist die Basis für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.

Wir Gewerkschafter bleiben dabei: Der Mensch muss mehr zählen als Aktienkurse und Profite.

Von

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.