Noch nie in der Zweiten Republik waren so viele Menschen unselbstständig beschäftigt wie heute. Dennoch entwickelt sich die Summe der Arbeitseinkommen1 deutlich schwächer als die Unternehmens- und Vermögenseinkommen: Während erstere zwischen 2000 und 2010 durchschnittlich um 2,9 Prozent pro Jahr zunahmen, erhöhten sich Letztere im selben Zeitraum um durchschnittlich 4,5 Prozent pro Jahr – und das, obwohl der Einbruch der Gewinne und Vermögenserträge im Krisenjahr bei fast 16 Prozent lag2. Umgelegt auf die Zahl der unselbstständig Beschäftigten wuchsen die ArbeitnehmerInnenentgelte brutto um 2,3 Prozent pro Jahr, das entspricht einer realen jährlichen Zunahme von 0,6 Prozent. Aufgrund der Lohnsteuer- bzw. der Sozialversicherungsstatistik ist die Zahl der Beschäftigten statistisch dokumentiert und damit sowohl die Pro-Kopf-Einkommensentwicklung als auch die Verteilung der Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit bekannt. Bei der Anzahl der Unternehmens- und Vermögenseinkommensbeziehenden, aber vor allem bei der Verteilung dieser Einkommen tappen wir im statistischen Dunkeln. Grund dafür ist die Form der Besteuerung, die über das Unternehmen abgewickelt wird. Die Steuerstatistik gibt somit keine Auskunft darüber, an welche Personen die ausgeschütteten Gewinne fließen bzw. wie hoch die Nicht-Lohn-Einkommen jener Personen insgesamt sind, die solche Zuflüsse haben3. Diese Lücke lässt sich über einen Umweg schließen: Die Europäische Zentralbank erhebt Finanzen und Konsum der privaten Haushalte (Household Finance and Consumption Survey, HFCS). Hier werden von den privaten Haushalten neben der Verschuldung alle Sach- und Finanzvermögensbestände erhoben, sodass laufende Einkommen aus diesen Beständen ermittelt werden können und real existierenden Haushalten zurechenbar sind.
International ist in den vergangenen Jahrzehnten eine steigende Erwerbs-Einkommensungleichheit vorhanden4, die sich in den Einkommensdaten der Lohnsteuerstatistik auch für Österreich bestätigt. Dieser Trend ist einerseits durch die Zunahme der Niedriglohnbeschäftigung und der destandardisierten Beschäftigungsverhältnisse wie Teilzeitjobs oder geringfügige Beschäftigung getrieben. Andererseits ist er vom stärkeren Wachstum der Hochlöhne verursacht: Die 20 Prozent der Lohnsteuerpflichtigen mit den höchsten Einkommen hatten deutliche Einkommenszuwächse, während die Einkommen der (unteren) Hälfte der Lohnsteuerpflichtigen Einkommensrückgänge verzeichneten. Arbeitsplätze geschaffen wurden meist in eher gering bezahlten Dienstleistungsberufen, wo noch dazu der Frauenanteil überdurchschnittlich hoch und die Bezahlung unterdurchschnittlich ist.
Die Verteilungsschieflage bei Selbstständigen, soweit sie überhaupt in der Einkommensteuerstatistik erfasst sind, ist noch größer als bei den Unselbstständigen5: Die Verteilungsschieflage ist hier zwischen Gewerbetreibenden und freien Berufen und hier jeweils wieder zwischen Frauen und Männern besonders groß.
