Mehr Schein als Sein

In 21 von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist ein gesetzlicher Mindestlohn festgelegt. In Österreich erhalten ArbeitnehmerInnen allerdings keinen Mindestlohn – ähnlich wie in Dänemark, Finnland, Italien, Schweden und auf Zypern. In Österreich werden Mindestgehälter bzw. Mindestlöhne nämlich in Kollektivverträgen – derzeit gibt es 856 gültige – festgelegt. Diese garantieren die Mindeststandards und rechtliche Sicherheit in den Arbeitsverhältnissen. Und sie legen für eine möglichst große Anzahl von ArbeitnehmerInnen sowie für alle Branchen und Regionen sachgerechte Lohn- und Arbeitsbedingungen fest. Allerdings gibt es immer mehr Löcher in diesem System.

Spitzenposition bei Tarifbindung

Laut einer aktuellen Statistik der OECD zur Tarifbindung von ArbeitnehmerInnen belegt Österreich eine Spitzenposition. Fast alle österreichischen ArbeitnehmerInnen sind durch Kollektivverträge abgesichert. Allein die Gewerkschaft für Privatangestellte, Druck, Journalismus Papier, GPA-djp, die jährlich 175 Kollektivverträge verhandelt, hat einen wichtigen Anteil an dieser erfreulichen Tatsache. Im Vergleich: In Deutschland werden 62 Prozent, in den USA nur 24 Prozent der ArbeitnehmerInnen durch Tarifverträge abgesichert.

Erfindungsreiche Unternehmer

Trotz der relativ guten Absicherung und des dichten Netzes an Kollektivverträgen ist in einigen Branchen in Österreich Lohn- und Sozialdumping ein großes Problem. Die betroffenen Branchen reichen von der Gastronomie und dem Transportgewerbe bis hin zu Personalleasingfirmen, Paketzustellern und Plakatierern, dem Reinigungs-, Fleischzerlegungsgewerbe sowie ErntehelferInnen. Wenn es darum geht, die Löhne und Sozialversicherungsabgaben des Personals zu senken, zeigen sich viele Unternehmen sehr erfindungsreich. Drei Teilnehmer des aktuellen Jahrgangs der SOZAK beschäftigten sich eingehend mit dem Thema des Lohn- und Sozialdumpings und erstellten dazu im Rahmen ihres Abschlussprojekts ausführliche Seminarunterlagen: Gerald Priglinger, Betriebsratsvorsitzender der Terrag Asdag, Daniel Lachmayr, Jugendsekretär der Gewerkschaft Bau-Holz Niederösterreich, sowie Stefan Hurt, Betriebsratsvorsitzender-Stellvertreter Securitas Sicherheitsdienstleistungen GmbH. Das Besondere an dieser Projektgruppe war die Zusammenarbeit mit KollegInnen aus Deutschland von der Europäischen Akademie der Arbeit Frankfurt. Gemeinsam setzten sie sich mit den verschiedensten Formen von Schattenwirtschaft auseinander.
Laut Sozialministerium wurden seit Inkrafttreten des Lohndumping-Gesetzes im Mai 2011 rund 27.000 Betriebe, darunter 6.300 aus dem Ausland, kontrolliert. 938 Unternehmen, darunter 444 ausländische, wurden wegen Unterentlohnung angezeigt, 1.700 verweigerten die Herausgabe von Unterlagen und wurden daher angezeigt. Gleich 17 ausländische Betriebe wurden für den österreichischen Arbeitsmarkt gesperrt. Insgesamt erhielten rund 4.000 Beschäftigte einen viel zu geringen Lohn. Die meisten ausländischen Unternehmen, die ertappt wurden, stammen aus Ungarn, gefolgt von Slowenien und der Slowakei.
Lohn- und Sozialdumping erscheint auf mannigfaltige Weise. Eine häufige Art ist der Sozialbetrug mittels Scheinfirmen. Dabei wird über Strohmänner ein, oft auch mehrere Unternehmen gegründet. Die Kapitalausstattung dieser Firmen geht gegen null, dem gesetzlichen Minimum – Insolvenzen sind einkalkuliert. Scheinunternehmen melden in großem Umfang Beschäftigte an, die meist geringfügig angestellt sind. Scheinfirmen werden auch oft mit sogenannten Subunternehmerpyramiden in Verbindung gebracht. Dabei erhält ein Generalunternehmer A einen Auftrag, der dann teilweise an einen oder sogar mehrere Subunternehmen B vergeben wird. Während die Ebene B „sauber“ gehalten wird, erfolgt eine weitere Subvergabe an eine C- oder gar D-Ebene. Diese Firmen sind oft Scheinfirmen oder gar scheinselbstständige Ein-Personen-Unternehmen (EPU). Damit sollen Sozialleistungen minimiert oder umgangen werden. Bei Auffliegen einer C- oder D-Firma werden Anmeldungen, das Personal sowie allfälliges Kapital schnell in neue Konstrukte verschoben. Im Hintergrund agieren dabei meist dieselben Personen, die Firmen arbeiten mit Scheinrechnungen. Die tatsächlichen Arbeiten hingegen führen Beschäftigte dieser Firmen aus.

