Studierende der Publizistik an der Universität Wien staunten am Beginn dieses Semesters nicht schlecht. Zwar müssen sie seit Herbst 2001 Studiengebühren bezahlen, doch wer gedacht hätte, dass dies auch bessere Studienbedingungen bedeutet, befand sich im Irrtum: Wegen akutem Personalmangel konnten vorübergehend an diesem Institut keine Diplomarbeiten mehr betreut werden, wie der Leiter Wolfgang Langenbucher verlautbaren ließ.
Das Bildungsministerium machte trotz eklatanter Ressourcenmängel den Institutsvorstand selbst für die Misere verantwortlich. Und die Leitung der Universität plante, mit einer bizarren Idee Aushilfe zu schaffen: Von außen sollten (via Ausschreibung) kompetente Gutachter zugekauft werden, um die angehenden Jungakademiker/innen aus der Ferne zu betreuen: Professorinnen und Professoren, per Werkvertrag verpflichtet, um die fehlenden Stellen auszugleichen: Wer solche Vorschläge unterbreitet, verrät ein seltsames Verständnis von »Betreuung«, die ja gerade in regelmäßigem Austausch und persönlicher Beratung besteht.
Mangelverwaltung und Eliteuniversität
Geplante drei Anwesenheitstermine in Wien und die Kommunikation über eine E-Learning-Plattform waren wohl kaum geeignet, derart professionelle Unterstützung zu gewährleisten. Zwar zeichnen sich in der Zwischenzeit andere Lösungen ab und leicht könnte man die Ereignisse für einen Sonderfall halten: Eine populäre Studienrichtung, bei der Angebot und Nachfrage auseinanderklaffen – das kann schon einmal vorkommen, zumal in einer Marktwirtschaft. Doch die Situation am Wiener Publizistikinstitut ist alles andere als ein Einzelfall. Sie hat nur, im Gegensatz zu vielem, was an den österreichischen Universitäten geschieht, den Sprung in die Medienberichterstattung geschafft. Doch es handelt sich eben nur um die Spitze des viel zitierten Eisberges. Überfüllte Seminare, Raumnot, mangelnde technische Ausstattung der Institute und eine vielfach steigende Anzahl von Studierenden, mit der die Entwicklung des akademischen Personals nicht mithalten kann, kennzeichnen die Situation der Universitäten. Besonders in Wien. Die Rektoren forderten jüngst ein Notprogramm vom Finanzminister in Gestalt einer Soforthilfe in der Höhe von 100 Millionen Euro, um zumindest den bestehenden Betrieb aufrecht zu erhalten. Doch während dieser wieder in die rhetorische Trickkiste seiner Managementfibeln griff und inhaltsleer »mehr Effi-zienz« forderte, verschärfen sich die -Engpässe im Hochschulbereich. Die -Unzufriedenheit aller Beteiligten steigt. Dass Österreichs Universitäten durch die Wissenschaftspolitik der schwarz-blauen Regierung zur »Weltklasse« werden könnten, wie dies die Ministerin Gehrer vollmundig angekündigt hatte, ist längst außerhalb jeder Diskussion. Die Weltklasse-Uni taugt heute nur mehr als Lachnummer. Denn die in die Autonomie entlassenen Universitäten können nun vor allem eines: Völlig »autonom« den Mangel verwalten. Die Priorität der derzeitigen Wissenschaftspolitik scheint ohnedies woanders zu liegen: Eliteuniversitäten kommen ausgerechnet in einer Situation aufs Tapet, in der in Teilen des Hochschulbereichs die grundlegende Funktionsfähigkeit gefährdet ist. Wie konnte es dazu kommen? Hier empfiehlt sich ein kurzer Rückblick.
