Privatsphäre in Gefahr

Sich in der »Informationsgesellschaft« zu bewegen bedeutet: umgeben sein von elektronischen Systemen, die das Leben leichter machen sollen – Handy, Internet, Bankomatkarten, Kundenkarten u. v. m. Ein rigoroser Verzicht auf Kommunikationstechnik ist mit einer Teilnahme am wirtschaftlichen und sozialen Leben nicht mehr vereinbar. Der Gedanke, digitale Dienste nicht immer und überall zu nutzen, bringt vor allem Jugendliche rasch an die Grenze ihrer Vorstellungskraft. Die Kinder des digitalen Zeitalters verbrauchen mühelos SMS-Kontingente von 1.000 Kurznachrichten pro Monat und blicken mitleidig auf jene kommunikationsschwachen Außenseiter, die sich nicht mittels Social-Networking-Plattformen mit hundert neuen Onlinebekanntschaften brüsten können.
Das durchschnittliche Anwenderwissen Jugendlicher ist zwar groß, zugleich sind sie aber altersbedingt leicht verführbar und wägen Risiken kaum ab. So haben sich viele populäre Onlineseiten, die Austausch und Selbstdarstellung ermöglichen, wie MySpace, Facebook, YouTube u. v. m als veritable »Jobkiller« erwiesen. Freimütige Einträge sind oft noch Jahre später auffindbar – auch für Firmen, die vor der Personalauswahl auch schon einmal das Internet nach eventuellen Onlineprofilen der BewerberInnen durchkämmen. Wer persönlichste Details im Internet verbreitet, muss damit rechnen, dass diese Infos auch gefunden werden. Das deutsche Studentenportal StudiVZ verspielte kürzlich das Vertrauen vieler seiner vier Millionen NutzerInnen mit einer Änderung seiner Geschäftsbedingungen, die dem Verkauf von Nutzerdaten zu Marketingzwecken den Weg bereitet. Das Bewusstsein, dass Surfen und Kommunizieren im Web Spuren hinterlassen, ist gewachsen, die Folgen werden aber oft noch unterschätzt.

Kundenprofile fürs Marketing

Auch der »mündige« Konsument hat seine Technikscheu bezwungen, kauft online, nutzt Online-Banking und gibt dabei in der Regel seine Identität preis. Daten fallen immer öfter auch als reines »Nebenprodukt« der Geschäftserbringung an, ohne dass KonsumentInnen sie aktiv und bewusst offenlegen: Dazu zählen neben Surfspuren im Internet und Standortdaten beim Handy künftig wohl auch vermehrt das Erkennen von Gegenständen und Personen via RFID-Funkchips oder biometrische Verfahren der Personenerkennung auf Distanz. Der Preis für die Bequemlichkeit: Online hinterlässt man viel mehr Datenspuren als offline. Verhaltensmuster werden durchschaubarer. Überwachung durch private Unternehmen (aber auch öffentliche Stellen) wird einfacher.
So sind etwa Kundendaten heiß begehrt – als handelbare Ware werden sie für Werbezwecke aber auch die Beurteilung der Kaufkraft und des Zahlungsverhaltens von KonsumentInnen eingesetzt. Online-Gewinnspiele, Kundenkarten, der Datenzukauf bei Adresshändlern sind nur einige Instrumente, um an Kundendaten für zielgerichtete Werbung heranzukommen. Massengeschäftspraktiken, Fernabsatzverträge ohne direkten Kundenkontakt und die steigende Haushaltsverschuldung führen dazu, dass Anbieter schon im Vorfeld eines Geschäftsabschlusses möglichst zuverlässige Prognosen über ihre Kunden/Kundinnen treffen möchten. Sie stützen sich dabei nicht nur auf öffentlich zugängliche Fakten (wie Insolvenzen, Exekutionen u. ä.), sondern auch auf bloße Annahmen über Personen aufgrund von Statistiken, die sogenannte Wirtschaftsauskunfteien für sie zusammentragen. Dem/r KonsumentIn wird ein Scorewert, eine Zahl, zugeordnet, der die mathematisch-statistische Wahrscheinlichkeit ausdrücken soll, mit der er/sie z. B. seine Zahlungspflichten erfüllen wird. Die Bonitätsbewertung erfolgt online. So streicht eine Wirtschaftsauskunftei in ihrer Onlinewerbung hervor: »Zählen Privatpersonen zu Ihren Kunden? Kein Problem: Ein kurzer Online-Check in unserer Consumer-Datenbank (35 Mio. Datensätze!) – und Sie wissen, woran Sie sind.« Ein negativer Score kann darüber entscheiden, dass Vertragsabschlüsse verweigert oder nicht die allerbesten Konditionen gewährt werden. Zivilgerichtliche Entscheidungen räumen den Betroffenen erfreulicherweise weitreichende Widerspruchsrechte gegen Einträge in Negativdatenbanken ein. Wer wegen säumiger Zahlung ohne jede Vorwarnung in quasi »öffentlich zugänglichen« Negativdatenbanken von Wirtschaftsauskunfteien landet, hat außerdem gute Chancen auf immateriellen Schadenersatz für die Bloßstellung seiner Person.

