Das Textil- und Bekleidungsabkommen (Agreement on Textiles and Clothing, ATC) der WTO regelte seit 1995 den Handel unter den WTO-Mitgliedsstaaten und ist mit Ende 2004 ausgelaufen. Ziel und Zweck des ATC war der geregelte Abbau der seit über 40 Jahren bestehenden Quotensysteme binnen 10 Jahren.
Das Ende
Mit 1. 1. 2005 wurden auch die als sensibel eingestuften Warengruppen in das quotenfreie Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) der WTO übernommen. Sie werden in Zukunft wie alle anderen Waren (mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Produkte) behandelt. Das bedeutet, dass nationale Textil- und Bekleidungsmärkte nur noch durch Zölle geschützt werden dürfen und der kontrollierte Marktzugang durch mengenmäßige Beschränkungen (Quoten) nicht mehr möglich sein wird. (Der Textil- und Bekleidungssektor macht einen weltweiten Exportanteil von fast 6% aus.)
Die Schutzmechanismen des ATC werden durch die allgemeine Schutzregelung des GATT abgelöst. Importe dürfen dann beschränkt werden, wenn sie unverhältnismäßig ansteigen und im Inland ernsthaften Schaden verursachen.
In der WTO wurde bis zum letzten Augenblick verhandelt, um Übergangsregelungen und Schutzmechanismen für die geänderte Situation zu schaffen. Freilich wäre eine Verlängerung des Quotensystems nicht nur kleinen Entwicklungsländern eine große Hilfe gewesen.
Auch die größten Industrieländer müssen ihre unter Druck geratenen Industrieproduktionen verteidigen. Die USA und die EU haben Maßnahmen gegen die Handelsliberalisierung, vor allem gegenüber China, vorbereitet.
China
Seit dem WTO-Beitritt Chinas 2001 sind die Fronten jedoch verhärtet. Selbst Studien zur Folgenabschätzung in Entwicklungsländern und technische Unterstützung, um mit der geänderten Situation auf dem Welttextilmarkt besser umgehen zu können, wurden von China kategorisch abgelehnt. Dabei ist technische Hilfe beim Auslaufen des ATC in der »Doha-Entwicklungsagenda« der WTO explizit vorgesehen. Die Anwärter, darunter Kenia, Uganda, Zimbabwe, Nicaragua oder Bangladesch wurden dennoch beinhart von China und Indien abgewiesen. Peking spielt den Ball an die großen Industrieländer weiter. Für einen schmerzloseren Übergang in den freien Handel sollen diesen Ländern Zollreduktionen gewährt werden. In den USA stößt dieser Vorschlag allerdings auf taube Ohren. In der EU ist man eher bereit, den ärmsten Ländern entgegenzukommen. Allerdings wird das neue EU-Zollpräferenzsystem erst ab Mitte des Jahres in Kraft gesetzt. Leider wurde es in der Vergangenheit von den Entwicklungsländern wenig in Anspruch genommen, weil die Zollpräferenzen mit Sozial- und Umweltauflagen verbunden sind. Jedenfalls ist zu erwarten, dass große und billige Textilproduzenten die kleinen verdrängen werden.
Absatzmärkte durch Quoten
Vor allem für Entwicklungsländer war der Abbau der durch das frühere Multifaserabkommen geregelten Textilquoten eine wesentliche Voraussetzung für den Abschluss der Uruguay-Runde. Sie wollten die Abschaffung der Quoten, um ihren Marktzugang zu wichtigen Absatzmärkten wie Nordamerika, Kanada und die EU zu verbessern. Das Öffnen der Märkte hat zweifellos geholfen, aber entscheidend war der richtige Mix aus Marktöffnung und geregeltem Marktzugang durch Quotenvergabe.
Für viele Entwicklungsländer, vor allem die 49 am wenigsten entwickelten Länder (LDC), hat das Auslaufen des ATC schlimme Folgen. Im Laufe der Zeit konnten sich diese Länder nämlich durch das Quotensystem einen gesicherten und vorhersehbaren Marktzugang in die USA und die EU aufbauen und dadurch ihre schwache Textil- bzw. Bekleidungsindustrie ausbauen. So entstand eine Alternative zu den traditionell rohstofflastigen Exporten. Deshalb waren viele dieser Länder auch für die Verlängerung des Quotensystems.
Der Textil- und Bekleidungshandel ist für viele Entwicklungsländer lebenswichtig und bestimmt weitgehend ihre Exporteinnahmen: Die Hälfte der Textil- und 70% der Bekleidungsexporte kommen aus Entwicklungsländern – die großen Exporteure China und Indien miteingeschlossen. Es gibt aber auch kleine, extrem exportabhängige Textilerzeuger, deren Exporteinnahmen zum Großteil aus dem Textilsektor stammen. Bangladesh bezieht 77% seiner Exporteinnahmen aus dem Textil- und Bekleidungssektor, wo 40% der Arbeitsplätze mit geschätzten 1,8 Millionen Arbeitnehmern angesiedelt sind.