Zweierlei Universitätsreformen
Jede einschneidende Reform der neuen ÖVP/FPÖ-Regierung wird gerne mit Versäumnissen und Fehlentwicklungen der großen (»sozialistisch« geführten) -Koalition begründet, die vor »Schwarz-Blau« Österreich regierte. Dass die ÖVP auch in dieser Regierung prominent vertreten war und Ministerämter besetzte, zählt zu den bestgehüteten Geheimnissen der österreichischen Politik. Vor allem stellte die ÖVP etwa mit Hans Tuppy (1987-1989) und Erhard Busek (1989-1994) auch Wissenschaftsminister. Vermutlich ist dies der Grund, warum bei Schuldzuweisungen in der Wissenschafts- und Hochschulpolitik noch weiter zurückgeblickt wird. Nun ist die Phase der sozialistischen Alleinregierung (1970-1983), in der Hertha Firnberg das damals neu geschaffene Wissenschaftsministerium leitete, Stein des Anstoßes. In dieser Zeit, so kann man auch heute immer wieder hören, lägen die Wurzeln der österreichischen Hochschulmisere begraben. Die Universitäten, argumentierte deswegen auch der wie immer über allen Parteien stehende Nationalratspräsident Andreas Khol, seines Zeichens selbst Universitätsprofessor, würden mit dem neuen Universitätsorganisationsgesetz (UOG) 2002 aus jener Sackgasse herausgeführt werden, in die sie Kreisky und Firnberg gebracht hätten. Doch damit macht er sich die Sache sicher zu einfach. Ein Kern des UOG von 1975 bestand in der Verankerung der Mitbestimmung in allen universitären Gremien. Professoren, der so genannte Mittelbau (Assistenten), aber auch Studierende sollten an der demokratischen Willensbildung in Angelegenheiten der Universität teilnehmen können. Schon davor, im Jahr 1972, erfolgte die Gebührenbefreiung an allen Universitäten.
Zwei wesentliche Zielsetzungen waren also mit dieser Reform verbunden: Die Demokratisierung der universitären Strukturen einerseits, die Öffnung der Hochschulen für möglichst alle gesellschaftlichen Schichten andererseits. Damit machte sich die Sozialistin Firnberg natürlich nicht nur Freunde. Die Reform stieß auf Ablehnung von vielen Professoren, die Teile ihrer Macht abgeben mussten. Sie fand ihre Gegnerschaft aber auch in einer konservativen Wissenschaftspolitik, die einem elitären Modell verpflichtet war.
Heute haben die Universitätsreformen der Siebzigerjahre kein gutes Image. Ineffizienz, »Gremialismus«, mangelnde Entscheidungsfähigkeit und Abhängigkeit von den ministeriellen Strukturen sind nur -einige der Vorwürfe, die, teils zu Recht, erhoben wurden. Auch muss zugegeben werden, dass vieles, das damals intendiert war, nicht erreicht worden ist. Den Hochschulzugang für alle zu öffnen scheiterte nicht nur an sozialen, sondern auch an kulturellen Barrieren: Nach wie vor ist der Anteil der Studierenden aus Arbeiterhaushalten oder Bauernfamilien geringer als jener aus den Mittel- und Oberschichten. Die Welt der »großen Wörter«, die der aus bäuerlichem Milieu stammende österreichische Schriftsteller Franz Innerhofer beschrieben hatte, erwies sich auch nach dem Wegfallen finanzieller Hindernisse für viele als schwer zugänglich. Aber dennoch: Der Umstand, dass nicht alle gesellschaftspolitischen Zielsetzungen erreicht worden sind, bedeutet nicht automatisch, dass diese Zielsetzungen falsch waren.
Hinter Modelle der Mitbestimmung und den freien Hochschulzugang sollte -eigentlich kein Weg zurück führen. Die Reformen der jetzigen Regierung gehen in die entgegengesetzte Richtung. Sie unterscheiden sich eben nicht nur dadurch, dass sie angeblich professioneller gemacht sind – was angesichts der Realität an den Hochschulen schwer nachvollziehbar ist – sondern vor allem auch in ihren gesellschaftspolitischen Zielsetzungen von der Wissenschaftspolitik der Siebzigerjahre. Nicht in der Demokratisierung der Hochschulen, sondern in der Wiedereinführung der Professorenuniversität bei gleichzeitiger Abwertung der Mitbestimmungsmöglichkeiten des Mittelbaus und der Studierenden scheint ihr Kern zu liegen. Neben der starken Person des Rektors, der zu einem umfassenden Wissenschaftsmanager avancierte, dessen Kompetenzen massiv gestiegen sind, wacht ein Universitätsrat über das Geschehen.