Verteilungsschieflage
Anhand eines wichtigen Maßes für Verteilungen lassen sich die Schieflagen der genannten Einkommen und Vermögen nachvollziehen: Der Gini-Koeffizient hat einen Wert zwischen 0 und 1, wobei null absolute Gleichverteilung bedeutet, während beim Wert 1 eine Person/ein Haushalt alles besitzt. Bei den Bruttoerwerbseinkommen weisen vollzeitbeschäftigte Männer die egalitärste Verteilung auf, dort beträgt er 0,336. Zum Vergleich: Bei allen aktiv Beschäftigten beträgt er 0,45. Am größten ist die Verteilungsschieflage bei den freiberuflich Tätigen, dort beträgt der Koeffizient 0,55. Die finanzielle Lebensgrundlage bilden neben dem Erwerbseinkommen auch staatliche Leistungen (Familienleistungen, Arbeitslosigkeitsleistungen etc.). Die verfügbaren Haushaltseinkommen (Erwerbs- und Kapitaleinkommen zuzüglich Transfers abzüglich Steuern und Abgaben) sind bei den Haushalten unselbstständig Erwerbstätiger gleichmäßiger verteilt als bei Selbstständigen. Dennoch erwirtschafteten 20 Prozent der Haushalte mit den niedrigsten verfügbaren Pro-Kopf-Haushaltseinkommen nach 2008 einen zunehmend niedrigeren Anteil am Gesamteinkommen, während das Gegenteil auf die 20 Prozent der Haushalte mit den höchsten verfügbaren Pro-Kopf-Haushaltseinkommen zutrifft. Insbesondere das Erwerbseinkommen ist im unteren Einkommensbereich deutlich zurückgegangen, wodurch die Haushalte in einem größeren Ausmaß auf Transfers (insbesondere Arbeitslosenleistungen) angewiesen sind. Bei den mittleren Haushaltseinkommen haben sich die Einkommensanteile seit 2007 hingegen relativ konstant entwickelt. Am größten ist die Ungleichverteilung bei den Vermögensbeständen: Die erwähnte HFCS-Statistik zeigt, dass zehn Prozent der Privathaushalte in Österreich über ein Nettovermögen von weniger als 1.000 Euro verfügen, während die reichsten zehn Prozent der Haushalte ein Nettovermögen von 542.000 Euro besitzen.
Neuausrichtung der Politik
Der vorhandene Trend zu steigenden Verteilungsschieflagen, der mit einer Verschlechterung der ökonomischen und damit sozialen Chancengleichheit breiter Bevölkerungsschichten einhergeht, muss durch eine Neuausrichtung der Politik gebremst werden. Wichtige Ansatzpunkte hierfür sind:
- Eine Ausweitung des lohnpolitischen Verhandlungsspielraums, d. h. eine stärkere Ausrichtung der Lohnsteigerungen am Produktivitätswachstum und am Anstieg der Verbraucherpreise. Dies wurde im Schnitt der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht erreicht.
- Von den Sozialversicherungsbeiträgen und der Einkommensteuer geht eine im internationalen Vergleich hohe Belastung für BezieherInnen niedriger und mittlerer Einkommen aus7, die es zu reduzieren gilt.
- Erhöhung der Progressivität des Steuersystems: LeistungsträgerInnen leisten Beiträge im Sinne ihrer Leistungsfähigkeit. Bei der Lohn- und Einkommensteuer ist dieses Prinzip verwirklicht, nicht aber bei den Nicht-Erwerbseinkommen. Nicht die Besteuerung an der Quelle, sondern eine Besteuerung der Personen, die Erträge aus Vermögen bekommen, ist ein erster Schritt in diese Richtung.
- Vermögensübertragungen verändern ebenfalls die ökonomische Leistungsfähigkeit der betroffenen Personen und sind damit ebenfalls bei der Behebung der Verteilungsschieflage in Österreich einzubeziehen.
1
Beschäftigtenzahl mal Bruttoverdienste.
2
Sozialbericht 2011–2012.
3
Guger, A./Mayrhuber, Ch./Scheiblecker, M.: Möglichkeiten zur Ermittlung und Systematisierung der Nicht-Lohn-Erwerbseinkommen und ihrer Verteilung in Österreich, WIFO-Monografie, Juni 2014, tinyurl.com/poh2pjq
4
Siehe etwa OECD, Divided We Stand – Why Inequality Keeps Rising, Paris 2011.
5
Mayrhuber, Ch./Leoni, Th./Marterbauer, M.: Entwicklung und Verteilung der Einkommen: Grundlagen zum Sozialbericht 2010, WIFO-Monografie, tinyurl.com/ofcfqh
6 Sozialbericht 2011–2012.
7 OECD, 2014, Taxing Wages, http://www.oecd.org/tax/tax-policy/taxing-wages.htm
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Von Christine Mayrhuber, Silvia Rocha-Akis, WIFO
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/14.
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