Seit der Angelobung der neuen griechischen Regierung Ende Jänner dominieren die Verhandlungen mit der Eurogruppe die Nachrichten. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob Griechenland sich zu weiteren neoliberalen Reformen verpflichten wird. Politisch betrachtet geht es jedoch um viel mehr: Gelingt es der neuen Regierung und der griechischen Gesellschaft, einen Schlussstrich unter die zerstörerische Politik der letzten Jahre zu ziehen und einen radikalen Kurswechsel umzusetzen?
Geld floss in den Finanzsektor
Die soziale und ökonomische Situation Griechenlands ist desaströs. Über 25 Prozent der Bevölkerung und über 55 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Ein Drittel der Menschen ist nicht mehr krankenversichert. Der Mindestlohn wurde auf 580 Euro brutto gesenkt, Arbeitsrechte und Kollektivverträge massiv geschwächt. Die Wirtschaftsleistung Griechenlands brach seit Beginn der „Rettung“ um ein Viertel ein (2010‒2013), die Staatsschulden stiegen im Jahr 2014 auf 177 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Der Grund dafür liegt in der Kürzungspolitik, die Griechenland im Gegenzug für die Kredite aufgezwungen wurde. Wieso die Situation bei über 200 Milliarden an Krediten trotzdem so schlecht ist? Weil das sogenannte Rettungsgeld nicht der öffentlichen Hand oder der Bevölkerung zugutekam, sondern direkt in den Finanzsektor weiterfloss.
Bis vor Kurzem war tatsächlich nicht bekannt, was mit den Milliarden für Griechenland eigentlich geschehen ist. Wurden dafür Staatsbedienstete bezahlt oder Investitionen in Technologie und Infrastruktur finanziert? Mitnichten. Im Sommer 2013 haben wir in einer Attac-Studie erstmals gezeigt, dass der Großteil der Gelder direkt in den Finanzsektor weiterfloss.
Das geschah auf mehreren Wegen:
- Rekapitalisierung griechischer Banken: Mehr als ein Viertel der Kredite wurde über den griechischen Finanzstabilisierungsfonds HFSF an den griechischen Bankensektor weitergegeben. Statt den Sektor umzustrukturieren und EigentümerInnen und GläubigerInnen der Banken haften zu lassen, wurden diese fast bedingungslos gerettet. Und damit wurden wiederum auch all jene europäischen Finanzinstitutionen gerettet, die Geschäfte mit griechischen Banken gemacht hatten.
- Auszahlung privater GläubigerInnen: Der Großteil der Gelder kam den GläubigerInnen des griechischen Staates zugute. Banken oder andere InvestorInnen, die griechische Staatsanleihen hielten, hätten bei einem Bankrott Griechenlands einen Teil ihres Geldes verloren. Mit den „Rettungsgeldern“ wurden sie voll ausgezahlt. Griechenland hatte immer noch die gleichen Schulden, nur inzwischen nicht mehr bei privaten, sondern bei öffentlichen GläubigerInnen.
- Zinszahlungen: Hohe zweistellige Milliardenbeträge wurden für Zinsen auf bestehende Staatsanleihen aufgewendet. Dieses Geld floss somit ebenfalls an private GläubigerInnen.
Durch dieses Vorgehen wurde Griechenland zwar ein Staatsbankrott erspart, gerettet wurde allerdings nicht das Land, sondern der europäische Finanzsektor. Über mehrere Jahre und mit mehr als 200 Milliarden Euro befreite man die europäischen Banken von griechischen Staatsanleihen und nahm ihnen das Risiko ab, das sie mit Krediten an griechische Banken eingegangen waren. Doch so gesagt wurde all das nie.
Mühselige Recherche
Die Dokumente der Europäischen Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der sogenannten Rettungsschirme EFSF und ESM enthalten detaillierte Aufstellungen über die vorgeschriebenen Kürzungs- und Privatisierungsmaßnahmen. Zum Verwendungszweck der ausbezahlten Kredite enthalten sie aber nur bruchstückhafte Informationen. Attac waren die ersten, die die tatsächliche Verwendung im Jahr 2013 in einer mühseligen Recherche aus Tausenden Seiten von Dokumenten und Medienberichten rekonstruierten. Mit einer vorsichtigen Schätzung (z. B.: ohne Einbeziehung von Zinsen) kamen wir damals zu dem Ergebnis, dass mindestens 77 Prozent der „Rettungsgelder“ in den Finanzsektor flossen. Mit Zinsen schätzten wir den Anteil schon damals auf über 90 Prozent. Andere Berechnungen, die seither veröffentlicht wurden, zeigen ein sehr ähnliches Bild. Erst kürzlich errech-nete das griechische Nachrichtenportal MacroPolis inklusive Zinszahlungen einen Anteil von über 85 Prozent für den Finanzsektor.
