Stress und Burn-out sind zum zentralen Problem der Leistungsgesellschaft geworden. Ständig auf Vollgas zu sein, macht auf Dauer krank. Mehr denn je gilt Schopenhauers Satz „Ohne Gesundheit ist alles nichts“ als Basis für gute Arbeits- und Lebensqualität.
Die beschleunigte Arbeitswelt fordert ständige Erreichbarkeit und ein inhumanes Tempo, mit dem viele Menschen nicht mehr mithalten können oder wollen. Psychischer Druck spielt bei vielen Erkrankungen eine Rolle. Präsentismus, also trotz Krankheit zu arbeiten, ist weit verbreitet. Rund ein Drittel gehen sogar gegen den Rat ihres Arztes arbeiten. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Stressfolgen zu einer der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. Waren die drei größten Leiden der Menschheit im Jahr 1990 noch Lungenentzündung, Durchfall und Kindstod, so prognostiziert die WHO für 2020 Herzinfarkt, Depressionen und Angststörungen – allesamt häufig Folgen von Stress – als größte Gesundheitsgefahren der Menschheit.
Drei Dimensionen
Hartmut Rosa erfasst in seinem Buch “Beschleunigung“ die kulturellen und strukturellen Ursachen der “Beschleunigungswelle”. Er beschreibt drei Dimensionen und stellt deren Auswirkungen auf das Arbeiten und Entscheiden dar:
- Die technische Beschleunigung führt durch den gezielten Einsatz von Technik zur Beschleunigung von Vorgängen. Sie verringert die erwarteten Durchschnittszeiten für die Bearbeitung von Aufgaben, Anforderungen sowie Reaktions- und Rechenzeiten, woraus wiederum erhöhter Zeitdruck resultiert. Die gesteigerte Informationsmenge führt zu einem Mehraufwand bei der Informationsauswahl und -verarbeitung. Die Anwendung komplexer Technologien erfordert die ständige Erneuerung von Wissen.
- Die Beschleunigung des sozialen Wandels verändert vormals gültige Ordnungen und Strukturen und verkürzt überschaubare Zeiträume. Dies führt zur ständigen Neudefinition formeller und informeller Normen. In Folge dessen verkürzt sich der Zeitraum, während dem wir mit konstanten und damit gewohnten Arbeits- und Lebensbedingungen rechnen können. Zur Beschaffung aller relevanten Informationen für Entscheidungen, wird die Zeit immer knapper. Daher werden Entscheidungen immer seltener auf rationalen Grundlagen getroffen. Durch die kaum fassbare Komplexität begrenzen und vereinfachen wir unseren Entscheidungsrahmen (Buchtipp: “Bauchentscheidungen” von Gerd Gigerenzer).
- Die Beschleunigung des Lebenstempos bedeutet die Steigerung der Erlebnisepisoden pro Zeiteinheit. Das wird durch Erhöhung der Handlungsgeschwindigkeit oder durch Verdichtung der Handlungsepisoden erzielt. Es kommt zur Verringerung von Pausen und Leerzeiten oder mehrere Handlungen werden gleichzeitig, jedoch mit Qualitätsverlust, ausgeübt (Multitasking). Ein Effekt ist das Ansteigen von Arbeitsaufgaben mit Dringlichkeit. Dringlichkeit verpflichtet zu unmittelbarer Aktivität, zum schnellen Handeln. Im beschleunigten Umfeld ist die Zeit zum Entscheiden knapp. Mitbestimmung kostet aber Zeit. Führungskräfte mit partizipativem Führungsstil kommen unter hohen Zeitdruck. Verlangt das Unternehmen rasche Entscheidungen, lassen sich zeitintensive Entscheidungsprozesse nicht mehr realisieren. Kommt das immer wieder oder gehäuft vor, untergräbt das die Glaubwürdigkeit partizipativer Führungsstile und gesunde Arbeit bleibt auf Strecke.
Mit der Zeit leben
Sich der Ursachen der Beschleunigung bewusst zu werden ist der erste Schritt, um das eigene Empfinden von Zeitzwang und Zeitdruck zu hinterfragen. “Nicht gegen die Uhr sondern mit der Zeit zu leben” wäre ein generelles Motto, den passenden menschengerechten Rhythmus von Zeit und Geschwindigkeit zu finden.
Organisationsmodelle mit ihren Arbeitsnormen haben darauf zu achten, dass es in optimalem Ausmaß Handlungsspielräume und genügend Ressourcen gibt. Die verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung psychischer Belastungen kann Rhythmus und Tempo ein gesundes Maß geben.
Für gesunde Arbeit lassen sich zentrale Stellgrößen in der Arbeitswissenschaft finden. Gesunde Arbeit, verstanden als Investition statt Kostenfaktor, bringt Produktivität, Arbeitsqualität und Lebensqualität.
Wenn Sie mehr wissen wollen, finden Sie in der Lösungswelt www.gesundearbeit.at Antworten.
Von Alexander Heider, Leiter der Abteilung Sicherheit, Gesundheit und Arbeit in der Arbeiterkammer Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/14.
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at