Seit mehr als 60 Jahren bietet die Sozialakademie der Arbeiterkammer (SOZAK) engagierten BetriebsrätInnen das nötige Know-how, um in allen Bereichen der modernen Gesellschaft die Interessen der Beschäftigten noch besser vertreten zu können. Am 14. April 1949 kündigte Karl Mantler, Präsident der AK Wien, in der Arbeiterzeitung die Gründung einer Arbeiterhochschule an, um das durch Naziherrschaft und Krieg „entstandene Vakuum an Funktionären möglichst rasch wieder aufzufüllen und der Interessenvertretung der Arbeiterschaft und dem Gewerkschaftsbund neue, geschulte Kräfte zur Bewältigung ihres Aufgabenkreises zuzuführen.“ Nur sieben Monate später, im November 1949 startete der erste Lehrgang der neuen Sozialakademie.
Ab 1950 Karl-Weigl-Bildungsheim
Anfangs waren die 30 männlichen und vier weiblichen TeilnehmerInnen aus ganz Österreich interimistisch im ÖGB-Bildungsheim Neuwaldegg untergebracht. Das für die SOZAK vorgesehene Karl-Weigl-Bildungsheim Mödling/Hinterbrühl war dann rechtzeitig zu Beginn des zweiten Jahrgangs im September 1950 bezugsfertig. Es war im Übrigen nicht nur mit einem Lehrsaal, Bibliothek und Studierzimmern ausgestattet, sondern auch mit Wohnräumen für die LehrgangsteilnehmerInnen und das Personal. Der Frauenanteil blieb mit durchschnittlich acht Prozent während der ersten 50 Jahre sehr niedrig, was vermutlich unter anderem auch damit zusammenhing, dass das Höchstalter der TeilnehmerInnen anfangs mit 35 Jahren beschränkt war, und zehn Monate Abwesenheit von zu Hause für Frauen mit Kindern nur schwer machbar war. Seit einigen Jahren gibt es durchaus auch AbsolventInnen jenseits der 40. Ab etwa 1990 stieg der Frauenanteil kontinuierlich bis auf den aktuellen Stand von rund einem Drittel.
Heute werden die Lehrgänge im Bildungszentrum der AK Wien abgehalten, und wie vor 60 Jahren erhalten die TeilnehmerInnen eine umfassende fachliche Ausbildung in Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, politischer Ökonomie, Sozialpolitik/Sozialversicherung, Politik, Arbeitsrecht und Arbeitsverfassung. Die zehnmonatigen Lehrgänge werden ganztägig geführt, die gesamten Kosten werden von den Arbeiterkammern übernommen. Gewerkschaften und der ÖGB nominieren in den einzelnen Bundesländern KandidatInnen aus ganz Österreich. Die Arbeiterkammern übernehmen auch den Verdienstentgang der nominierten TeilnehmerInnen (bis zur Grenze der Höchstbeitragsgrundlage der gesetzlichen Krankenversicherung). BewerberInnen sollten Erfahrungen in der betrieblichen und/oder überbetrieblichen Interessenvertretung sowie gewerkschaftliche Vorbildung (Grundkurse der Gewerkschaften, Gewerkschaftsschule etc.) vorweisen können. Ebenfalls erforderlich: hohe Lernmotivation und große Leistungsbereitschaft.
Neue Managementstrategien sowie gesellschaftliche und politische Veränderungen stellen die ArbeitnehmerInnenorganisationen vor besondere Herausforderungen. Die SOZAK will mit ihrem Ausbildungsprogramm den aktuellen Veränderungen begegnen. Dementsprechend breit gestreut sind Themen und Ziele der Lehrgänge. Die TeilnehmerInnen lernen dort, komplexe politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse, deren Ursachen und Auswirkungen auf die Arbeitswelt zu analysieren. Sie lernen, Instrumente der Interessendurchsetzung effizient einzusetzen, politische Interessen, Werte und Ideologien zu reflektieren sowie in kritischer Identifikation mit den ArbeitnehmerInnenorganisationen die eigene Rolle als ArbeitnehmervertreterIn zu gestalten. SOZAK-AbsolventInnen sollen strategisch denken und handeln, Interessen organisieren und mobilisieren können, kurz gesagt, mit den immer differenzierteren Interessenlagen von ArbeitnehmerInnen umgehen können. Schon bei der Gründung der Sozialakademie stand fest, dass kein reiner Vorlesungsbetrieb gewünscht wird, sondern die Teilnehmenden vieles selbst erarbeiten sollen. Diese Idee wurde im Laufe der Zeit ausgebaut. Bei Diskus-sionen, Projektarbeiten oder dem kritischen Frühstücksdiskurs mit JournalistInnen und ExpertInnen können die TeilnehmerInnen selbst aktiv werden. In jedem Lehrgang gibt es außerdem spezielle Schwerpunktthemen (Bildungsbausteine) wie Migration, Gender, Medien etc., die besonders intensiv behandelt werden.
