Ich würde an die Pädagogische Akademie gehen, würde wieder Volksschullehrer lernen, nebenbei Querflöte am Konservatorium belegen und gleichzeitig mindestens drei Jahre im fremdsprachigen Ausland Sprachaufenthalte machen.« So lautete die Antwort von Bildungsministerin Gehrer in einem Interview auf die Frage nach ihrer
Wunschausbildung.
Unsichere Berufsperspektiven
Den betroffenen Maturantinnen und Maturanten fällt die Berufs- und Studienwahl in der Realität allerdings vielfach nicht so leicht. Sie müssen heutzutage diese Entscheidung unter dem Druck unsicherer Berufsaussichten treffen. Mit einer Matura von einer Allgemeinbildenden Höheren Schule (AHS) allein ist kaum mehr ein direkter Berufseinstieg möglich. Aber auch Absolventinnen und Absolventen von Berufsbildenden Höheren Schulen (BHS) haben es nicht immer leicht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden.
Zudem sind die Zeiten vorbei, in denen AkademikerInnen zwischen mehreren attraktiven Jobangeboten wählen oder zumindest rasch eine fixe Anstellung finden konnten.
Reißerische Schlagzeilen, wie »Umsonst studiert: Tausende Akademiker finden keinen Job«, tragen überdies zur Verunsicherung von Studierenden und deren Eltern bei, zumal der Hinweis auf das weit höhere Arbeitslosenrisiko von Personen ohne Höherqualifizierung häufig entfällt oder im Text »untergeht«. Übrigens verwies Ministerin Gehrer – ungeachtet ihres eigenen »Berufs(wunsches)« – in ihrem »Maturantenbrief« auch heuer wieder auf den sinkenden Bedarf an LehrerInnen im Pflichtschulbereich.
Wer schon von klein auf weiß, dass sie oder er Ärztin/Arzt, Anwältin/Anwalt werden oder an einer AHS unterrichten will, hat es bei der Studienwahl insofern leicht, als für diese Berufe nach wie vor die »klassische« Universitätsausbildung erforderlich ist. Zu hoffen ist nur, dass diese Entscheidung wohl durchdacht ist und die Vorstellung vom »Traumberuf« nicht allein durch Fernsehserien wie »Emergency Room« oder »Ally McBeal« geprägt ist.
Verwirrende Vielfalt an Angeboten
Viele Jugendliche haben aber ohnehin weit weniger konkrete Berufswünsche. »Ich möchte irgend etwas mit Computer machen!«, »Meine Tochter interessiert sich für Sprachen!« oder »Ich würde gern mit Menschen zu tun haben!« sind Sätze, die die Bildungsberaterinnen und -berater der Arbeiterkammer oft zu hören bekommen. Im Vergleich zu früher sind die Jugendlichen heute jedenfalls mit einer wachsenden Zahl von ganz unterschiedlichen Studienangeboten konfrontiert – die Palette reicht von den Diplomstudien an Universitäten über Fachhochschul-Studiengänge für Berufstätige bis hin zu Akademien und einer kaum mehr überschaubaren Fülle an Universitätslehrgängen. Sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen werden außerdem immer mehr kürzere und straffer organisierte Bakkalaureats-Studiengänge angeboten, deren Akzeptanz am Arbeitsmarkt freilich noch gar nicht absehbar ist.
Geschlechtsspezifische Studienwahl
Statistisch betrachtet lassen sich über einen längeren Zeitraum hinweg durchaus gewisse Trends bei der Studienwahl feststellen. Der Einfluss der Studienberatung kann aufgrund fehlender Langzeituntersuchungen de facto nicht abgeschätzt werden. Es ist aber anzunehmen, dass generell die wirtschaftliche Lage und die stärkere Tendenz zu »verwertbarer« Bildung für die Entwicklung insgesamt ausschlaggebend waren. Lagen bis zu Beginn der Neunzigerjahre die Geisteswissenschaften unangefochten auf Platz eins der Beliebtheitsskala, so haben die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in den letzten Jahren stark aufgeholt. Das Studium der »Betriebswirtschaft« ist mit Abstand am beliebtesten, gefolgt von Rechtswissenschaften, Medizin, Handelswissenschaft und Psychologie. Bei den AnfängerInnen belegen rund 25% ein Fach der Geisteswissenschaften und 23% ein Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Mit einigem Abstand in der Beliebtheitsskala folgen die Naturwissenschaften (16%) und die technischen Studienrichtungen (14%). Nach wie vor sind bei der Studienwahl eindeutige geschlechtsspezifische Unterschiede festzustellen: Bei den Sprachstudien sind Frauenanteile von 80% und mehr zu verzeichnen.
