Demütig die Hand ausstrecken, vielleicht leise „Bitte“ sagen ist erlaubt. Wird man als bettelnde Person von Passantinnen und Passanten beschimpft, ist es besser, ruhig zu bleiben. „Schleich dich“, habe einmal einer zu ihm gesagt, „geh arbeiten!“ Da habe er zurückgeschimpft, erzählt Ciprian. Er habe Hunger gehabt, sagt er, sei müde gewesen und nicht sehr gut gelaunt. Die Polizei habe ihn mitgenommen, er hätte eine Strafe bezahlen sollen. Schließlich habe man ihm das Kleingeld abgenommen, circa zehn Euro in Münzen. Eigentlich ist Ciprian nicht zum Betteln nach Österreich gekommen und jetzt bettelt er auch nicht mehr. Er verkauft die Zeitung „Global Player“ vor einem Billa-Supermarkt. Alle paar Monate fährt er nach Hause in die rumänische Kleinstadt Pitești, wo seine Frau und seine vier Kinder leben. Er ist stolz, dass wenigstens zwei von ihnen zur Schule gehen können. Obwohl es hart sei und er selbst manchmal nicht esse, um zu sparen. Fünf Euro zahlt er pro Nacht für ein Quartier, in dem er mit Menschen aus den Armutsregionen Europas, Afrikas und Asiens wohnt. Die Menschen hier seien freundlich, wenn auch nicht alle, meint er und zeigt auf seine große Zahnlücke. Beschimpft werde er schon noch ab und zu, doch gebe er keine Antwort mehr.
Stereotyp Mafia
Seit dem EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens werde die Bettelmigration verstärkt wahrgenommen, schreibt Teresa Wailzer in ihrer Diplomarbeit „Merk.Würdig.Arm. Betteln aus unterschiedlichen Perspektiven“: „Die Stereotype des rechtspolitischen Diskurses unterscheiden sich kaum von der Wahrnehmung der PassantInnen und Geschäftsleute. Bettler aus Osteuropa gelten als ‚falsche‘ Arme, da mafiöse Strukturen dahinterstecken sollen. Sie werden als aggressiv und aufdringlich empfunden, die Betroffenen haben Angst vor Polizeikontrollen.“
Wer in Österreich bettelt, müsste Jus studiert haben, denn die Rechtslage ist unübersichtlich. Erst 2012 hatte der Verfassungsgerichtshof das allgemeine Bettelverbot als unzulässig erachtet. Stilles Betteln sei ein Zeichen persönlicher Armut und ein Appell an die Hilfsbereitschaft und die Solidarität von Menschen, erklärten die Höchstrichter. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass ein Verbot stillen Bettelns keinem zwingenden sozialen Bedürfnis entspreche. Doch bestehen zahlreiche Verbote auf Länderebene, die der behördlichen Willkür Vorschub leisten, meinen VertreterInnen der Bettellobby und Menschenrechtsexpertinnen und -experten.
Gesetzesdschungel
So verbietet das Landessicherheitsgesetz in der Steiermark das aufdringliche Betteln mit einem Strafrahmen von bis zu 2.000 Euro, in Kärnten drohen dafür nur 700 Euro Strafe, in Niederösterreich 1.000 Euro. Eine nähere Definition, was unter „in aufdringlicher oder aggressiver Weise“ zu verstehen ist, bleibt auch das Wiener Landes-Sicherheitsgesetz schuldig. Dieses belegt das „Delikt“ mit einer Geldstrafe von 700 Euro bzw. einer Ersatzfreiheitsstrafe von einer Woche. Seit der Verschärfung der Gesetze steigen die Anzeigen wegen verbotenen Bettelns stetig an. 2013 wurden in Wien mehr als 1.600 Strafverfügungen verhängt, recherchierte die Journalistin Maria Sterkl für ihren Artikel in der „Zeit“, „Bitte, leise betteln!“.
Die Strafen seien willkürlich und teilweise rechtswidrig, meint Ferdinand Koller, Pädagogischer Leiter des Vereins Romano Centro und Mitarbeiter der Bettellobby. Kaum ein Bettler oder eine Bettlerin könne die hohen Beträge bezahlen, die Ersatzfreiheitsstrafe wiederum bedeutet naturgemäß Verdienstentgang.
Die Verfassungsrechtlerin Barbara Weichselbaum ortet zwei Ziele in den jüngsten Gesetzesnovellierungen: Eines sei es, das bestehende Bettelverbot weiter zu verschärfen, das andere, die „störungsfreie“ Nutzung des öffentlichen Raums zu garantieren. Schließlich reichen Straßenverkehrsordnung und Sicherheitspolizeigesetz aus, um aggressives Verhalten oder den oftmals unterstellten Menschenhandel zu ahnden. Beim Verbot des gewerbsmäßigen Bettelns orten die Expertinnen und Experten einen eklatanten Widerspruch. Einerseits sei es verboten, sich durch „Betteln eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen“. Verfolgte man diese Logik stringent, dürfte jeder/jede Bettelnde nur einen einzigen Menschen um Almosen bitten, will er oder sie vor Strafe absolut sicher sein. Auch was den Tatbestand „organisiertes“ Betteln betrifft, herrscht Unklarheit. Ist etwas erlaubt, das einer tut, dürfte es nicht verboten sein, wenn es drei tun, meint Ferdinand Koller. Weist Blickkontakt unter mehreren Bettlerinnen und Bettlern auf organisiertes Vorgehen hin? Ist der Bus, mit dem die Armutsmigrantinnen und -migranten aus Rumänien, Bulgarien und anderen Ländern bisweilen anreisen, gar Teil organisierter Kriminalität?