Daten für die Exekutive

Mit der Kommunikationsdichte in Österreich wächst das Ausmaß an Verbindungsdaten. Diese können in Notfällen Leben retten, wenn der Standort einer gefährdeten Person rasch ausgeforscht werden kann. Angaben des Mobilfunkanbieters T-Mobile, wonach die Abfrage von Standortdaten über HandynutzerInnen in den ersten zwei Monaten 2008 um 70 Prozent gewachsen ist, wirken allerdings alarmierend. Seit Jahresbeginn existiert nämlich eine neue Rechtsgrundlage. Das Sicherheitspolizeigesetz ermöglicht es der Polizei in akuten Gefahrensituationen, auch ohne richterlichen Beschluss Handys orten zu lassen. Neben AK und Betreibern kritisiert auch die Richtervereinigung die Ausschaltung der RichterInnen, die eine Abwägung zwischen Eingriffen in Datenschutzrechte und Sicherheitsinteressen gewährleisten. Der Verfassungsgerichtshof ist bereits mit Individualbeschwerden gegen die im Sicherheitspolizeigesetz erweiterte Handy- und Internetüberwachung befasst.
Neben Kommunikation zählt Sicherheit zu den elementaren menschlichen Bedürfnissen. Zeitungsartikel, die mit den Ängsten der Bevölkerung spekulieren, fördern die Popularität digitaler Sicherheitstechnik. Videoüberwachung mutierte in kürzester Zeit zum Massenartikel für Eigenheimbesitzer. Dabei weiß bei weitem nicht jeder Anlagenbesitzer, dass auch auf Videobilddaten, die (zeitlich befristet) gespeichert werden, Datenschutzregeln anwendbar sind. Bildaufzeichnungen sind personenbezogene Daten, denn die Identität der abgebildeten Personen ist in der Regel bestimmbar. Der Zugewinn an Sicherheit durch Videoüberwachungsanlagen im öffentlichen oder privaten Raum entspricht oft mehr einem trügerischen Gefühl als harten Fakten. Ob und wann Videoüberwachung zur Gefahrenabwehr und nachträglichen Deliktsaufklärung wirklich geeignet ist, ist auch unter Sicherheitsexperten umstritten. Gewiss ist jedenfalls eines: die Gesellschaft büßt Freiraum ein. Die psychologische Bedeutung dieses Aspekts findet in einer aktuellen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes Anerkennung: Auch die Attrappe einer Videoüberwachung – direkt gerichtet auf Nachbars Garten – kann einen Grundrechtseingriff darstellen. Ohne Gewissheit über die Echtheit der Anlage sind Personen einem besonderen Überwachungsdruck ausgesetzt.
Vergleichsweise wenig datenschutzsensibel verhält sich demgegenüber das Land Niederösterreich. Das Land »fördert die Sicherheit Ihres Zuhauses« mit Zuschüssen von bis zu 1.500 Euro bei Einbau einer Videoüberwachungsanlage. Zu den Arbeitsplänen der Bundesregierung zählen auch Vorschriften für die Videoüberwachung, die hoffentlich nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch Beschränkungen beim Einsatz bringen werden.

