Standpunkt | Falschmünzer der Sprache

Falschmünzerei ist eine höchst strafbare Angelegenheit, hierzulande aber nur wenig verbreitet. ›Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir nur relativ kleine Münzen haben, die Sache also nicht einträglich genug ist. Anders ist das schon beim Papiergeld. Das ist ob der höheren Werte einträglicher.

In unserer Sprache gibt es immer noch genug Falschmünzerei, Falschwörter sind gang und gäbe. Ein Beispiel gefällig: Was heißt »Flexibilisierung des Arbeitsmarktes«, vielleicht auch noch in Kombination mit »Differenzierung der Lohnstrukturen«?

Ganz einfach: dabei handelt es sich um erleichterte Kündigung und Niedriglöhne unter dem Kollektivvertrag.

Es handelt sich also nicht um die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, sondern um billigere Arbeitsplätze. Die Kündbarkeit nach »hire and fire« gilt als Flexibilisierung, Niedriglöhne nennt man »Differenzierung der Lohnstrukturen«.

Ein besonders interessantes Vokabel ist die »Eigenverantwortung«. Im Prinzip ist damit gemeint, dass der Arbeitnehmer gefälligst allein bezahlen soll, was bisher als Lohbestandteil zur Hälfte vom Arbeitgeber eingezahlt – und später vom Staat bzw. der Sozialversicherung wieder ausgezahlt wurde. Wenn Arbeitnehmer künftig nicht schlechter versorgt sein wollen, zum Beispiel bei Krankheit oder bei den Pensionen, sollen sie die Differenz selber aufbringen. Es geht also nicht darum, die »Lohnnebenkosten« zu senken, sondern sie den »Arbeitnehmern« aufzuladen.

Es geht um Lohnsenkung, und damit das nicht so harsch klingt, spricht man von einer Senkung der »Nebenkosten« des Lohnes.

Was möchten Sie als Nebenkosten ansehen? Urlaub? Weihnachten? Den Anteil des Arbeitgebers an der Pensionsversicherung oder der Krankenversicherung? Oder vielleicht nur ein bisschen Unfallversicherung, Insolvenzentgelt oder Weiterbeschäftigung im Krankheitsfall?

Wer gibt eigentlich Arbeit und wer nimmt sie? Derjenige, der seine Arbeit hergibt, heißt bei uns »Arbeitnehmer«, der sie nimmt, heißt »Arbeitgeber«.

Ich zitiere aus dem »Falschwörterbuch« von Ivan Nagel, erschienen im Berliner Taschenbuch Verlag, in dem der Autor auch versucht, die historischen Zusammenhänge dieses Begriffspaares aufzuklären:

»Der Unternehmer stellte die Arbeit als seine gnädige Gabe hin, der Arbeiter nahm das Geschenk dankend entgegen, wissend, dass seine Arbeit ihm nicht gehörte – weshalb die Schenkung jederzeit rückgängig gemacht werden konnte. Heute ist das Begriffspaar ein vertrautes Gebrauchsobjekt unseres Alltages; und doch ist es eigentlich veraltet. Es könnte manchen auf die Idee bringen, dass der Arbeitgeber schuld daran sei, wenn er keine Arbeit mehr gibt – dem Arbeitgeber die Arbeit nimmt.«

Zurück zu den Lohnkosten. Das Prinzip wäre also: »Machen wir die Reichen noch ein bisschen reicher und hoffen wir, dass dabei Arbeitsplätze entstehen.«
Aber heute spricht man nicht von den »Reichen«, es ist nur von den »Besserverdienenden« die Rede. Von den Armen oder »Schlechterverdienenden« hört man wenig.

Diejenigen, die doch davon sprechen, die sich für die Gerechtigkeit einsetzen, zum Beispiel bei den Löhnen, für die hat man viele Ausdrücke.
Die Rede ist von den »Blockierern«, »Bremsern« oder »Besitzstandwahrern«. Wissen Sie schon, wer gemeint ist?

Ja, ja, es sind die Gewerkschaften und die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter.

Apropos, schaun Sie doch einmal auf die Seite gegenüber. Dort stehen die Ergebnisse der Wahlen in den Arbeiterkammern. Für mich beweisen diese Ergebnisse unter anderem auch, dass das Konzept der täglichen Desinformation nicht aufgeht.

Wir werden uns weiter beschäftigen mit »Schlechterverdienenden«, mit Minilöhnen von Ungelernten, mit dem Arbeitslosengeld der Arbeitslosen, mit dem Minipensionen der Mindestrentner und – mit der Solidarität, nicht nur als Prinzip, sondern in der täglichen praktischen Anwendung.

Von Siegfried Sorz (Chefredakteur)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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