ATS 67.000 brutto steht auf dem Gehaltszettel von Herrn Hans M.(Name von der Redaktion geändert) vom Jänner 2000. Je nach Provisionslage hatte er durchschnittlich 2500 Euro netto pro Monat verdient.
Heute leben Herr M. und seine Frau von seinen 990 Euro Notstandshilfe. Zum finanziellen Abstieg kommt große Wut über die Ungerechtigkeit nach einem langen Arbeitsleben. Das Leben von Herrn M. wird von der Südautobahn und der Tangente begleitet. 36 Jahre seines Lebens ist er täglich die Südosttangente hinauf und bei Vösendorf herunter gefahren.
Zu »seiner« Firma, dem Baumaschinenunternehmen Terra, wo er nach der Automechanikerlehre als Baumaschinenmonteur begonnen und bis November 2000 beschäftigt war. Einen Tag nach seinem 56. Geburtstag kam für ihn das »Aus«.
Seither leben Herr und Frau M. in einem kleinen Schrebergartenhaus, einen Steinwurf von der Südosttangente entfernt.
Paradies
»Kommen Sie weiter, in unser kleines Paradies«, sagt Herr M. ohne jede Ironie und öffnet die Tür zu seinem kleinen Häuschen mit zugebauter Veranda, das er mit seiner Frau bewohnt. Etwa 150 Meter östlich ragt die Schallschutzmauer der Tangente meterhoch in den Winterhimmel. Das ständige Brummen des Verkehrs ist für Herrn M. fast »wie Meeresrauschen«. Nur wenn der Verkehrsfluss stockt, wirds ein wenig unangenehm. Dafür haben die M.s gleich hinter dem Maschendrahtzaun ihres winzigen Schrebergartens freies Gelände, das sich bis zum Praterstadion zieht. Noch, denn demnächst soll dort eine U-Bahn gebaut werden, aber all das scheint ihm nichts auszumachen, denn kaum ist die Türe zu, ist es ruhig wie in einem Büro nach Dienstschluss.
Dienstschluss
Für Hans M. war Ende 2000 Schluss. Den Tag der Ankündigung weiß er noch, und nicht nur deshalb weil sie ihm an seinem Geburtstag, dem 20. Oktober, unterbreitet wurde. Dass die Baumaschinenfirma Terra, ein Familienbetrieb, verkauft werden sollte, war der Belegschaft bekannt gewesen. Hatte der Chef doch in einem Rundbrief die Mitarbeiter informiert und »speziell den Langjährigen versichert, dass er froh sei, weil ein Österreicher übernimmt und alle bleiben können«. Der Abschied wurde in kleinen Dosen gegeben und schmerzt heute noch. Bis März 2001 könne er bleiben, hieß es zuerst, bis er im November 2000 plötzlich »freigestellt« wurde. Er hätte etwas Abwegiges über die Firma gesagt, erfuhr Herr M. auf Umwegen von Kollegen. Den neuen Geschäftsführer hatte er nur flüchtig am Gang gesehen.
»Für mich ist eine Welt zusammengestürzt, denn ich habe mit Leib und Seele für die Firma gelebt«, erzählt Hans M.. Vom Baumaschinenmonteur hatte er sich hochgearbeitet, den Fuhrpark übernommen und schließlich vom Test, Verkauf und Transport der Maschinen bis hin zu den Transportgenehmigungen für überschwere Fahrzeuge alles geregelt. Immerhin rund 70 Maschinen pro Jahr wurden mit Hilfe von Hans M. an Kunden aus Österreich, Griechenland und dem ehemaligen Jugoslawien verkauft. »Kostensparend«, sagt M., »weil ich habe immer so gearbeitet, als gehöre die Firma mir«.
Qualität chancenlos
In der Branche, wo »einer den anderen kennt«, wusste man auch um die Qualitäten des arbeitsamen Herrn M.. »Hans, du kannst zu uns kommen«, hieß es dann auch am Anfang seiner Arbeitslosigkeit. Und schließlich: »Herr M., so passen Sie nicht in unser Konzept.« Denn nicht mehr und nicht weniger als 1800 Euro netto wollte der damals mittlerweile 57-Jährige von einer neuen Firma. In ähnlicher Höhe wäre auch seine Pension gewesen, die er ab heuer bezogen hätte, »wenn die Pensionsreformen nicht gewesen wären.« Und in ähnlicher Höhe waren damals auch die Fixkosten des Ehepaares, samt Wohnung, Schrebergarten, Auto, Versicherungen und Bausparverträgen für die Kinder.