Umverteilung zu Banken
Nach den riesigen Bankenrettungen der letzten Jahre verschieben nun die EU-Regierungen über die sogenannten Rettungspakete für Krisenländer weitere Hunderte Milliarden in den Finanzsektor. Das ist eine massive Umverteilung von der breiten Bevölkerung und der öffentlichen Hand hin zu Banken, ihren EigentümerInnen und GläubigerInnen. Damit nicht genug: Die griechische Bevölkerung bezahlt die Rettung von Banken und GläubigerInnen mit einer brutalen Kürzungspolitik, die Armut und Arbeitslosigkeit in Rekordhöhen treibt.
Gegen diese Politik gingen die Menschen in Griechenland seit Jahren auf die Straße. Mit der Wahl der linken Syriza und der neuen Regierung gibt es nun erstmals die Chance auf einen echten politischen Kurswechsel. In den Verhandlungen mit der Eurogruppe beißt die griechische Regierung jedoch auf Granit. Die europäischen Regierungen und Institutionen zeigen keine Bereitschaft, Griechenland entgegenzukommen. Syriza will unter anderem den Mindestlohn wieder auf Vorkrisenniveau anheben, eine Gesundheitsversorgung für alle sicherstellen und die humanitäre Krise bekämpfen – genau das Gegenteil von dem, was die GeldgeberInnen dem Land seit Jahren aufzwingen. Die europäische Politik fürchtet jedoch einen griechischen Vorbildeffekt. Sollte es in Griechenland gelingen, einen progressiven Wandel in der Wirtschaftspolitik umzusetzen, so stellt dies die Kürzungspolitik in ganz Europa infrage. Nachdem sie jahrelang als „alternativlos“ angepriesen wurde, ist für den Machterhalt der Regierungen natürlich nichts gefährlicher als eine echte Alternative.
Keine Kredittranchen mehr
So befindet sich die griechische Regierung, aber auch die Bevölkerung in einer extrem schwierigen Lage. Einerseits ist das Ziel ein Politikwechsel innerhalb der Eurozone, andererseits versuchen die GeldgeberInnen, dies mit allen Mitteln zu verhindern. Während über die Zukunft des Landes verhandelt wird, ist die finanzielle Situation desaströs. Weil es bereits mit der alten Regierung keine Einigung über weitere Maßnahmen gab, und wegen der anstehenden Neuwahlen haben die GeldgeberInnen seit August 2014 keine Kredittranchen mehr an Athen überwiesen. Griechenland muss seine Ausgaben seither also komplett aus seinen laufenden Einnahmen decken – in einer solch tiefen Krise fast ein Ding der Unmöglichkeit. In dieser sehr heiklen Situation versucht die Eurogruppe nun, der griechischen Regierung Zugeständnisse abzuringen, die einen Bruch der zentralen Wahlversprechen bedeuten würden.
Das eigentliche Ziel
Die größten Konflikte gibt es in zwei Themenbereichen. Die Eurogruppe forderte weitere Kürzungen aller Pensionen, auch der niedrigsten. Weiters fordern sie, Massenentlassungen zu erleichtern sowie ein „Lockout“, die Aussperrung von ArbeitnehmerInnen durch das Unternehmen während eines Arbeitskampfes, zu ermöglichen. Diese Forderungen zeigen, worum es bei den immer beschworenen „Reformen“ wirklich geht: um die weitere Zerstörung von Arbeits- und sozialen Rechten.
Internet:
Attac (2013), Griechenland-„Rettung“: 77 Prozent flossen in Finanzsektor, 17. 6. 2013:
tinyurl.com/p8dlyoe
MacroPolis (2015), Where did all the money go?, 5. 1. 2015:
tinyurl.com/oxku48g
Medico (2014), Die griechische Wirtschaft wächst – die Zahl der Selbsttötungen ebenso, 2. 9. 2014:
tinyurl.com/nnbnryz
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Von Lisa Mittendrein, Soziologin und Sozioökonomin, Sprecherin von Attac Österreich und Redakteurin von mosaik-blog.at
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/15.
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