Krise vergrößert Gehaltsschere

Die ersten Schritte sind die schwersten. Das weiß auch Ramón Fontela Martínez, der vor knapp drei Jahren gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Palmira Crespo Martín die Frauen-Organisation Cepamn (Centro de primera atención a mujeres y nin˜os) im südspanischen Granada ins Leben rief. Hauptziel der NGO ist es, Frauen in Notsituationen ein Rettungsanker zu sein. „Primär soll das Selbstvertrauen und -bewusstsein gesteigert werden, was auch über Selbstverteidigungskurse mit der Lokalpolizei geschieht“, sagt Fontela: „Nach dem ersten Halt gilt es, Perspektiven zu geben, auf dass sie rasch wieder ihre Autonomie erlangen.“

Kunsthandwerk

Stets am Freitagabend steht im Cepamn-Zentrum im Stadtrand-Bezirk La Chana Kunsthandwerk auf dem Kursplan. Beherztes Lachen erfüllt die Luft. Die Stimmung ist fröhlich, wie die lebensfroh mit Orange bemalten, von Kinderzeichnungen geschmückten Wände. Diesmal werden ökologische Seifen in Handarbeit hergestellt. Sie werden vor Ort, aber auch per Online-Shop angeboten, außerdem kann man Kleidung, Accessoires und Schmuck kaufen.
Das Zentrum ist Frauenhaus, Kurs- und Beratungszentrum zugleich. In Kürze wird eine Notschlafstelle eröffnet. Einzig der geplante, eigene Bioacker im Vorort Fuente Vaqueros scheiterte bislang am Widerstand der Behörden. Man suche weiter nach Alternativen, denn „auch die Tätigkeit in und mit der Natur steigert das psychische Wohlbefinden deutlich“, sagt Fontela.

Unterstützung für den Berufseinstieg

„Die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ist das Essenzielle“, betont Crespo. Angeboten werden Schulungen im Tourismusbereich in Kooperation mit der Aula Gastronómica Granadas, einer Hotelfachschule. Auch Schulungen für Pflegedienste ebnen den Weg zum neuerlichen oder erstmaligen Berufseinstieg, erläutert die NGO-Direktorin: „Dank Kooperationen winkt ein garantierter Arbeitsvertrag bei Abschluss. So konnten wir binnen knapp einem Jahr neun Frauen wieder eine Festanstellung vermitteln.“
Durch die Krise haben sich die Ungleichheiten beim Gehalt zwischen Männern und Frauen verstärkt, und das bei einem gesunkenen Lohnniveau. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der sozialistischen Gewerkschaft Unión General de Trabajadores (kurz UGT), die auf Zahlen des Jahres 2012 basiert. Auf ein Jahressalär gerechnet, verdienten spanische Arbeitnehmerinnen in diesem Jahr um 23,9 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen – bei selber Tätigkeit und selbem Bildungsniveau. Das ist der höchste gemessene Unterschied der Gehaltsschere im Fünfjahresvergleich, betont man seitens der UGT. Im Durchschnitt aller Erwerbstätigen verdienen Frauen damit um 6.145 Euro weniger im Jahr: Während Männer 25.682 Euro erhalten, müssen sich Frauen mit 19.537 Euro abfinden. Auch Eurostat kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Zwischen 2008 und 2013 vergrößerte sich die Kluft demnach von 17,1 Prozent um 3,2 Prozent. Dabei ist die Gehaltsschere in den Jahren vor der Krise in Spanien geringer geworden, im Jahr 2008 lag sie sogar unter dem EU-Durchschnitt. Doch dann kam die Krise.
Die UGT rechnet vor: Um auf denselben Lohn zu kommen, mussten Spanierinnen im Jahr 2012 79 Tage mehr arbeiten als ihre Kollegen. Dies wirkt sich freilich auch sehr negativ auf spätere Pensionsansprüche aus: Elfeinhalb Jahre mehr müssen Beitragszahlerinnen für die staatliche Sozialversicherung einzahlen, um dieselbe Pension wie Männer zu erhalten.

Fast ein Drittel weniger

Überraschend verschärfte sich der Gehaltsunterschied sogar bei höherem Bildungsstand. Auch dank der vom sozialistischen Ex-Premier José Luis Rodríguez Zapatero eingeführten Frauenquote in Chefetagen waren 2013 immerhin knapp ein Drittel der Unternehmen bereits von Frauen geführt. Dennoch wird ihnen deutlich weniger bezahlt als Männern. In Wissenschaft und Technik etwa stieg der Gehaltsunterschied auf 31,7 Prozent, in der Administration sind es gar 33,2 Prozent. Auch im Gesundheits- und Sozialwesen liegt er bei 30,33 Prozent. Selbst im Ausbildungsbereich, wo der Unterschied am Gehaltszettel im Jahr 2008 noch gering war, hat sich dieser mehr als verdoppelt – ein Berufsfeld, wo übrigens auch in Spanien zu 67 Prozent Frauen beschäftigt sind. Die UGT hat weitere anschauliche Summen parat: Alle spanischen Frauen zusammen würden pro Jahr um 27,7 Milliarden Euro weniger verdienen als Männer. „Was mehr ist, als für die Bankenrettungen von Bankia, Catalunya Caixa und der Caja de Ahorros del Mediterráneo aufgewandt wurde“, empört sich UGT-Gleichstellungsbeauftragte Almudena Fontecha im Gespräch. Sie unterstreicht: „Es geht hier nicht um einen anderen Lohn für andere Tätigkeiten, sondern um die Gesamtheit der Löhne.“