Heute fährt der ehemalige Gutverdiener Herr M. mit dem Fahrrad seine Einkaufsrunden zu den diversen Supermärkten der Umgebung und schaut, wo es preisgünstige Angebote gibt. »Ich fahre im Kreis, zum Hofer und zum Lidl, und ich spare wo es geht.« An ihm spart der Staat einiges, rechnet er vor. Eigentlich hatte er mit einer Pension mit 60 gerechnet, doch dann kam die erste Pensionsreform. »Normalerweise hätte so ich mit 60 Jahren in Pension gehen können. Bekommen hätte ich um die 1800 Euro netto. Wenn man nun die Jahre multipliziert, die ich jetzt in der Notstandshilfe warten muss, bis ich in Pension gehen kann, kommt einiges zusammen, was ich verliere.«
532 Versicherungsmonate bei der Firma Terra sind auf seinen Versicherungsauszug vom Dezember des Vorjahres vermerkt.Bis zu seiner Arbeitslosigkeit hatte er mit Ausnahme der Bundesheerzeiten immer gearbeitet. »Insgesamt habe ich 42 Jahre lang einbezahlt und nicht wenig. Auch die Provisionen, wenn ich ein Fahrzeug verkauft habe, wurden schließlich versteuert«, erzählt er. »Aber mein Glück war, dass ich so lange bei der Firma gewesen bin und ein Jahr Abfertigung bekommen habe. Davon habe ich das Schrebergartenhaus umgebaut, sodass wir die alte Wohnung aufgeben und hierher ziehen konnten.«
Wenn er von seinem »Pech« erzählt, darf der Nachsatz: »Aber zum Glück « nicht fehlen. Leider habe seine Frau nie eine bezahlte Arbeit gehabt, erzählt er zum Beispiel, sonst hätten sie heute auch ein bisschen mehr. Mit dem gut verdienenden Ehemann hatte Frau M. auch nie Anspruch auf Karenzgeld, als die beiden Kinder zur Welt kamen. »Aber zum Glück sind wir immer noch verheiratet. Die meisten meiner Bekannten haben das nicht geschafft.«
Herr M. war 56,5 Jahre, als er – Anfang 2001 – in die Arbeitslosigkeit entlassen wurde. Für die vorzeitige Alterspension wegen Arbeitslosigkeit war er zu jung. Zum Arbeiten war er zu teuer oder »zu alt«. Auch für die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer kam er nicht in Frage.
Betrogen
Hans M. hat das Gefühl, betrogen worden zu sein. »Wenn einer eine private Pensionsversicherung abschließt, die bis zu einer bestimmten Frist läuft und plötzlich heißt es: Ätsch, wir haben es uns anders überlegt, jetzt musst du noch sechs Jahre warten, zinsenlos, bis du dein Geld bekommst<, das geht doch auch nicht«, vergleicht er, aber zum Glück habe er sein Mountainbike. Radfahren in der Natur kostet fast nichts und wenn er seinen Termin am Arbeitsmarktservice wahrnimmt, dient das Mountainbike als Hauptthema beim kurzen Gespräch mit seinem Berater. »Was sollen wir sonst auch reden, ich bin ja jetzt überhaupt nicht mehr vermittelbar«, sagt der mittlerweile 60-Jährige.«.