Es wird allgemein erwartet, dass diese Länder der Konkurrenz aus China, Indien und anderen Billigproduzenten nicht standhalten werden können.
Textilflut
Die chinesische Wirtschaft ist dynamisch und ihre Textilexporte sind enorm. Überangebot und Preisverfall sind die Folge – was Industrieländer und Entwicklungsländer gleichermaßen schmerzt. Als unmittelbare Folge des Auslaufens der ATC-Quoten rechnen US-amerikanische Wirtschaftsforscher des Institutes Bloomberg für 2005 mit einem Anstieg der chinesischen Textil- und Bekleidungsexporte um mindestens 24%. EU-Handelskommissar Peter Mandelson fürchtet, dass die chinesischen Textilexporte in den kommenden Jahren um 150% steigen könnten, was einem Weltmarktanteil bei Textilien von 50% entspricht. Die Erfahrungen der vorletzten Quotenabbauphase per 1. 1. 2002 haben gezeigt, dass China zulasten anderer Entwicklungsländer zum Nutznießer der Liberalisierung wurde. So stieg der Marktanteil Chinas für die freigegebenen Produktkategorien auf dem US-Markt von 9% (2001) auf 65% (2004); ähnliche Entwicklungen wurden auch in der EU festgestellt. Die chinesische Währung ist stark unterbewertet, Energie wird subventioniert und Fertigprodukte werden oft unter dem Einstandspreis der Vormaterialien verkauft. Die Ursachen für die Dominanz Chinas liegen aber auch in der Nichtbeachtung von Sozial- und Umweltstandards. Insbesondere in den freien Produktionszonen werden Arbeitszeiten von bis zu 14 Stunden pro Tag an sieben Tagen pro Woche mit nur zwei Urlaubstagen im Jahr kritisiert.
Indien
Für Indien wird bis 2008 ein jährliches Wachstum zwischen 8 und 10% für Textilexporte vorhergesagt. Im vergangenen Halbjahr haben die Auslandsaufträge um 25 bis 30% zugenommen. In manchen Fertigungen (z. B. Herrenbekleidung) müssen indische Hersteller bis zu 65% des Vorprodukts Baumwolle aus dem Ausland zukaufen – und das, obwohl Indien der weltweit größte Baumwollproduzent ist. Auch hier werden durch die Aufhebung der Quoten Anpassungen erforderlich. Um die Exporte steigern zu können, werden z. B. Investitionsbedingungen für Ausländer liberalisiert und die Beschränkung der Kleiderherstellung auf Kleinunternehmen abgeschafft.
Während China in der Großproduktion stark ist, liegt Indiens Stärke in der Kleinstrukturiertheit der Unternehmen und der damit verbundenen Flexibilität in der Erzeugung. Die Textilindustrie mit ihrem großen Beschäftigungspotenzial ist in Indien mindestens so wichtig wie die IT-Branche. Sie beschäftigt eine Million Menschen, der Textilbereich 35 Millionen. Durch die vorgelagerte Baumwollproduktion kommen weitere 45 Millionen Arbeitsplätze hinzu.
Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass China und Indien auf das termingerechte Auslaufen des ATC bestanden haben. China empfahl, die Anpassungskosten empfindlicher Entwicklungsländer durch Hilfsprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds und durch präferenzielle Zollbehandlung auszugleichen. Beides wurde in Angriff genommen, wird aber nicht ausreichen, um diese Länder entsprechend zu stärken. Die USA haben sich nicht für die Verlängerung des Quotensystems eingesetzt. Jedoch arbeiten die US-Behörden an der Verlängerung von bestehenden und an neuen Schutzmaßnahmen, wie Einfuhrbeschränkungen und Anti-Dumpingzölle.
Vorbereitung der EU
Die Textil- und Bekleidungsindustrie der EU-25 beschäftigte 2003 cirka 2,5 Millionen Arbeitnehmer. Die wirtschaftliche Situation des gesamten Sektors ist nach wie vor schwierig: Nach deutlichen Produktions- und Beschäftigungsrückgängen in den letzten drei Jahren ging die Produktion 2003 um weitere 4,4% und die Beschäftigung um 7,1% zurück. Die wichtigsten Gründe sind die Folgen der Konjunkturabschwächung auf den EU-Textilsektor und auf ihre Absatzmärkte sowie die Wechselkursentwicklung zwischen US-Dollar und Euro, die die EU-Exporte in den Dollar-Raum verteuern.
