Lobbyisten

Evelyn Regner, Juristin, seit 1999 Leiterin des ÖGB-Europabüros, betont den grundlegenden Unterschied zwischen Lobbyisten und Arbeitnehmervertreterinnen: »Natürlich vertreten wir hier in Brüssel Partikularinteressen, aber die Gewerkschaften vertreten darüber hinaus ein Gesellschaftsmodell, das Modell eines sozialen Europa.«

»Auch in Österreich«, erläutert Regner,« stehen wir für mehr ein als nur für den Vorteil und Nutzen unserer Mitglieder. Wir arbeiten für eine solidarische Gesellschaft und haben in diesem Sinne auch eine Gesamtverantwortung, die wir wahrnehmen. In Europa ist uns unser Gesellschaftsmodell ein noch viel größeres Anliegen, da die EU in sozialer Hinsicht keine echte Balance gefunden hat: Brüssel ist das europäische Mekka der Lobbyisten, aber die Mehrheit dieser Lobbyisten arbeitet für die großen Konzerne, also für jene, deren Stimme vergleichsweise stark ist. Die Schwächeren unserer Gesellschaft werden in Europa zu wenig gehört. Man sollte nicht nur fragen: Wer ist alles in Brüssel vertreten, sondern auch: wer ist nicht vertreten? Es gibt keine Lobby der Arbeitslosen oder der Behinderten oder der Alleinerzieherinnen. Die europäische Kommission gibt sich zwar durchaus Mühe und sucht den Kontakt zur »Basis«, das heißt zu jenen, deren Stimme nicht stark genug ist, aber die Mittel, die die Kommission hier einsetzt, müssen leider oft als eher hilflos qualifiziert werden. Kurz gesagt: die Basis dieses Europa wird nicht erreicht. Wir sind in Brüssel um diese Unausgewogenheit auszugleichen. Wir wollen über die Partikularinteressen hinaus ein soziales Europa mitgestalten.«

Oliver Röpke, Jurist, arbeitet seit 2001 für den ÖGB in Brüssel und lokalisiert den Schwerpunkt seiner Arbeit im Europäischen Parlament: »Seit Jahresbeginn wird dort die Arbeitszeitrichtlinie neu diskutiert. Die alte Richtlinie aus dem Jahr 1993 soll revidiert werden. Bei dieser Richtlinie leitete die Kommission ein Konsultationsverfahren mit den europäischen Sozialpartnern ein. Wir waren daher auf institutioneller Ebene von Anfang an mit eingebunden. Danach veröffentlichte die Kommission im September 2004 einen Vorschlag für eine neue Richtlinie. Als guter Lobbyist sollte man in dieser Phase schon sein »Ohr am Boden haben« und wissen was kommt, denn so kann man schneller und gezielter reagieren. Der Vorschlag wurde intensiv im Sozialausschuss des Parlaments diskutiert. Es ist wichtig, bei diesen öffentlichen Debatten zuzuhören, aber noch wichtiger ist es, vorher und nachher mit den Parlamentariern und ihren Assistentinnen zu sprechen. Durch diese Kontakte bleibt man am Ball, denn Änderungsanträge werden oft auf informeller Ebene ausgehandelt. Im Plenum dann gilt es, mehrheitsfähige Vorschläge zu finden. Man muss alle Standpunkte im Blick behalten und zumindest die Prioritäten durchbringen, dann kann man von einem Erfolg sprechen. Nach der – für die Gewerkschaften erfreulichen – Abstimmung über die Arbeitszeitrichtlinie im Plenum im Mai dürfte es aber eine zweite Lesung geben – die Standpunkte der Mitgliedstaaten im Rat sind allerdings zu unterschiedlich, als dass es zu einer raschen Einigung kommen könnte. Meine Prognose: Diese Richtlinie wird voraussichtlich auch noch die österreichische Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 beschäftigen! Bis dahin liegt noch viel Arbeit vor uns.«

Elisabeth Aufheimer, Juristin und seit 1998 Leiterin des BAK-Büros in Brüssel, ist mit den Herausforderungen und Feinheiten des professionellen Lobbying bestens vertraut. Sie betont die Wichtigkeit der Zusammenarbeit von AK und ÖGB in Brüssel: »In Österreich sind wir als Sozialpartner anerkannt und institutionalisiert – hier in Brüssel aber sind wir ein Büro von vielen und müssen darum kämpfen, wenn wir gehört werden wollen. Umso wichtiger ist es, gemeinsam zu agieren!