Erfahrungen im Ausland
Um auf internationaler und vor allem europäischer Ebene kompetent gewerkschaftlich agieren zu können, wird seit einigen Jahren verstärkt auf internationale Umstände eingegangen. Allerdings sollen dabei nicht nur Englischkenntnisse und theoretisches Wissen vermittelt, sondern auch praktische Erfahrungen gesammelt werden. Bestandteil dieses Schwerpunkts war im vorigen Lehrgang etwa eine EU-Intensivwoche inklusive Studienreise nach Brüssel. Die Studienreise war auch eine Vorbereitung auf eine wichtige Neuerung, denn die 24 TeilnehmerInnen des 60. Jahrgangs 2010/11 waren die ersten, die im Rahmen ihrer Ausbildung unter dem Titel „Hinterm Horizont geht’s weiter“ auch ein einmonatiges Auslandspraktikum absolvierten. Georg Sever, Abteilung Weiterbildung für ArbeiternehmervertreterInnen AK Wien: „Dieses Praktikum ist keineswegs nur ein Anhängsel an neun Monate Unterricht, sondern integraler Bestandteil des SOZAK-Gesamtkonzepts. Die TeilnehmerInnen wurden intensiv vorbereitet und jede/r erhielt für den Auslandsaufenthalt einen speziellen Arbeitsauftrag.“ Allen PraktikantInnen wurden während des Auslandsmonats von der Lehrgangsleitung und der Gewerkschaft ausgewählte BetriebsrätInnen oder GewerkschaftssekretärInnen der jeweiligen ausländischen Organisation zur Seite gestellt. Diese fachkundige Betreuung und gegebenenfalls auch Unterstützung in organisatorischen Angelegenheiten sind wichtige Bestandteile, denn nur so kann gewährleistet werden, dass das SOZAK-Auslandspraktikum den größtmöglichen Mehrwert für die TeilnehmerInnen und die entsendenden Organisationen mit sich bringt.
In insgesamt zehn europäischen Ländern (Schweden, Finnland, England, Türkei, Irland, Deutschland, Polen, Belgien, Niederlande, Schweiz) konnten die PraktikantInnen vor Ort erfahren, unter welchen Bedingungen KollegInnen dort arbeiten, wie die ArbeitnehmerInnenvertretungen organisiert sind etc. Christian Biegler, Landesjugendsekretär von PRO-GE Niederösterreich, war in Brüssel bei der AK Europa: „Ohne dieses gut ausgestattete Büro in Brüssel wäre es sehr viel neoliberaler in der EU. Ich bin davon überzeugt, dass in einer globalisierten liberalen Welt die internationale Gewerkschaftsbewegung wichtiger ist als am Anfang des vorigen Jahrhunderts.“
Auf dem Programm standen neben dem Austausch mit ausländischen KollegInnen unter anderem auch Betriebsbesichtigungen, Gespräche mit PolitikerInnen, GewerkschaftsfunktionärInnen etc. Sabine Schwarzendorfer, Regionalsekretärin in der oberösterreichischen GPA-djp, konnte beispielsweise bei ver.di in München sogar einen Streik- und Aktionstag live miterleben: „Bei strömendem Regen haben rund 500 ArbeitnehmerInnen bzw. BetriebsrätInnen von H&M, REWE, Dehner, Karstadt etc. an der Kundgebung teilgenommen. Es hat mich sehr gefreut, dass ich als Vertreterin der österreichischen Gewerkschaft begrüßt wurde, das machte natürlich Eindruck bei den Beschäftigten, dass auch jemand aus Österreich am Streik beteiligt ist.“ Profitiert haben alle von ihrem Praktikum, sie haben nicht nur viel gelernt, sondern auch Ideen gesammelt (etwa punkto Mitgliedergewinnung), neue Kontakte geknüpft und Impulse für die zukünftige länderübergreifende Zusammenarbeit bekommen. Die Erfahrungen der 24 AuslandspraktikantInnen sollen bald in einem Buch veröffentlicht werden.
Internet:
Die AbsolventInnenplattform:
www.ichwardabei.at/sozak
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Von Astrid Fadler (Freie Journalistin)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2011.
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