Die Liberalisierung hat in manchen Importländern zu Schwierigkeiten in der eigenen Textil- und Bekleidungswirtschaft geführt, was ein steiles Anwachsen von Anti-Dumping-Maßnahmen in der WTO nach sich gezogen hat.
Die EU
Die EU war 2002 mit einem Anteil von 15% weltgrößter Textilexporteur und mit 11% zweitgrößter Exporteur von Textilien und Bekleidung nach China. Umgekehrt war die EU 2002 mit rund 20% (nach den USA) auch zweitgrößter Importeur von Textilien und Bekleidung aus China. Die EU hat seit 1996 etwa die Hälfte seiner Quoten gegenüber China abgeschafft. Experten rechnen nach der Freigabe der Quoten mit einem Anstieg der chinesischen Importe in die EU von derzeit 24% auf 35%.
Noch während der letzten Tage des ATC sind in der EU und den USA bestehende Quoten gefallen. Bis dahin waren zwar zirka ein Drittel dieser Güter zollfrei importierbar, aber bei der Abschaffung der Quoten ließ man sich bis zum Äußersten Zeit. Nur gegenüber den 49 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt (LDC) bestehen seitens der EU weder Zölle noch quotenmäßige Beschränkungen.
Diese zögerliche Anpassung könnte für so manchen Hersteller bereits in diesem Jahr ernsthafte Konsequenzen haben. Die Preise bis zuletzt durch Quoten geschützter Textil- und Bekleidungskategorien werden im bevorstehenden Verdrängungswettbewerb vermutlich schockartig sinken und in Folge das Aus für deren Herstellung bedeuten.
EU-Kommission
Deshalb versuchte die EU-Kommission im letzten Moment den drohenden Schaden zu begrenzen: Sie hat im Oktober letzten Jahres einen Maßnahmenkatalog für den reibungslosen Übergang in ein quotenfreies System ausgearbeitet. Da die Gefahr in erster Linie in China liegt, soll ein Monitoringsystem in einer Übergangsphase bis Ende 2005 die chinesischen Textil- und Bekleidungsimporte überwachen.
Das bedeutet, dass bis dahin Importe aus China in die EU einer Genehmigung bedürfen. Erst nach dieser einjährigen Übergangsfrist wird auf das endgültige zollabgabengestützte Überwachungssystem umgestellt. Die weiteren Kommissionsvorschläge umfassten: Förderung von Forschung und Innovation, Öffnung der Märkte im Rahmen der WTO-Verhandlungen, um den Zugang der europäischen Unternehmen zu Drittländern zu verbessern, Gewährleistung lebenslangen Lernens und der beruflichen Bildung, Einrichtung eines Textilfonds im Rahmen des Strukturfonds für unvorhergesehene Krisen und schließlich die Stärkung der Maßnahmen zur Bekämpfung von Nachahmung und Piraterie.
Auch das Allgemeine Zollpräferenzsystem der EU wird auf die neue Situation zugeschnitten. Länder wie China, Indien und Brasilien könnten aus dem System ausgeschlossen werden, sodass dann für diese Länder -keine Zollbegünstigungen mehr gewährt würden.
Gleichzeitig sollen kleine und schwache -Entwicklungsländer durch günstigere Ursprungsregelungen derart gefördert werden, dass sie gegenüber der chinesischen Konkurrenz bevorzugt werden.
Die neue EU-Verordnung soll ab Mitte 2005 in Kraft treten und insbesondere auf die prekäre Situation der Entwicklungsländer nach Auslaufen des
ATC reagieren.
Luxusartikel
Der ehemalige EU-Handelskommissar Pascal Lamy fasste die Reaktion der EU auf die Post-ATC-Ära so zusammen: Konzentration auf Luxusartikel und Aufrechterhaltung der Wettbewerbsvorteile bei EU-Markengütern.
Die betroffenen österreichischen bzw. EU-Industriebranchen sind zwar auf das Auslaufen der WTO-Quoten gut vorbereitet, etwa durch hohe Investitionen in Design, Qualität und modernste Maschinenparks, Auslandsverlagerung der Produktion oder Weiterbildungs-Programme. Dennoch können unmöglich alle Unternehmen der Bekleidungsindustrie zu Nischen-Produzenten oder Luxus-Anbietern werden. China kann nach langjährigem Know-how-Aufbau gute Qualität liefern.
Angesichts der unfairen Produktionsbedingungen in China, Indien und vielen anderen Ländern, ist es selbst für jene europäische Bekleidungshersteller, die bereits in den neu beigetretenen EU-Mitgliedsländern investiert haben und dort fertigen lassen, unter Kostengesichtspunkten schwer mitzuhalten.