Kein Argument

Belegschaften selbst würden selbst im seltensten Fall über Gehaltsdiskriminierungen Bescheid wissen. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit müsste Usus sein, so Fontecha: „Doch dem ist nicht so. Oft wird für dieselbe Tätigkeit oder in derselben Kategorie weniger bezahlt, auch wenn die Arbeit identisch ist.“ Zudem kritisiert die Gewerkschafterin, dass von Frauen dominierte Berufsfelder generell schlechter entlohnt würden.
Auf die Hintergründe der Gehaltskluft zwischen den Geschlechtern gefragt, antwortet Fontecha: „Kein Argument, das je herangezogen wurde, um diese zu erklären, hat seine Berechtigung. Es ist durch nichts zu rechtfertigen, dass Frauen weniger verdienen.“ Einst hieß es, schuld sei das schlechtere Bildungsniveau von Frauen – längst entkräftet, denn höhere Bildung zeige sich weder im Salär noch in den Arbeitsbedingungen. „Es herrscht schlicht und einfach Lohndumping“, sagt Fontecha. Eine Tendenz, die sich mit der Krise verschärfte. Vollzeit erhielten Frauen auch in Boomjahren bis zur Krise nicht mehr als 24.000 Euro, Männer niemals weniger als 25.000 Euro. Für eine Teilzeitbeschäftigung ist ein Durchschnittslohn von  11.000 Euro jährlich illusorisch – zugleich erhalten drei Viertel der Frauen einen solchen Vertrag, Tendenz steigend.
Die schwierige Lage am Arbeitsmarkt hat vor allem für eine Gruppe von Frauen negative Auswirkungen: die Migrantinnen. Umso wichtiger sind Initiativen, die Migrantinnen bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützen, wie dies auch Programm von Cepamn, der Frauenorganisation aus Granada, ist. Carol I. (32) kommt aus dem westafrikanischen Guinea-Bissau. Die Mutter dreier Kinder wurde von ihrem Ex-Mann misshandelt und fand dank Cepamn Arbeit als Kellnerin in einem Restaurant. Ein Erfolg, denn besonders kritisch ist die Situation für viele Immigrantinnen. In den Boomzeiten bis 2007/08 just vor der Wirtschaftskrise wurden Hunderttausende von Job-Chancen angelockt. Nun dominiert vielfach Hoffnungslosigkeit.

Migrantinnen verwundbarer

Während Cepamn sich Gewaltopfern widmet, versucht man bei der NGO Fundeso in Madrid, gezielt Migrantinnen die neuerliche Integration in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. „Dass dies einzig für Frauen mit Migrationshintergrund angeboten wird, hat seinen Grund“, sagt die Arbeitsrechtsexpertin María Dolla, die Fundeso als Anwältin zur Seite steht: „Männer hatten es am Arbeitsmarkt einfacher. Sie arbeiteten in der Bauwirtschaft, und das meist mit Vertrag.“ Frauen hingegen widmeten sich zumeist Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft wie Pflege oder Hausarbeit. Das machte Migrantinnen mit der Krise und steigender Arbeitslosigkeit „enorm verwundbar“. Sie erhalten bei Jobverlust keine oder nur geringste Sozialhilfen, und: „Bei andauernder Erwerbslosigkeit droht die Abschiebung“, sagt Dolla.

Kleine Erfolge

Das Gemeindezentrum „Caracol“, was übersetzt Schnecke heißt, liegt im Stadtteil Orcasitas im Süden von Madrid. Dort werden gezielte Schulungen für Immigrantinnen im Alter von 18 bis 35 Jahren angeboten. „Dazu zählen neben Berufsausbildungen ein Eignungstest, psychologische Unterstützung und auch juristische Beratung“, betont Beatríz Rubio, Psychologin bei Fundeso: „Das zeitigt Erfolge, abseits gesteigerten Selbstbewusstseins und besserer Berufsbefähigungen.“ Im vergangenen Semester wurden 142 Frauen aus 27 Staaten geschult. Immerhin 16 von ihnen fanden Arbeit.

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.cepamn.org

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Von Jan Marot aus Granada, Freier Auslandskorrespondent für Spanien, Portugal und Nordafrika

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/15.

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