Die 2007 verabschiedeten gemeinsamen Grundlagen für die EU-Außenbeziehungen1 gehen von der Annahme aus, dass die EU bis 2030 bis zu 70 Prozent ihres Energiebedarfs mithilfe von Importen decken muss. Bisher konzentrierte sich der Import von Gas oder Öl auf zum Teil politisch instabile Länder oder autoritär geführte Staaten, bei denen die Gefahr von Lieferausfällen und von Anschlägen auf Produktionsanlagen oder Pipelines durchaus real sind.
Die Abhängigkeit von russischem Gas wurde während der sogenannten Gaskriege Russlands mit der Ukraine im Winter 2005/2006 und Weißrussland ein Jahr später sehr deutlich. Dies lässt die EU nach neuen Energiequellen Ausschau halten.
EU-Energiepolitik
Die Energieimporte setzten sich für das Jahr 2010 wie folgt zusammen: Russland 35 Prozent, Norwegen 27 Prozent, Algerien 14 Prozent, Katar acht Prozent, Libyen und Nigeria je drei und zehn Prozent von anderen. Bei den Energieträgern steht somit die Kernenergie mit 28 Prozent immer noch an erster Stelle, gefolgt von erneuerbaren Energien (20 Prozent) und Kohle (20 Prozent) sowie Erdgas (19 Prozent).
Die Herausforderungen für die EU-Energiepolitik sind die wachsende Energienachfrage der sogenannten Schwellenländer sowie die Abhängigkeit von Energieimporten. Außerdem bestimmen Klimaschutz, Umweltschutz und Wettbewerbsfähigkeit die EU-Energieaußenpolitik (EAP).
Global betrachtet könnten die USA ab 2015 aufgrund der dortigen Schellgasfunde und verbesserter Technologien zu einem Exportland für Erdgas werden. Gleichzeitig stehen der wachsenden Nachfrage aus den Schwellenländern neue Gasproduzenten in Ostafrika gegenüber. Schon heute beteiligen sich asiatische Unternehmen dort mit umfangreichen Investitionen. Kanada und Australien produzieren ebenfalls Schellgas2 in großem Umfang. Der zunehmende Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Produzenten dürfte schnell zu einem Preisverfall führen.
Konzentration auf den Binnenmarkt
Der EU mangelt es hingegen im Hinblick auf ihre EAP nach wie vor an einer koordinierten Herangehensweise. Die bisherigen Reformen konzentrierten sich vor allem auf den Energiebinnenmarkt, während Länder wie z.B. Deutschland sich immer noch auf nationale Lösungen beschränken. Dem soll die 2010 verabschiedete Erdgasbinnenmarktrichtlinie3 entgegenwirken, die auf koordinierte Gaseinkäufe und langfristige Lieferverträge abzielt. Um die Transparenz bei bilateralen Lieferverträgen zu erhöhen, wurde im September 2012 eine neue Strategie zur Verbesserung des Informationsaustausches innerhalb der EU eingeführt, die vor allem eine Konsultation mit der Kommission vorsieht.
Die Gasfunde vor Zyperns Küste befinden sich in der Nähe der beiden israelischen Gasfelder Leviathan und Tamar, wo zudem Erdöl vermutet wird. Für die Förderung des Gases und dessen Verkauf gibt es politische und wirtschaftliche Hindernisse. Die größte Hürde dürfte das Zypernproblem sein.
Der Zypernkonflikt
Die Türkei beansprucht einen beträchtlichen Teil von Zyperns „Ausschließlicher Wirtschaftszone“ (AWZ) und somit auch Nutzungsrechte an den dortigen Ressourcen und sieht sich als Interessensvermittlerin der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern.
Die Republik Zypern vertritt jedoch völkerrechtlich auch diese türkischen Zypriotinnen und Zyprioten. Denn offiziell ist auch der Nordteil der Insel im Jahr 2008 der EU beigetreten, wobei jedoch der Acquis communautaire bis zu einer Lösung des Zypernproblems im Norden ausgesetzt ist. Mögliche Einnahmen aus den Gasfunden stehen also beiden Bevölkerungsgruppen zu. Bei den Vertragsabschlüssen mit den an der zukünftigen Gasförderung beteiligten Energieunternehmen waren die türkischen Zypriotinnen und Zyprioten jedoch nicht beteiligt. Diese völkerrechtlich komplizierte Situation mag auch ein Grund dafür sein, dass sich die EU bisher zurückgehalten hat, zumal die Türkei schon ihre Marine vor der Südküste Zyperns aufkreuzen ließ.