In der Textil- und Bekleidungsbranche rechnet man mit einem Verlust von rund 30 Millionen Arbeitsplätzen in der EU, den EU-Beitrittsbewerbern, Nordafrika, Asien, Nord-, Mittel- und Südamerika und Afrika.
Aus diesen Gründen sind sich Arbeitgeberverbände und Arbeitnehmerorganisationen weitgehend über die Unterstützung der Kommissions-Maßnahmen einig. Allerdings ist die Priorisierung aus Arbeitnehmersicht eine andere.
Gerechtere Produktion
Welche Maßnahmen wären für ge-rechtere Produktion und fairen Handel nötig
- Der internationale Druck auf die Produktionskosten führt dazu, dass Arbeitsstandards unter die international anerkannten Mindestnormen gedrückt werden. Nur die Einhaltung eines Mindestmaßes an Sozial- und Umweltstandards kann den destruktiven Wettbewerb der Produktionskosten aufhalten. Regierungen müssen daher in die Pflicht genommen werden, die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen zu kontrollieren und Maßnahmen für die Nichteinhaltung zu setzten.
- Konsumenteninformation: Bekleidungsstücke, die unter Verletzung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation hergestellt werden, sollten gekennzeichnet werden, um den Konsumenten eine faire Wahl zu ermöglichen.
- Da die österreichische Textilindustrie bei Innovationen sehr erfolgreich ist, sollte die Regierung und die EU auf den Ausbau von Forschung und Entwicklung von neuen Materialien und Produktionsverfahren setzen. Österreichs Textilerzeuger sind Marktführer bei Textilien für die Autozulieferindustrie (Airbags, Sitze oder Seile). Eine aktivere Forschungsförderung würde in diesem Bereich die Beschäftigungssituation stabilisieren und ausbauen.
- Die von vielen WTO-Mitgliedern geforderte Analyse und Identifikation der Probleme, die durch das Auslaufen des ATC für LDCs, Entwicklungs- und Industrieländer entstehen können, sollte seitens der Europäischen Union unterstützt werden. Geordnete Strukturen in Industrie- und Entwicklungsländern sind zu erarbeiten, Anpassungsprozesse müssen sozialverträglich gestaltet und Marktstörungen so gering wie möglich gehalten werden. Hier ist technische Hilfe durch die WTO für kleine und wenig wettbewerbsfähige Entwicklungsländer zu unterstützen.
- Die EU sollte aktiv für ein Selbstbeschränkungsabkommen für den Textil- und Bekleidungssektor mit China eintreten.
- Die Europäische Union sollte Maßnahmen gegen Umgehungsimporte, den Import von Waren mit tatsächlichem Ursprung in China, setzen. Umgehungsimporte werden als Folge der laufenden amerikanischen Schutzmaßnahmen erwartet.
- Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Monitoringmechanismus gegenüber Importen aus China ist zu unterstützten. Importe sollen hinsichtlich Quantität und Preis in Realzeit überwacht werden, sodass für Produktkategorien, bei denen anormale Volumenzunahmen oder Preissenkungen festgestellt werden, möglichst prompt Schutzmaßnahmen getroffen werden können.
- Die EU sollte klare Richtlinien und Kriterien für Schutzmaßnahmen festlegen.
I N F O R M A T I O N
Beschäftigung sinkt, Ertrag steigt
Im Jahr 2002 gab es in der österreichischen Textilindustrie rund 15.400 Beschäftigte weniger als im Jahr davor. Wirtschaftlich ging es aufwärts.
Der stete Beschäftigungsabbau konnte trotz besserer Erträge in der öster-reichischen Textilindustrie nicht aufgehalten werden. Denn wirtschaftlich ging es der Textilindustrie 2002 nach einem mageren Jahr 2001 etwas besser, zeigt die AK-Analyse »Die wirtschaftliche Lage der Textilindustrie« aus dem Jahr 2004.
So konnte der Jahresüberschuss von -5,4% in +0,4% umgewandelt werden. Die Branche hat an Krisensicherheit gewonnen. Optimismus herrscht vor allem bei den stärker in die Zukunft gerichteten Indikatoren. Unternehmensseitig wurde mehrheitlich eine Verbesserung der Geschäftslage infolge der Produktionssteigerung für die zweite Jahreshälfte 2004 erwartet. Die optimistischere Stimmung scheint sich jedoch nur sehr langsam in höheren Auftragsbeständen niederzuschlagen.
Von Eva Dessewffy (Expertin der Abteilung Außenwirtschaft und Integration der AK Wien)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .
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