Höhere Arbeitslosenrate
Hans M. ist einer von vielen, die schon von der ersten Pensionsreform 2000 betroffen waren. Schon damals verzeichnete die Arbeiterkammer einen überdurchschnittlich hohen Anstieg der Arbeitslosigkeit der über 55-Jährigen. Besonders dramatisch war (und ist) die Entwicklung bei 60-jährigen Männern: Zwischen Oktober 2000 und Oktober 2001 stieg der Arbeitslosenquote von 7,5% auf 19,1% an. Nebeneffekt: »Es kann davon ausgegangen werden, heißt es in der AK-ONLINE vom August 2002 (»Auswirkungen der Pensionsreform 2000«), »dass auch ein Teil der stark gestiegenen Jugendarbeitslosigkeit auf die Pensionsreform zurückzuführen ist. Es wird geschätzt, dass mindestens 2000 Jugendliche durch die erhöhte Altenbeschäftigung in die Arbeitslosigkeit abgedrängt wurden.« Befürchtungen, die sich zu bewahrheiten scheinen. So geht die AK davon aus, dass heuer die Arbeitslosenquote von sieben Prozent im Vorjahr noch übertroffen wird. Mit zusätzlich 10.000 Arbeitssuchenden sei zu rechnen, so AK-Präsident Herbert Tumpel. Dadurch würde die Jahresarbeitslosenquote auf 7,4 Prozent steigen. Die Gründe sieht der AK-Präsident in der Anhebung des Pensionsantrittsalters durch die Pensionsreform und der verfehlten Reform der Altersteilzeit.
Keine Armut
Von Altersarmut ist die Familie M. nicht betroffen. Zum Glück gab es die Abfertigung und dadurch den feinen Verandazubau zum Häuschen, sodass an den Festtagen auch die Kinder und die Enkel Platz haben. Das Alter merkt
man dem schlanken Sechziger nicht an und wenn er nicht gerade über seine Firma und sein »Pech« erzählt, könnte man ihn durchaus für zufrieden halten. Für diesen Eindruck sorgt er auch selber. »Wie es einem Pensionisten halt so geht«, sagt er zum Beispiel zu einem Bekannten am Telefon, »du weißt ja, immer viel zu tun.« Es muss nicht jeder wissen, dass einer nach 42 Jahren Arbeit in der Notstandshilfe ist. Trotzdem erwartet Herr M. mit Bangen seine Pension. Denn soviel weiß er jetzt schon: Er wird 10 Prozent verlieren, wenn er am 1. März 2007 mit 62 Jahren und 4 Monaten seine Pension antreten wird. Bis dahin wird Herr M. 47,5 Versicherungsjahre erworben haben.
Sein Prozentsatz am 1. 3. 2007, laut Berechnung der Arbeiterkammer: 571 Versicherungsmonate mal 1,78% durch 12 ergibt 84,7 an Steigerungspunkten. Der Abschlag errechnet sich nach folgender mathematischer Formel:
32 mal 0,35 = 11,2%
84,7 weniger 11,2% ergibt 75,21%
Das sind 6 Prozent Verlust allein aus den Steigerungspunkten. Dazu kommen um vier Jahre mehr an Durchrechnung. Für Herrn M. werden die »besten« 19 Jahre – in seinem Fall von 1982 bis 2000 – durchgerechnet werden. Das bedeutet, dass er wieder einmal doppelt verliert. Einerseits werden um vier Jahre mehr durchgerechnet, was zu mindestens vier Prozent zusätzlichem Verlust führt. Andererseits bricht sein Einkommen 2001 ab, wodurch seine Bemessungsgrundlage ohnehin schon deutlich entwertet wird.
Was diese Bundesregierung »für« Herrn M. getan hat, haben die AK-Experten Erik Türk und Wolfgang Panhhölzl errechnet: Sein Pensionsalter wurde um zweieinhalb Jahre angehoben und seine Pension um 10 Prozent gekürzt. Und: Durch die Kombination von späterem Pensionsantritt und vollen Pensionsverlusten wurde in keiner Weise auf seinen Vertrauensschutz Rücksicht genommen.
R E S Ü M E E
Hans M. versteht die Welt nicht mehr. Von der hoch bezahlten Fachkraft wurde er binnen kurzem zum Bezieher der Notstandshilfe. Die ist zwar höher als die Armutsgrenze. Aber das hat er sich dennoch nicht verdient, ist der 60-Jährige überzeugt. Nicht allein um sein Geld fühlt sich der ehemalige Baumaschinenmonteur betrogen. Er fragt sich: Wem bleiben eigentlich die Früchte seines Arbeitslebens?
Von Autorin: Gabriele Müller (Freie Journalistin in Wien)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .
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