Manipulation und Lohnsplitting

Viele Unternehmen bedienen sich auch der doppelten Lohnbuchhaltung. Dabei werden eine externe und eine interne Lohnbuchhaltung geführt. Die externe Version dient der Vorlage bei Behörden und entspricht auch den gesetzlichen Vorgaben. Im internen Buch werden die echten, also die Dumpinglöhne aufgezeichnet. Für die Buchhaltung werden dann die Scheinrechnungen der verbundenen (Schein-)Firmen verwendet. Neben der doppelten Lohnbuchhaltung betreiben Unternehmen manchmal auch eine doppelte Lohnverrechnung, um die tatsächlich bezahlten – niedrigen – Löhne zu verschleiern. Bei dieser Form des Sozialdumpings werden für eine Person unter verschiedenen Namen mehrere geringfügige Dienstverhältnisse abgeschlossen. Diese Person wird für einen Monat beschäftigt, das Entgelt aber wird auf mehrere Monate gesplittet. Die Entgeltbestandteile werden als echte Aufwandsentschädigung und nicht in Sozialversicherungsbemessung ausbezahlt.
Bei einer Scheinselbstständigkeit werden einfache Tätigkeiten mittels Werkvertrag an Ein-Personen-Unternehmen vergeben. Es sind zwar Gewerbeberechtigungen vorhanden, der Werkvertrag unterliegt allerdings der Privatautonomie. Die Scheingeringfügigkeit ist nicht nur am Bau gang und gäbe. Oft trifft dies auch auf Lkw-Fahrer, Paketzusteller, Plakatierer, LagermitarbeiterInnen (auch „Konsulenten“ genannt) zu. Wenn Beschäftigte geringfügig angemeldet werden, aber effektiv Vollzeit arbeiten, spricht man von Scheingeringfügigkeit. Um Steuern und Sozialabgaben zu minimieren, wird dabei nur die Unfallversicherung abgedeckt. Die Differenz vom geringfügigen und dem tatsächlichen Lohn wird bar auf die Hand schwarz ausbezahlt. Von einer Scheinentsendung ist die Rede, wenn eine „Briefkastenfirma“, die im Ausland ihren Sitz hat, aber ausschließlich im Inland handelt, die beschäftigten Personen hauptsächlich im Inland rekrutiert. Dabei wird die Sozialversicherung – wenn überhaupt – nach ausländischen Maßstäben und im Ausland entrichtet. Behörden können dies bei Kontrollen jedoch nicht überprüfen, da sie keine Zugriffe auf die Datenbanken der ausländischen Sozialversicherungen haben.
Die gänzlich klandestine Schwarzarbeit ist ein Phänomen im niederschwelligen und oft privaten Bereich. Ob die Putzfrau zu Hause oder die Bauarbeiter, die die Terrasse erweitern oder den Dachboden ausbauen: SchwarzarbeiterInnen bekommen ihren Lohn bar auf die Hand „brutto für netto“ ausgezahlt. Sie melden sich nicht bei der Sozialversicherung an. Viele SchwarzarbeiterInnen verfügen eigentlich über ein „echtes“ Dienstverhältnis und lukrieren durch gelegentliche Schwarzarbeit zusätzliche Einkünfte.

Mehr Kontrolle

Im November 2014 wurde im Parlament eine Novelle des Lohn- und Sozialdumpinggesetzes verabschiedet. Seither drohen bei fehlenden Unterlagen – je nach Anzahl der geprellten ArbeitnehmerInnen – bis zu 10.000 Euro Strafe. Zudem wurden die Lohnkontrollen ausgeweitet, um das Ausmaß der Unterentlohnung exakt zu ermitteln. Während bis dato nur der KV-Lohn herangezogen wurde, werden seit Jänner auch Zulagen wie Überstundenzuschläge oder Sonderzahlungen berücksichtigt. Eine weitere Neuigkeit ist auch die Möglichkeit für betroffene ArbeitnehmerInnen, Nachzahlungen einzuklagen, indem sie über das Vorliegen eines Strafbescheides auch informiert werden. Die Verschärfung der Kontrollen ist eine weitere notwendige Maßnahme, um den Zielen des Lohn- und Sozialdumpinggesetzes näherzukommen: gleicher Lohn am gleichen Ort, fairer Wettbewerb und die Sicherung des österreichischen Lohnniveaus.

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Die TeilnehmerInnen der Sozialakademie der Arbeiterkammer (SOZAK) arbeiten im Zuge des Lehrgangs jedes Jahr in Kleingruppen an von den Gewerkschaften beauftragten Projektarbeiten zu unterschiedlichen gewerkschaftspolitisch relevanten Themen. BetriebsrätInnen, GewerkschaftssekretärInnen sowie Interessierte können diese Projektarbeiten unter www.ichwardabei.at downloaden oder im Verlag bestellen (Michael Musser, +43 1 662 32 96-39732, michael.musser@oegbverlag.at). In unserer neuen Serie stellen wir ausgewählte Projektarbeiten vor, die zum jeweiligen Schwerpunktthema des Hefts passen.

Von Maja Nizamov, Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/15.

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