Seit der Gründung 1952 wurden die Kompetenzen des Europäischen Parlaments schrittweise immer weiter ausgebaut. Durch den im Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon sollten unter anderem die Entscheidungsfindungen und Beschlüsse der EU-Gremien transparenter und demokratischer werden.
Die drei wichtigsten Aufgabenbereiche des Europäischen Parlaments sind:
- Erörterung und Verabschiedung von EU-Rechtsvorschriften: In Zusammenarbeit mit dem Rat der EU ist das Parlament jetzt in den meisten Politikbereichen für die Gesetzgebung verantwortlich. Nur bei der Koordinierung der Wirtschaftspolitik sowie in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) werden die wichtigsten Entscheidungen weiterhin im Rat getroffen. Allerdings ist die Zustimmung des Parlaments zu Erweiterungen der EU und zu den meisten internationalen Abkommen erforderlich. So hat das Parlament etwa eine Reihe von Finanzprotokollen mit Drittländern unter Hinweis auf die Menschenrechte abgelehnt.
- Kontrolle anderer EU-Institutionen, insbesondere der Kommission, um eine demokratische Arbeitsweise zu gewährleisten: Wenn eine neue Kommission bestellt wird, muss das Parlament zustimmen. Der Kommissionspräsident wird von den Regierungen – auf Basis der Ergebnisse von EU-Wahlen – vorgeschlagen und vom Parlament gewählt.
- Erörterung und Verabschiedung des EU-Haushalts in Zusammenarbeit mit dem Rat: Schon vor 2009 hatte das EU-Parlament das Budgetrecht, allerdings mit Ausnahme der Ausgaben für die Gemeinsame Agrarpolitik, die mehr als 40 Prozent des Etats ausmachten. Durch die Einbeziehung des Agrarsektors entscheidet das Parlament heute gemeinsam mit dem Rat über den Haushaltsplan der EU.
Trilog mit Rat und Kommission
Mehr als 2.000 Rechtsakte wurden im Jahr 2012 von Rat, Parlament und Kommission bearbeitet – die meisten im Rahmen des sogenannten ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens: Die EU-Kommission hat das alleinige Initiativrecht, nur sie kann dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Entwurf für einen Rechtsakt vorlegen. Danach folgen die Lesungen inklusive Abänderungen des Entwurfs im Parlament und im Rat. Stimmt der Rat den Änderungsvorschlägen des Parlaments nach der zweiten Lesung nicht zu, dann wird der Entwurf einem Vermittlungsausschuss mit Delegierten von Rat und Parlament übermittelt. Nach diesem Einigungsverfahren folgt die dritte Lesung. Wenn diese Abstimmung negativ ausfällt, aber auch wenn das Einigungsverfahren kein Ergebnis bringt, ist das Verfahren beendet. In der Praxis gibt es meist schon vor der offiziellen Vorlage informelle Treffen zwischen der Kommission, den zuständigen Ausschüssen des Parlaments und dem Rat (= Trilog), so dass die meisten Entscheidungen relativ bald fallen.
Die Kommission schlägt vor
Gesetzesinitiativen erfolgen also immer durch die Kommission, allerdings können das Parlament und der Rat die Kommission auffordern, einen bestimmten Vorschlag zu unterbreiten. Evelyn Regner, seit 2009 Abgeordnete im Europäischen Parlament (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten), nennt die Finanztransaktionssteuer als Beispiel für eine solche parlamentarische Initiative: „Insgesamt kann man sagen, dass das Parlament trotz einer konservativen Mehrheit immer eher auf der Seite der ArbeitnehmerInnen und des Mittelstands ist.“ Im Übrigen wurde mit der Kommission vereinbart, dass Initiativvorschläge mit einer parlamentarischen Zweidrittelmehrheit von der Kommission immer als Gesetzesvorlage eingebracht werden. „Im Grunde können wir eigentlich immer wesentlich mitgestalten“, so Regner, „denn die Kommissionsvorschläge können ja vom Parlament verändert werden. Manchmal gibt es mehr als 1.000 Abänderungsanträge pro Gesetzesvorlage.“
Gelbe Karte für die EU
Am Beginn jedes Legislativverfahrens werden die Texte auch den nationalen Parlamenten übermittelt, die ihr Statement dazu abgeben können. Der jeweils zuständige parlamentarische Ausschuss prüft vor allem, ob das Vorhaben mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Dieses geht davon aus, dass die EU nur dann tätig wird, wenn die Ziele der geplanten Maßnahme nicht ausreichend auf nationaler oder lokaler Ebene verwirklicht werden können. Einspruch erhebt ein Parlament, indem es innerhalb von acht Wochen eine begründete Stellungnahme beschließt (Subsidiaritätsrüge). Jeder Mitgliedsstaat hat in diesem Verfahren zwei Stimmen, in Österreich werden diese auf Bundesrat und Nationalrat aufgeteilt. Sobald mehr als ein Drittel der Stimmen der nationalen Parlamente gegen einen Legislativvorschlag Einspruch erhebt, muss dieser erneut geprüft werden (Gelbe Karte). Es besteht für die EU aber keine Verpflichtung, den Vorschlag tatsächlich zu verändern. Erst wenn mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten negative Stellungnahmen abgibt (Orange Karte), muss die Kommission begründen, warum ihr Vorschlag mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht. Erstmalig zeigten die nationalen Parlamente die Gelbe Karte 2012 bei der geplanten „Monti-II-Verordnung“, mit der die Kommission Streikrechte mit der Begründung der wirtschaftlichen Marktfreiheiten des Binnenmarktes einschränken wollte.