Auch Pädagogik, Ernährungswissenschaften, Psychologie, Veterinärmedizin und Pharmazie werden überwiegend von Frauen gewählt. Die Domänen der Männer sind weiterhin die Technik und die Montanistik, hier liegen die Frauenanteile durchwegs unter 20%.
Schwer wiegende Entscheidung
»Die Studienwahl ist für das Leben viel entscheidender als den richtigen Partner auszusuchen!«, lautete einmal die pointierte Aussage eines Wirtschaftspsychologen. Fest steht zweifellos: Die Studienwahl ist ein wesentlicher Faktor für die späteren Leben- und Berufschancen. Zutrittsrechte zu bestimmten Berufen, die Position am Arbeitsmarkt, Einkommen, Status und Prestige hängen von dieser »Weichenstellung« ab.
Geringes Wissen über Studienangebote, Ausbildungsinhalte, Arbeitsmarktrelevanz etc. verengt jedenfalls den individuellen Entscheidungsspielraum. Wer zum Beispiel über Alternativen zum Universitätsstudium gar nicht Bescheid weiß, kann die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Studienformen gar nicht richtig abwägen.
So wechselt ein nicht geringer Anteil an Studierenden (rund 20%) alljährlich von der Universität zur Fachhochschule, weil an den wissenschaftlichen Hochschulen die Betreuung durch die Lehrenden oft zu wünschen übrig lässt bzw. ein hoher Grad an Selbs-torganisation verlangt wird und er oder sie an den Fachhochschulen mit einem weitgehend vorgegebenen Stundenplan und mehr Praxisorientierung besser zurecht kommen.
Generell ist festzuhalten, dass Fehlentscheidungen bei der Studienwahl nicht leicht zu revidieren sind, da spätere Korrekturen in der Regel mit einem zusätzlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand einhergehen. Für ein »verlorenes« Studienjahr sind ja nicht nur die Studiengebühren zu veranschlagen, sondern es müssen die Ausgaben für die Lebenshaltung (z. B. für die Wohnung), das Studium (z. B. für Bücher, Skripten) und oft auch der Verlust von Transferleistungen (Familienbeihilfe, Stipendium) infolge eines fehlenden Leistungsnachweises mit- einkalkuliert werden.
Studierende schlecht beraten
Studien belegen, je früher eine Bildungsentscheidung in die Wege geleitet wird, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Realisierung, d. h. es besteht eine geringere Neigung zu langer Studiendauer, Studienwechsel oder Studienabbruch. Die rechtzeitige und fundierte Vorbereitung im Schulbereich ist daher von besonderer Bedeutung.
Um Genaueres über die Studien- und Berufsorientierung an den Schulen und die Beratungssituation an Universitäten und Fachhochschulen zu erfahren, hat die AK Wien beim ÖIBF (Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung) eine repräsentative Befragung in Auftrag gegeben1). Rund 1150 Studierende, die ihr Studium im Wintersemester 2003/04 in Wien begonnen haben, nahmen daran teil.
Ein Hauptergebnis der Studie ist, dass sich knapp die Hälfte der Befragten, nämlich 42%, vor Studienbeginn schlecht informiert gefühlt hat. Bei den Studierenden mit AHS-Matura gibt es nur 53% »Gutinformierte« gegenüber 62% bei den BHS-Maturantinnen und -Maturanten. Es fehlten den Studierenden vor allem Informationen über Studienplanung und -schwerpunkte, Studienförderungen, alternative Ausbildungsmöglichkeiten und »untypische« Studienrichtungen.