Zum anderen sorgt die geopolitische Lage im östlichen Mittelmeer für Schwierigkeiten. Um das Erdgas kosteneffizient zu fördern, müssen alle Anrainerstaaten zusammenarbeiten.
Fördervarianten
Seit März 2013 befindet sich Zypern unter der Kontrolle der Troika bestehend aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank. Das Defizit liegt derzeit bei 6,3 Prozent, die Arbeitslosigkeit bei 17,1 Prozent. Der IWF erwartet, dass die zypriotische Wirtschaft 2013 um 8,7 Prozent und 2014 um 3,9 Prozent schrumpfen wird. Angesichts der desolaten wirtschaftli-chen Situation der Insel hegen viele Zypriotinnen und Zyprioten die Hoffnung, dass mögliche Gaseinnahmen das Land aus der wirtschaftlichen Rezession herausholen.
Bei einer Flüssigerdgas-(LNG-)Anlage rechnen sich Investitionen erst ab einem Gasvorkommen von sechs Tcf (trillion cubic feet). Die von der US-Energiefirma Noble durchgeführten Tests lassen jedoch darauf schließen, dass im untersuchten Feld lediglich ca. 3,6 bis sechs Tcf Erdgas mit einem mittleren Wert von zirka fünf Tcf vorhanden sind. Der genaue Umfang der Gasvorkommen kann mit Sicherheit jedoch erst in ein bis zwei Jahren festgestellt werden.
Bei einer LNG-Anlage müsste sich Zypern nicht an das bestehende Pipeline-Netz, das bereits israelisches Gas in die Türkei liefert, anschließen und könnte somit unabhängig von der Türkei das Gas vertreiben. Auf der Insel würden permanente Arbeitsplätze im technischen und logistischen Bereich geschaffen. Der bankrotte zypriotische Staat müsste sich nach privaten Investoren umsehen. Wegen der erwarteten Überkapazitäten auf dem weltweiten Gasmarkt und der damit verbundenen fallenden Gaspreise ist eine solche Investition in eine LNG-Anlage bei einer Fertigstellung frühestens 2020 zumindest zum jetztigen Zeitpunkt wirtschaftlich fragwürdig. Eine Gasverflüssigungsanlage würde sich erst rentieren, wenn sie zusammen mit anderen Anrainerstaaten betrieben würde.
Sogenannte Floating-LNG-(FLNG-)Anlagen, d. h. schwimmende Anlagen, wären eine Alternative. Sie könnten schneller gebaut werden und somit schneller Gewinne abwerfen. Langfristig würden jedoch keine Arbeitsplätze für die Zypriotinnen und Zyprioten geschaffen, obwohl für Zypern die Einnahmen schneller fließen würden. Die Strompreise, die zu den höchsten innerhalb der EU zählen, dürften drastisch sinken und somit die EndverbraucherInnen finanziell entlasten.
Lieferant für die EU
Um Gas zu exportieren, müsste sich Zypern am europäischen Markt orientieren. Das Land könnte als EU-Mitgliedsland ein geografisch naher und zuverlässiger Lieferant für die EU sein. Zudem sieht die 2015 in Kraft tretende Konvention der Internationalen Schifffahrtsorganisation (International Maritime Organisation – IMO) für den CO2-Ausstoß eine drastische Reduktion vor. Das bedeutet mittel- bis langfristig das Aus für schwere Treibstoffe.
Chancen und Möglichkeiten
Zur Forcierung der Umstellung will Deutschland grenzüberschreitende Pilotprojekte unterstützen und LNG als Alternative zum Schweröl attraktiver machen. Hier könnte das im östlichen Mittelmeer geförderte Gas eine wichtige Rolle spielen.
Für Zypern ergäbe die langfristige Umstellung in der Schifffahrt auch die Möglichkeit, einen sicheren Bunkerhafen für die im östlichen Mittelmeer verkehrenden Schiffe zu errichten und Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes mit einer LNG-Infrastruktur im Mittelmeer zu werden. Für die EU könnte sich eine nachhaltige Energiepartnerschaft entwickeln. Grundvoraussetzung dafür ist jedoch die Einigung der beiden Bevölkerungsgruppen über eine Lösung des Zypernproblems.
1 Berliner Erklärung vom 25. März 2007.
2 Schiefergas, sogenanntes „unkonventionelles“, in Tonsteinen gespeichertes Erdgas.
3 Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt (Erdgasbinnenmarktrichtlinie; Bestandteil des Dritten Energiebinnenmarktpakets).
Gastbeitrag zum Thema von Hugh Pope in der „Zeit“ vom 24. September 2013:
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Von Ute Boeros, Freischaffende Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung, Zypern
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/14.
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