Evelyn Regner erinnert sich aber auch an den umgekehrten Fall: „Beim Thema Frauenquoten waren nationale Parlamente der Meinung, das wäre keine EU-Angelegenheit. Mit der Begründung, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen seit Jahrzehnten zwar theoretisch per Gesetz durchgesetzt, aber bis dato in der Realität nicht in allen Bereichen vollzogen wurde, verlief die Subsidiaritätsrüge ergebnislos.“
Internetplattform IPEX
Für eine bessere interparlamentarische Zusammenarbeit in EU-Angelegenheiten wurde 2006 die Internet-Plattform für Informationsaustausch in EU-Angelegenheiten (IPEX) eingerichtet. Hier können alle Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten, der Beitrittskandidatenländer sowie das Europäische Parlament Informationen veröffentlichen. Auf diese Weise können auch die entsprechenden Mehrheiten für Subsidiaritätsrügen leichter und zeitgerecht gefunden werden.
In Richtung „Sozialunion“
Mit dem Lissabon-Vertrag hat sich einiges in der EU verändert, unter anderem hat sich die EU in Richtung „Sozialunion“ entwickelt und beschränkt sich längst nicht mehr auf die Kernbereiche Wirtschaft und Landwirtschaft.
Der Politikwissenschafter und EU-Experte Andreas Maurer gibt allerdings zu bedenken, dass es auch mehr oder minder deutliche Versuche gebe, die Position des EU-Parlaments zu schwächen, etwa „wenn gefordert wird, dass nur die Euro-Länder bei Euro-Themen abstimmen dürfen, dann ist das eine deutliche Benachteiligung jener Länder, die in Kürze ihre Währung umstellen und mit diesen Beschlüssen dann leben müssen“.
Zahlen & Fakten
Nach den Wahlen im Mai wird sich das EU-Parlament aus 750 Parlamentarierinnen und Parlamentariern plus dem für 2,5 Jahre gewählten Parlamentspräsidenten (seit Jänner 2012 Martin Schulz) zusammensetzen. Es gibt rund 20 parlamentarische Ausschüsse zu den verschiedenen Themenbereichen. Die Zahl der Abgeordneten pro Mitgliedsstaat variiert je nach Bevölkerungszahl zwischen sechs und 96 Delegierten, Österreich wird nach den Wahlen 19 statt wie bisher 18 Abgeordnete stellen. Zur Gründung einer Fraktion sind mindestens 25 Abgeordnete aus mindestens einem Viertel der Mitgliedsstaaten erforderlich.
Im April 2012 wurde als Instrument der politischen Teilhabe die Europäische Bürgerinitiative etabliert. Dafür müssen in zwölf Monaten eine Million gültige Unterstützungserklärungen in einem Viertel aller EU-Mitgliedsstaaten gesammelt werden, um die Kommission aufzufordern, für ein bestimmtes Anliegen einen neuen Rechtsakt auszuarbeiten und dem Parlament vorzulegen.
Europäisches Parlament – Informationsbüro für Österreich:
www.europarl.at
Grundlegende und aktuelle Infos, Dokumente, EPTV mit Live-Streams von Ausschuss-Sitzungen und Plenartagungen:
www.europarl.europa.eu
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Von Astrid Fadler, Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/14.
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