Politische Umfärbung
Sind diese neue Strukturen nun effizienter, die Hochschulen wirklich unabhängiger? Einerseits stellt sich die Frage, ob die darin vertretenen Personen aus Wirtschaft und Gesellschaft auch fachlich kompetente und nicht nur politisch genehme Berater/innen im Wissenschaftsbereich sind – insbesondere einige von der Regierung nominierte Räte warben bei der letzten Nationalratswahl eifrig für Bundeskanzler Schüssel. Andererseits kamen diese Universitätsräte auch deswegen ins Gerede, weil sich Persönlichkeiten aus fragwürdigem politischen Milieu darunter befanden:
»Burschenschaftlichen bzw. rechtsextremen Hintergrund« ortete das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) in manchen Fällen. Statt der rhetorisch viel strapazierten Entpolitisierung schien also wieder einmal politische Umfärbung auf der Tagesordnung zu stehen.
Dazu passt auch die jüngst von der ÖVP initiierte Novelle des Hochschülerschaftsgesetzes: Denn durch die Abschaffung der Direktwahl der ÖH wird nicht nur die studentische Interessenvertretung generell geschwächt. Wie durch Zufall würde eine Umlegung der derzeitigen Kräfteverhältnisse auf das neue Wahlrecht auch eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse zugunsten der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft bedeuten. Aus rot-grün mach schwarz-blau. So einfach geht das.
Die Wissenschaftspolitik wiederum bestimmt heute ein Forschungsrat (Rat für Forschung und Technologieentwicklung) wesentlich mit, der vor allem die Anschlussfähigkeit an die Wirtschaft gewährleistet sehen will. Doch während dies bei manchen Studien wünschenswert sein mag, sind damit Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften vor unlösbare Probleme gestellt.
Wie soll ein Ägyptologe wirtschaftsnah arbeiten, wie ein Sprachwissenschaftler betriebswirtschaftliches Denken fördern? Bedeutet die einseitige Ausrichtung an ökonomischen Imperativen nicht eine Abkehr von der Idee der Universität, die ihr eigentliches Ziel ja im unabhängigen Forschen und nicht im vorgeschriebenen Nutzen hatte?
Intellektuelle Reservearmee
Dramatisch sind die Veränderungen nicht nur im politischen und wirtschaftlichen Bereich – auch sozial betrachtet sind massive Verschlechterungen festzustellen. Dies betrifft nicht nur die Studierenden. Sie werden durch Studiengebühren belastet (Studierende aus Nicht-EU-Staaten müssen die doppelte Studiengebühr zahlen!), die mit keinerlei Verbesserungen der Studiensituation verbunden sind. Eine Halbierung der ERASMUS-Stipendien von 12 auf 6 Monate (Internationalisierung!) scheint nun spät, aber doch wieder rückgängig gemacht zu werden.
Drastisch sind die Einschnitte aber auch, was die Arbeitsbedingungen am unteren Ende der Universitätshierarchie betrifft. Da es sich dabei um Gruppen mit schwachen oder keinen Lobbys handelt, blieb dies von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Geschaffen wurde zum Beispiel die Kategorie von »wissenschaftlichen Mitarbeiter/inne/n in Ausbildung«, die vielfach de facto die Arbeit von früheren Assistenten verrichten, aber mit dem Argument, (gleichzeitig) ihre Dissertation fertigstellen zu können, nur den halben Lohn erhalten. Besonders betroffen ist aber auch jene Berufsgruppe, die bisher sehr viel zur thematischen Öffnung, zur Anbindung an die praktische Forschung und zur Erweiterung des Studienprogramms beigetragen hat: die externen Lektorinnen und Lektoren. Das ist jene Personengruppe von meist hauptberuflichen außerhalb der Universität tätigen Wissenschaftler/innen, die Lehraufträge anbieten, in die sie ihre Forschungs-praxis einbringen.
Gerade angesichts schwindender Ressourcen im »freien« (also institutionell ungebundenen) Forschungsbereich ist für manche von ihnen die Lehre an der Universität allerdings längst zu einem wesentlichen Teil ihres Erwerbs geworden, die auch nötige Versicherungsleistungen miteinschloss. Während nun an den meisten Universitäten der Personalmangel ein überaus ernstes Problem darstellt, setzt gleichzeitig bei dieser Gruppe eine neue (Personal-)Einsparungsoffensive an. Ihre Lehraufträge werden in der Bezahlung (sofern nicht gänzlich gestrichen) um ein bis zwei Drittel gekürzt! Angesichts nicht gerade üppiger bisheriger Honorierung und bereits vorangegangener Kürzungen in den Neunzigerjahren kann dies vielfach nur als »Einladung« an die Externen verstanden werden, ihre Lehrtätigkeit einzustellen.