Zum Teil fiel die grundsätzliche Entscheidung für ein Studium viel früher als für ein konkretes Studienfach. Immerhin 34% sagen, dass ein Hochschulstudium »schon immer« feststand. Jede Zehnte hingegen entschloss sich kurzfristig vor Semesterbeginn für ein Studium.
Überraschend ist, dass sich mehr als die Hälfte der StudienanfängerInnen ziemlich spät auf ein bestimmtes Studienfach festgelegt hat. 56% wählten ihr Studium in den Ferien, rund die Hälfte davon aber erst unmittelbar vor der Zulassung im Herbst.
Die Motive, ein Hochschulstudium aufzunehmen, waren überwiegend von späteren Verwertungsinteressen (»solide Berufsausbildung«, »notwendig für Wunschberuf«, »bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt«) bestimmt.
Studieninformation und -beratung wurde am häufigsten auf Bildungsmessen (64%), von der Studierendenvertretung (54%) und nur zu 51% im Rahmen von schulischen Angeboten in Anspruch genommen.
Wer Beratung nützte, bewertete diese im Rahmen der Studierendenvertretung als am hilfreichsten (56%). Die Bildungsinformation im Schulunterricht und durch Schüler- und BildungsberatungslehrerInnen sahen lediglich 36% als bedeutsam an.
Die wesentliche und mit Abstand am meisten genutzte Informationsquelle zur Studienwahl war das Internet. Über 95% der angehenden Studierenden haben diesen Rechercheweg gewählt.
Lob und Tadel von der OECD
Angesichts dieser Ergebnisse kann wohl kaum von einer zufriedenstellenden -Situation im Bereich der »Berufs- und Bildungswegorientierung« gesprochen werden. Die Reaktion des Bildungsminis-te-riums auf Forderungen von Ar-beit-nehmer-organisationen zu diesem Themenfeld beschränkte sich aber bislang auf den Hinweis, dass die im Vorjahr erstellte OECD-Studie »Career Guidance and Public Policy: Bridging the gap«, Österreich im internationalen Vergleich ohnehin »ein gutes Zeugnis« ausstellt. Bei -näherer Betrachtung entspricht die diesbezügliche APA-Meldung »Lob und -Tadel für Österreichs Berufsberatung« -jedoch weit mehr dem Inhalt des OECD-Berichts.
Festgestellt wird von der OECD nämlich unter anderem, dass in Österreich die Jugendlichen – im Unterschied zu Ländern mit einer gemeinsamen Mittelstufe – schon sehr früh Entscheidungen treffen müssen, die starke Auswirkungen auf ihren künftigen beruflichen Lebensweg haben. Die Entscheidungsfindung über Bildungswege hat daher besondere Bedeutung.
Im Bericht wird vor allem das bestehende »integrative Modell« kritisiert, das in der AHS-Unterstufe und in rund der Hälfte der Hauptschulen angewandt wird. Eine frühere AK-Studie zur Berufsorientierung in der Mittelstufe hat im Übrigen bereits ähnliche Befunde geliefert. »Integrativ« bedeutet, dass Berufs-orientierung von LehrerInnen anderer Fächer (z. B. Geografie und Wirtschaftskunde, Deutsch, Religion etc.) als Teil dieser Gegenstände unterrichtet wird. Als eigenes Fach wird »Berufsorientierung« lediglich in rund 45% der Hauptschulen angeboten.
Hauptkritikpunkte sind die mangelnde Ausbildung der Lehrkräfte und Zweifel an der tatsächlichen Verwendung der 32 Stunden für die Berufsorientierung. Weiters werden die Ausbildung der SchülerberaterInnen, das geringe Stundenkontingent sowie die häufige Beschränkung auf Informationsvermittlung beanstandet.
Festgestellt wird zudem, dass die Bildungsberatung im Hochschulbereich relativ wenig entwickelt ist.