Geh arbeiten
„Geh doch arbeiten“ ist einer der Sätze, den Astrid mehrmals am Tag zu hören bekommt. Sie hat orange-rotes Haar, mehrere Piercings und einen leichten Hautausschlag. Mit mehreren anderen Punks und einem (freundlichen) Pitbull-Mischling sitzt sie vor dem Supermarkt beim Wiener Franz-Josefs-Bahnhof, ihre grünen Augen sind wach und traurig zugleich. Seit einem Kreuzbandriss ist die ehemalige Altenpflegerin arbeitslos. Besonders die abfälligen Kommentare älterer Menschen schmerzen sie innerlich sehr. „Ja“, sagt sie, sie habe viel Scheiße gebaut. Jetzt schläft sie auf der Straße und will von dort weg. Einmal, mit 15, wollte die jetzt 29-Jährige frei sein. Sie hatte sich diese Freiheit anders vorgestellt. Jetzt will sie nicht mehr schnorren, sondern arbeiten.
Flora G. schnorrt nicht, sie bettelt. Ihr Sohn bräuchte nach einer Kinderlähmung dringend eine Beinprothese. Die kostet 4.800 Euro, einen Betrag, den sich die 37-Jährige auch bei strengsten Sparmaßnahmen nicht leisten wird können. Schließlich bezahlt auch sie für das Quartier an einen örtlichen Vermieter rund 200 Euro pro Monat, der Tagesverdienst beträgt um die zwanzig Euro.
Die Meinung der Geschäftsleute in der Wiener Schottenpassage ist durchwegs negativ. Es seien zu viele, sie gehörten sicher einer Mafia an. Eine bettelnde Frau mit einem kleinen Kind auf dem Schoß bringt eine Passantin auf, die auf die Straßenbahn wartet. In allen Bundesländern mit Ausnahme des Burgenlands ist das „Mitführen unmündiger Minderjähriger“ beim Betteln untersagt. Der Verdacht auf Menschenhandel, berichtet Teresa Wailzer, habe sich jedoch nur bei knapp einem Prozent (drei von über 300) der aufgenommenen Kinder bestätigt. Ihrer Meinung nach wird die Komplexität des Problems zu wenig beachtet: „Die Verdrängung marginalisierter Gruppen aus dem öffentlichen Raum trägt nicht automatisch zur Verhinderung von Kinderhandel bei.“
Betteln, um zu überleben
Immer mehr Menschen sind gezwungen, zu betteln, um zu überleben. Nicht Banden zwingen sie dazu, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse. „Polizei, Stadtverwaltung und Verkehrsbetriebe arbeiten eng zusammen, um diese Menschen zu vertreiben und mit horrenden Verwaltungsstrafen einzudecken“, ist Teresa Wailzer, Obfrau des Vereins Goldenes Wiener Herz, überzeugt. Die Spendenkampagne, die bis zum 1. September 2014 unter dem Titel „Stell dich nicht so an – stell mich an!“ läuft, soll Bettlerinnen und Bettlern eine Stimme geben. Wailzer: „Es geht darum, dass die Betroffenen selbst zu Wort kommen und auf Augenhöhe mit den Passantinnen und Passanten sprechen und ihnen erzählen können, wie es ihnen geht und wie die Gesetzgebung derzeit aussieht.“
Für Marlena Ramnek ist eine Gabe an BettlerInnen mehr als Almosen. Es ist eine Umverteilung ohne gesetzliche Ansprüche, um zu einem Bruchteil des Geldes zu kommen, den andere einstecken, sagt die Ethnologin, die seit Jahren in der Sozialarbeit tätig ist. Es würde sich etwas ändern, es gäbe Arbeitsprojekte, leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt und andere pädago-gische Voraussetzungen. „Vielleicht ist Schnorren und Betteln auch die geheime Rache an den Reichen. Warum sollen sich die in Sicherheit und ungestört fühlen?“
Mehr Infos im Web:
www.goldeneswienerherz.at
Siehe wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Betteln:
www.bettellobby.at
Diplomarbeit (2009) „Betteln in Österreich“ von Ferdinand Koller
Diplomarbeit „Betteln als Beruf. Wissensaneignung und Kompetenzerwerb von Bettlerinnen in Wien“, Marion Thuswald
Diplomarbeit „Merk.Würdig.Arm. Betteln aus unterschiedlichen Perspektiven. Über Stereotype, Vorurteile und Selbstbilder rumänischsprachiger BettlerInnen in Wien“ 2014, Teresa Wailzer
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at
Von Gabriele Müller, Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/14.
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at