Obgleich die Praxis durch die Autonomie der jeweiligen organisatorischen Einheiten variiert, zeichnet sich eine klare Tendenz ab, Lehraufträge so weit herabzustufen, dass die Lektorinnen und Lektoren bei einer zweistündigen Lehrveranstaltung im Semester unter die Geringfügigkeitsgrenze und somit auch aus der Sozialversicherung hinausfallen.
Am dramatischsten ist die Situation am Wiener Institut für Geschichte, wo künftig statt der höchsten Bezahlungsstufe von 2400 Euro brutto nur mehr rund 900 Euro pro Semester für eine zweistündige Lehrveranstaltung bezahlt werden sollen. Das ergäbe selbst nach den äußerst unrealistischen (weil die Vorbereitungszeiten zu knapp bemessenden) Arbeitszeiten, welche die Wiener Universität ihren neuen Verträgen zugrunde legt, einen Stundenlohn von (unversteuert und ohne Sozialversicherung) rund 10 Euro!
Dies ist nicht nur ein frivoler Lohn für qualifizierte Arbeit, sondern bedeutet – aufgrund der unterschiedlichen Handhabung auf verschiedenen Fakultäten, Fachbereichen und Instituten – eine eklatante Ungleichbehandlung gleicher Tätigkeiten.
Doch da die Alternativen für viele gering und das »symbolische Kapital« universitärer Tätigkeit die monetäre Unterdotierung mildert, wird es wohl auch für jene, die unter diesen Bedingungen ihre Tätigkeit einstellen, rasch Ersatz geben. Denn die Arbeitslosigkeit unter Akademiker/inne/n hat längst eine intellektuelle Reservearmee entstehen lassen, die auch unter schlechtesten Bedingungen nachrücken könnte. »Prekarisierte«, also in prekären sozialen Verhältnissen lebende Intellektuelle, sind eben erpressbar. Was liegt also näher, als genau bei jener Gruppe den Sparstift anzusetzen?
R E S Ü M E E
Zwei Systeme?
Auch wenn die Betroffenheit von Standort zu Standort verschieden ist: Das Gesamtbild der österreichischen Universitätslandschaft ist schon etwas düster. Mitbestimmungsmöglichkeiten werden eingeschränkt, Zugangsbarrieren teils bereits errichtet, teils diskutiert, Gegensätze im ohnedies durch Ungleichheiten geprägten Universitätssystem noch vertieft. Es ist Vorsicht angesagt, damit nicht weitere Restriktionen ein immer schlechter werdendes universitäres System für die »Allgemeinheit« gegenüber einem hoch dotierten, mit entsprechenden Gebühren und privatwirtschaftlichen Strukturen ausgestatteten elitären Ausbildungssystem zurückdrängen. Denn spätestens dann drohte massiver Schaden für das Bildungssystem, aber auch für die Gesellschaft: Wenn Universitäten, die immer noch zentralen Ausbildungs- und Forschungsstätten des Landes, auf Ökonomisierung und Hierarchisierung verpflichtet werden – so bedeutet dies einen politischen Schaden, der auf die Gesellschaft zurück wirkt.
Wenn viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weggehen oder der Wissenschaft den Rücken kehren (gerade diese Gruppe zählt ja aufgrund der langen Ausbildungszeit auch zu den Verlierern der Pensionsreform!), dann ist intellektueller Schaden unabwendbar. Verbunden damit ist eine Einengung der wissenschaftlichen Perspektive, denn was sukzessive zurückgedrängt werden wird, sind jene Bereiche, die sich ökonomisch nicht eindeutig rechtfertigen können. Dazu zählt auch eine gegenüber der Gesellschaft kritisch orientierte Forschung, von der jede Veränderung lebt.
Die Frage lautet: Was ist das Ziel der Wissenschaftspolitik – und dies ist auch gesellschaftspolitisch zu definieren. Ökonomisierung und Nutzenanwendung allein greifen jedenfalls zu kurz.
Von Günther Sandner (Politologe und Lehrbeauftragter
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