Die OECD empfiehlt, die Bildungsberatung im AHS- und BHS-Bereich vor allem in den letzten beiden Schulstufen zu konzentrieren und die Studieninformation in der Oberstufe angesichts der hohen Studienabbrecherquoten zu verstärken. Die »Erfolgsquote« beim Universitätsstudium liegt knapp über 60%! Ergänzend dazu ist anzumerken, dass auch die Zahl jener, die ein Studium wechseln, mit insgesamt knapp 30% relativ hoch ist. Nach der letzten Studierenden-Sozialerhebung haben von den AHS-MaturantInnen ein Drittel und von den Studierenden mit BHS-Matura rund 22% bereits das Hauptstudium gewechselt.
Forderungen aus Arbeitnehmersicht
Die OECD-Studie untermauert im Wesentlichen die Forderungen von Arbeitnehmerseite:<
- Berufsorientierung ausschließlich als eigenes Fach (das heißt verpflichtend für alle SchülerInnen, aber ohne Benotung) von je einer Wochenstunde in der 7. und 8. Schulstufe sowohl in der Hauptschule als auch in der AHS-Unterstufe.
- Berufs- und Studienwahlorientierung als verbindliche Übung an allen Oberstufenschulen (AHS, BMHS).
- Geschlechtersensible Berufs- und Bildungswegorientierung – Förderung von nichttraditioneller Studienwahl.
- Verbesserung der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte im Bereich der Berufs- und Bildungswegorientierung.
- Flächendeckendes Angebot von »neutralen« Beratungsstellen für eine umfassende und bedarfsadäquate Berufs- und Bildungswegorientierung und Einbindung dieser Institutionen in den Unterricht.
- Intensivierung der Studieninformation der einzelnen Hochschuleinrichtungen – kontinuierliches Angebot während des Jahres, Tage der offenen Tür, Diskussionsveranstaltungen mit Absolventinnen und Absolventen, eigene Beratungseinrichtungen der Institutionen etc.
1) Die Studie »Studieninformation und -beratung – Repräsentative Befragung von Studienanfängerinnen und -anfängern an Wiener Universitäten und Fachhochschulen«, erstellt vom ÖIBF, ist über die Homepage der AK Wien unter www.wien.arbeiterkammer.at (»Publikationen«, »Bildung«) zugänglich.
L I T E R A T U R T I P P
Eine Entscheidungshilfe für Maturantinnen und Maturanten, Eltern etc. bietet der Ratgeber »Matura, was jetzt? Vom Schulabschluss bis zum ersten Job« von Daniela Davidovits (Linde Verlag 2004, Kosten ca.
20). Interessensanalyse und Bildungsüberblick stehen im Zentrum, Erfahrungsberichte von AbsolventInnen sowie Interviews mit ExpertInnen rund das Bild ab.
R E S Ü M E E
Die Studierenden-Befragung der AK Wien belegt, dass die Studien- und Berufswahlvorbereitung an den Schulen und den Hochschuleinrichtungen verbessert werden muss.
Fast die Hälfte der Studienanfängerinnen und -anfänger hat sich vor Studienbeginn schlecht beraten gefühlt, und 56% haben sich erst sehr spät, nämlich nach der Matura, für ein konkretes Studienfach entschieden.
Auch wenn das Bildungsministerium betont, dass die Berufsorientierungsangebote an Österreichs Schulen jetzt schon »Spitze« sind, weisen die Erfahrungen von zahlreichen Studierenden, vielen Eltern und den Expertinnen und Experten der Bildungsberatungen deutlich in eine andere Richtung.
Nicht zuletzt angesichts einer beträchtlichen Zahl von Studierenden, die ihr Studium wechselt, hohen Dropout-Raten und langen Studiendauern ist das Bildungsministerium gefordert, rasch die notwendigen Schritte zu setzen, damit die Jugendlichen künftig für die schwerwiegende Entscheidung der Studien- und Berufswahl besser gerüstet sind.
Von Martha Eckl (Hochschulpolitische Referentin der Bundesarbeitskammer)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .
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