Für die Europäische Kommission soll es das Prestigeprojekt der Außenhandels- und Investitionspolitik der EU werden. Seit Beginn der Diskussionen um ein umfassendes transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, über das seit Juli 2013 verhandelt wird, rührt die Brüsseler Behörde die Werbetrommel: Der Abbau überflüssiger Hindernisse für Handel und Investitionen über den Atlantik werde die Wirtschaft ankurbeln und Millionen neuer Jobs schaffen. Doch trotz der wohlklingenden Versprechungen werden die Kritik an den intransparenten Verhandlungen und die geäußerten Bedenken zu den Verhandlungsinhalten nicht leiser. Im Gegenteil: Immer mehr kritische Stimmen – nicht zuletzt seitens der ArbeitnehmerInnenvertretungen – melden sich zu Wort, die im Zuge des Handelspaktes Deregulierung von wichtigen Standards und Regeln sowie privilegierten Schutz für transnationale Konzerne befürchten. Der Kampf um die Deutungshoheit hat daher längst begonnen.
Bisher drei Verhandlungsrunden
Worum geht es also bei den Verhandlungen zur transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und welche Gefahren bergen die Verhandlungen? Bislang haben die VertreterInnen der EU-Kommission und der US-Regierung drei Verhandlungsrunden hinter sich gebracht. Auf dem Programm stehen die weitreichende Liberalisierung des Handels mit Industriegütern, landwirtschaftlichen Gütern und Dienstleistungen und der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie die Verbesserung des Marktzugangs und des Schutzes ausländischer Investitionen. Auch der Schutz geistiger Eigentumsrechte soll mit dem Abkommen vorangetrieben werden.
Fragwürdige Wachstumsversprechen
All das soll laut einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie in einem Zeitraum von zehn Jahren zu einem Anstieg der Wirtschaftsleistung (BIP) in der EU von 0,5 Prozentpunkten führen – im optimistischen Szenario. Für das realistischere „weniger ambitionierte“ Szenario bleiben lediglich 0,27 Prozentpunkte übrig, was einem jährlichen BIP-Anstieg in diesem Zeitraum von nüchternen 0,027 Prozentpunkten entspricht.1 Von einer aussagekräftigen Prognose sind diese minimalen Zahlen ebenso weit entfernt wie vom versprochenen Wirtschaftsmotor. Doch selbst diese Ergebnisse sind aufgrund der fragwürdigen Annahmen, die den verwendeten ökonomischen Modellen zugrunde liegen, mit Vorsicht zu genießen.
Im Vergleich zu den zu hinterfragenden volkswirtschaftlichen Effekten sehen die Interessen der Unternehmen ungleich handfester aus. Da die durchschnittlichen Zölle zwischen der EU und den USA in den meisten Sektoren ohnehin relativ niedrig sind, liegt der Schwerpunkt der Liberalisierungsbemühungen auf den sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen. Hierbei geht es vor allem um Unterschiede bei Regulierungen sowie Produkt- und Verfahrensstandards in den beiden Wirtschaftsräumen, die aus der Sicht der VerhandlerInnen „unnötige“ Kosten für Unternehmen erzeugen. Dies reicht etwa von unterschiedlichen Sicherheits- und Abgasnormen in der Autoproduktion und Testerfordernissen von Medikamenten über abweichende Regulierungen von Chemikalien bis hin zu Unterschieden bei Lebensmittelstandards. Auf das bevorstehende Feilschen um Harmonisierung oder gegenseitige Anerkennung von unterschiedlichen Regeln haben sich Großunternehmen und ihre Lobbygruppen auf beiden Seiten des Atlantiks bereits mit umfangreichen Forderungen vorbereitet. Zu befürchten ist, dass wichtige Schutzbestimmungen für ArbeitnehmerInnen, Konsumentinnen und Konsumenten sowie Umwelt ins Fadenkreuz der Deregulierung fallen werden.
In vielen Bereichen könnten die in den beiden Wirtschaftsräumen vorherrschenden Regulierungsansätze kaum unterschiedlicher sein. Besonders der Lebensmittelbereich ist hochsensibel, hier waren die transatlantischen Beziehungen bereits bisher von Handelsstreitigkeiten geprägt. So sind beispielsweise in den USA – im Gegensatz zur EU – der Einsatz von Wachstumshormonen bei Rindern und der Verkauf von Gentechnik-Produkten ohne Kennzeichnung erlaubt.
