Scheinlösung Charity

Fernsehen und Popstars gab es vor 150 Jahren noch nicht, „Wohltätigkeitsevents“ dagegen schon. Sie gehörten sozusagen zur Standespflicht der oberen Zehntausend, des Adels und des besitzenden Bürgertums. Zum Fundraising gründete man Vereine und veranstaltete „Akademien“, Theateraufführungen oder Bälle. Die Fürstin Pauline Metternich entwickelte für das Auftreiben von Spenden besonders viel Phantasie. Berühmt wurden ihre Frühlingsfeste und der von ihr 1886 erstmals organisierte Blumenkorso im Wiener Prater. Er brachte 100.000 Gulden für die Wiener freiwillige Rettung und die Krebshilfe ein – zwei Lieblingsprojekte der Fürstin.

Viele der durch private Wohltätigkeit finanzierten Projekte waren nicht nur Show, sondern brachten wirklich Hilfe. So gab der 1847 gegründete „Erste Wiener Hilfsverein“ während der großen Hungersnot nicht nur Nahrung und Kleidung aus und finanzierte Schlafstellen für Obdachlose, er kaufte über den kurzfristigen Bedarf hinaus auch in großem Stil Lebensmittel auf, um die Teuerung bei der Grundversorgung zu bremsen. Aber an der extrem großen Kluft zwischen Arm und Reich konnte das alles nichts ändern – und eine Änderung war auch nicht erwünscht: Das arbeitende Volk sollte wissen, wo sein Platz war, nämlich unten. Als die ersten Gewerkschaften faire Löhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu fordern begannen und die junge Arbeiterbewegung durch das Gesetz garantierte soziale Rechte verlangte, war man schockiert. Aber das Rad der Zeit ließ sich nicht mehr zurückdrehen, nach und nach erkannten viele ArbeiterInnen, dass sie keinen Grund zur unterwürfigen Dankbarkeit für die scheinbare Großzügigkeit „derer da oben“ hatten. So wie die junge Niederösterreicherin Adelheid Dworak, die darüber in ihren Lebenserinnerungen berichtete:

"… Als ich schon in die Schule ging, wurde von einem reichen Mann, der eine große Fabrik besaß, … für die armen Schulkinder eine Weihnachtsbescherung veranstaltet. Auch ich gehörte zu den Glücklichen, die mit Naschwerk und wollenen Kleidungsstücken beschenkt wurden. Die große mächtige Tanne gab mehr Licht, als ich je gesehen hatte, und der Festschmaus, der uns gegeben wurde, brachte uns alle in glückselige Stimmung. Wie dankbar war ich dem guten, reichen Mann, der so ein mildtätiges Herz für die Armen hatte. Als später meine verwitwete Mutter in seiner Fabrik für drei Gulden Wochenlohn täglich 12 Stunden arbeiten musste, konnte ich noch nicht beurteilen, dass darin die Quelle für seine „Großmut“ gelegen war. Erst viel später kam ich zu dieser Erkenntnis …"

Später gab das kleine Mädchen aus Inzersdorf als Adelheid Popp seine Erkenntnis an unzählige arbeitenden Frauen weiter. Sie gehörte zu jenen, die dafür kämpften, dass sich die Menschen auf einen Sozialstaat verlassen können, statt auf Charity angewiesen zu sein.

Von Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 01/13.

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