Datenschutz: Wozu?

Datenschutz ist ein wichtiges ideelles Grundrecht. Jeder soll selbst bestimmen können, auf welche Informationen zur eigenen Person die Öffentlichkeit oder ein beschränkter Nutzerkreis zugreifen kann. Und: Jeder hat das Recht auch in Ruhe gelassen zu werden. Datenschutzverletzungen können auch handfeste Probleme verursachen: Veraltete Datenbestände können ein falsches, nachteiliges Bild über eine Person zeichnen. Die elektronische Verknüpfung von grundsätzlich getrennt geführten Datensammlungen ergibt ein persönliches Datenprofil, das im Einzelfall tiefe Einsichten in die Lebensverhältnisse gewähren kann.
Bewusstes Handeln und Gefahrenabwehr setzen voraus, dass KonsumentInnen wissen, welche Daten bei der Internetnutzung entstehen, auf welche Weise sie gesammelt und verwertet werden können. Basisinformationen über potenzielle Gefahren helfen bei der Abwägung, welche Risiken man eingehen will und welche nicht.

Sicher surfen

Heimtückische Trojaner, unsichtbare Spione im Vormarsch, Datenklau etc.Computerjournale lieben es drastisch, um InternetsurferInnen aufzuschrecken. Sicher-Surfen-SünderInnen dürfen aber aufatmen. Ihre Fahrlässigkeit hält sich in Grenzen. Eine von der Akademie der Wissenschaften für die AK durchgeführte Studie zeigt, dass sich viele Empfehlungen im Praxistest nicht bewähren. Der Kosten- bzw. Zeitaufwand muss überschaubar bleiben, und es dürfen keine gravierenden Einbußen bei der Bequemlichkeit entstehen.
Empfehlenswert ist neben Virenschutzstandards, vor der Nutzung von Onlinediensten Kleingedrucktes zu lesen und mit Daten zu geizen. Viele Angebote lassen sich auch ohne vollständige Angaben nutzen. Wer eine Personensuche unterbinden will, sollte bei Chats bzw. Instant-Messaging-Diensten wechselnde Identitäten verwenden und – soweit möglich – Beiträge aus öffentlich zugänglichen Archiven löschen. Achtung: Löschanleitungen sind rar. Heimliches Datensammeln widerspricht Datenschutzprinzipien und ist trotzdem weit verbreitet: Cookies sind z. B. Dateien, die von besuchten Webseiten lokal am PC gespeichert werden. Sie können angepasste Angebote erstellen oder den BenutzerInnen die wiederholte Eingabe von Passwörtern ersparen. Cookies können aber auch – über einzelne Websites hinaus – Datenprofile erstellen. Webbrowser bieten unter den Sicherheitseinstellungen Cookie-Optionen. Eine pauschale Ablehnung sperrt den Nutzer von vielen Angeboten aus, die individuelle Anfrage kann auch nerven. Vorsicht gilt auch bei Gratissoftware. Sie kann Spyware enthalten, die auch nach Programmdeinstallation aktiv bleiben und alle Internetaktivitäten protokollieren kann.

WEBLINKS
AK-Abteilung für Konsumentenpolitik
www.arbeiterkammer.at/www-2837.html

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Von Mag. Daniela Zimmer (Abteilung für Konsumentenschutz in der Arbeiterkammer Wien)

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