Der ÖGB arbeitet eng mit dem EGB und den anderen europäischen Gewerkschaftsbüros zusammen. Die Gewerkschaften auf europäischer Ebene sind als Sozialpartner institutionalisiert, ähnlich wie in Österreich. Arbeiterkammern gibt es außer in Österreich sonst nur im Saarland, in Bremen und in Luxemburg.

Will die BAK die »institutionalisierte Schiene« fahren, kann sie auf den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss EWSA zurückgreifen, wo sie durch ihre Mitglieder repräsentiert ist. Sie ist auch in verschiedenen Ausschüssen vertreten, nicht jedoch im europäischen Sozialen Dialog.« Das hat aber durchaus auch Vorteile: »Wir können nach Rücksprache mit der BAK in Österreich unabhängig agieren und müssen uns nicht mit anderen abstimmen. So können wir die eigentliche Lobbying-Arbeit, die Platzierung von BAK-Positionspapieren und die Organisation von Veranstaltungen etc. rasch und unbürokratisch durchführen. Zugleich können wir durch die Zusammenarbeit mit dem ÖGB unsere Ressourcen, vor allem in personeller Hinsicht, besser einsetzen und haben indirekt via ÖGB und Gewerkschaftsnetzwerk zusätzlich eine wertvolle Möglichkeit zur Einflussnahme. Es wäre für die BAK absolut undenkbar hier in Brüssel nicht vertreten zu sein. Nur wer in Brüssel vor Ort ist, kann mitgestalten.«

Frank Ey hat die »Seiten gewechselt«: Der Volkswirtschaftler und ehemalige parlamentarische Mitarbeiter von MEP Herbert Bösch ist seit letztem Herbst für die AK tätig. Er konnte daher seine Erfahrungen als »Lobbyierter« in seine neue Arbeit mitbringen: »Im Parlament haben praktisch alle Gruppen die Möglichkeit, Gehör zu finden. Während in der Kommission eher die ›Bosse‹ auf Kommissarsebene lobbyieren, können im Parlament auch Lobbyistinnen von NGOs zu den Parlamentariern vordringen. Um mit einer europäischen Kommissarin sprechen zu können, muss man selbst schon eine wichtige politische Persönlichkeit sein, zum Beispiel Vorsitzender einer Gewerkschaft oder eines großen Verbandes. Hingegen ist es auch für Lobbyisten kleinerer Organisationen möglich, bei einer Parlamentarierin vorzusprechen. Bedingung ist natürlich immer eine gute Argumentationsstrategie, eine Lobbyistin muss Lösungen präsentieren, nur ein Problem darzustellen reicht nicht aus.«

Sind Lobbyisten manchmal auch lästig? »Nur ausnahmsweise. Wenn zum Beispiel jemand versucht, einen Änderungsantrag am letzten Tag vor der Abstimmung noch einzubringen.«

»Das Spannende an Brüssel ist, dass jede EU-Abgeordnete durchaus auch gegen die Parteilinie abstimmen kann, weil im EP kein Klubzwang herrscht, im Gegensatz zu den nationalen Parlamenten. So ist es zum Beispiel möglich, dass ein konservativer Abgeordneter sich von uns überzeugen lässt, für die Interessen der Arbeitnehmerinnen zu stimmen. In dieser Hinsicht ist das Europäische Parlament viel demokratischer. Auch die Ergebnisse der Abstimmungen stehen nicht von vornherein fest. Ein gutes Beispiel dafür: die Abstimmung über die neue Kommission, die Barroso im Herbst 2004 dem EP vorstellte. Bis zuletzt wusste niemand genau, wie das Parlament sich verhalten würde, und entsprechend groß war der Wirbel, als das Parlament die neue Mannschaft Barrosos ablehnte.«

B. L.

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Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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