Geht es nach den Plänen der Kommission, sollen Unterschiede bei Regulierungen nicht nur bis zum Abschluss des Abkommens im Fokus der Handelspartner stehen, sondern auch darüber hinaus. So soll ein neu zu schaffender Rat zur regulatorischen Zusammenarbeit nach Inkrafttreten des Abkom-mens laufend überprüfen, wie die Übereinstimmung von bestehenden und künftigen regulatorischen Maßnahmen zwischen der EU und den USA vorangetrieben werden kann. Dies entspricht ganz dem Motto eines „lebenden Abkommens“, das auch nach seiner Beschlussfassung kontinuierliche Verhandlungen vorsieht.
Öffentliche Interessen in Gefahr
Massive Kritik entzündet sich auch an den geplanten Bestimmungen zum Investitionsschutz, durch die ausländische Investoren Staaten klagen könnten, wenn etwa ihre erwarteten Gewinne durch politische Maßnahmen geschmälert werden.2 Ende Jänner kündigte EU-Handelskommissar Karel De Gucht an, die Verhandlungen über diesen Teilbereich vorerst auszusetzen und eine dreimonatige öffentliche Konsultation zu dem Thema durchzuführen – die Kommission wird hier also vor den Wahlen zum EU-Parlament auf Zeit spielen.
Ob die VerhandlerInnen den gleichen Einsatz wie beim Abbau von Unternehmenskosten auch für die verpflichtende Einhaltung von international anerkannten Arbeitsstandards zeigen, um Lohn- und Sozialdumping zu verhindern, wird sich zeigen. Handlungsbedarf gibt es genug, haben die Vereinigten Staaten doch lediglich zwei der acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert – ausständig ist etwa die Ratifizierung der ILO-Konventionen zur freien Gründung von Gewerkschaften und der Kollektivvertragsfreiheit. Dass die Ratifizierung und Einhaltung von Arbeitsstandards in Handelsabkommen einklagbar sein muss, ist eine Kernforderung der ArbeitnehmerInnenbewegung.
Druck auf die Verhandlungen ist auch nötig, um sicherzustellen, dass Dienstleistungen der Daseinsvorsorge – wie etwa Bildung, Gesundheits- und soziale Dienstleistungen, Abwasser- und Müllentsorgung, Energie, Verkehr, kulturelle und audiovisuelle Dienstleistungen und Wasserversorgung – keinesfalls vom geplanten Abkommen erfasst werden.
Geheime Verhandlungen
Angesichts der vielen Gefahren, die die Verhandlungen bereithalten, ist eine breite öffentliche Diskussion dringend notwendig. Die Verhandlungen finden jedoch derzeit hinter verschlossenen Türen statt; sowohl das Verhandlungsmandat, das der Kommission die Richtlinien für die Handelsgespräche vorgibt, als auch die relevanten Verhandlungsdokumente werden als geheim eingestuft. Solange nicht alle EU-Verhandlungsdokumente der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kann von einer umfassenden Einbindung der Bevölkerung keine Rede sein. Schließlich ist auch die Einbeziehung von Interessengruppen extrem ungleich: Auf der Grundlage einer Dokumentenanfrage der NGO Corporate Europe Observatory wurde im September 2013 bekannt, dass 93 Prozent der von der Kommission angegebenen Treffen mit Interessengruppen zum Thema des EU-USA-Abkommens mit Vertreterinnen und Vertretern von Großkonzernen und deren Lobbys stattgefunden haben.
Nach Abschluss der Verhandlungen müssen auf EU-Seite die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament dem Vertragswerk zustimmen, und – wenn es Kompetenzen der Mitgliedsstaaten berührt – auch die nationalen Parlamente. Dabei können die gewählten ParlamentarierInnen jedoch keine Änderungen am Vertragstext vorschlagen, sondern lediglich das Gesamtpaket annehmen oder ablehnen. Das EU-Parlament hat bereits einmal ein Handelsabkommen abgelehnt: Zum umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommen ACTA haben die Mandatarinnen und Mandatare 2012 die Rote Karte gezeigt.
1 Theurl, Simon (2014): Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP). Eine kritische Orientierungshilfe zur wirtschaftlichen Folgenabschätzung des Handels- und Investitionsabkommens zwischen der EU und den USA.
2 Siehe Artikel "Mehr Konzernrechte – weniger Demokratie?" in dieser Ausgabe.
AK-Positionspapier zum TTIP: tinyurl.com/mx6degy
Kritische Orientierungshilfe zur wirtschaftlichen Folgenabschätzung des TTIP:
tinyurl.com/m3mnueq
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Von Nikolai Soukup, Abteilung EU und Internationales, AK Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/14.
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