In den kommenden Jahrzehnten wird es EU-weit zu einem deutlichen Anstieg der Zahl älterer Menschen sowie zu einem Rückgang der Personen im Erwerbsalter kommen. Dies wird oft allzu schnell mit einem entsprechenden Anstieg der Belastung der Sozialsysteme gleichgesetzt. Die bestehenden Rentensysteme – so gängige Schlussfolgerungen – sollen nicht mehr zukunftsfähig sein. Stimmt so nicht – so der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) in einer aktuellen Stellungnahme zu den Auswirkungen der demografischen Entwicklung auf die Arbeitsmärkte in Europa.
Botschaften des EWSA
Die wichtigsten deutlichen Botschaften des EWSA, in dem u. a. Arbeitgeber- und ArbeitnehmervertreterInnen aller EU-Mitgliedsstaaten in beratender Funktion für die EU-Institutionen tätig sind:
Für die Meisterung der demografischen Herausforderung ist letztlich weniger das Alter als vielmehr der tatsächliche Erwerbsstatus der Personen im Erwerbsalter von Bedeutung. Davon hängt auch die nachhaltige Sicherstellung der Renten ab.
Die bei weitem effektivste Strategie im Hinblick auf die Alterung in Europa liegt in der größtmöglichen Nutzung vorhandener Beschäftigungspotenziale. Vollbeschäftigung und gute Einkommen sind somit die beste Sicherung des Pensionssystems.
Die zentrale Antwort auf eine steigende Altenquote kann daher nur lauten: Wachstumspolitik und Erhöhung der Beschäftigung. Das erforderliche Arbeitskräftepotenzial ist vorhanden. Es geht in erster Linie darum, den Integrationsprozess am Arbeitsmarkt in adäquater Weise anzustoßen und zu begleiten.
Rentenalter nicht anheben
Wohltuend, in einem offiziellen EU-Dokument zu lesen, dass allen Vorschlägen eine deutliche Absage erteilt wird, die für Anhebung des gesetzlichen Rentenantrittsalters sind: „Der vielfach propagierte Umstieg auf kapitalgedeckte Pensionssysteme als Antwort auf die Alterung der Gesellschaft geht ins Leere. Dadurch werden weder Kosten gespart noch Risiken vermindert. Ein derartiger Umstieg bringt keine Kosteneinsparung, sondern im Regelfall Mehrkosten, bestenfalls Kostenverlagerungen, und schafft auch kein Mehr an Sicherheit, sondern eine Abhängigkeit von den Kapitalmärkten und damit beträchtlich erhöhte Risiken in der Alterssicherung.“ Nicht demografische Relationen zwischen Älteren und Menschen im Erwerbsalter bestimmen den künftigen Finanzierungsbedarf der Rentensicherung. Vielmehr ist die Entwicklung der ökonomischen Abhängigkeitsquote, also die Relation von LeistungsbezieherInnen zu aktiv Beschäftigten, von entscheidender Bedeutung. Dies untermauert auch der von der AK Wien entwickelte und bereits in Brüssel erfolgreich präsentierte Abhängigkeitsquotenrechner, der es ermöglicht, eine anschauliche Darstellung der Unterschiede zwischen demografischen und ökonomischen Abhängigkeitsquoten grafisch darzustellen, und die Wirkung unterschiedlicher Arbeitsmarktszenarien auf die Entwicklung der ökonomischen Abhängigkeitsquote darzulegen. Die Nutzung bestehender Beschäftigungspotenziale beschränkt sich nicht auf Ältere, sondern betrifft sämtliche Altersgruppen. Dazu braucht es intensive Anstrengungen zur Verbesserung der Erwerbschancen aller benachteiligten Personengruppen am Arbeitsmarkt. Gelingt es in den kommenden Jahrzehnten, EU-weit zu einer deutlich verbesserten Arbeitsmarktintegration der Menschen im Erwerbsalter zu kommen, dann wird sich der Anstieg der ökonomischen Abhängigkeit durch eine älter werdende Gesellschaft in bewältigbaren Grenzen halten.
Verbesserte Arbeitsmarktintegration
Das erfordert freilich eine konsequente Verfolgung einer Politik und Unternehmenspraxis, die Teilhabechancen am Arbeitsmarkt eröffnet, nicht schmälert:
- Prävention von Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung gerade auch Älterer;
- Eröffnung verbesserter Einstiegschancen und Jobperspektiven für jüngere Benachteiligte;
- Sicherstellung einer flächendeckenden, auch berufsbegleitenden Aus- und Weiterbildung;
- Senkung der Invalidisierungsrate durch hochwertigen betrieblichen und überbetrieblichen Gesundheits- und ArbeitnehmerInnenschutz sowie umfassende Maßnahmen der Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation;
- vermehrte Anstrengungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Verbesserung der partnerschaftlichen Aufteilung von Familienpflichten.
Längere Beschäftigung
Wer will, dass Menschen später in Pension gehen, muss dafür sorgen, dass sie länger arbeiten können, meint der EWSA: „Es geht nicht nur darum, Arbeitsplätze für Ältere zu schaffen und gezielt auf diese abzustimmen, sondern auch da-rum, die Arbeit während der gesamten Berufskarriere so zu organisieren, dass sie dem Prozess des Alterns in allen Phasen der Berufskarriere gerecht wird, insbesondere dass Risiken und schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit früh vermieden werden. Davon profitieren Beschäftigte in jeder Phase ihres Lebensalters.“
Diskriminierungen und negative Klischees insbesondere gegenüber Älteren müssen bekämpft werden. Gefordert ist eine umfassende Adaptierung der Arbeitswelt. Obgleich auch die Eigenverantwortung zählt, die wesentlichen Ursachen des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben sind gesundheitlicher Verschleiß durch physisch und psychisch belastende Arbeitsbedingungen, hohe Arbeitsintensität, frühzeitige Entlassungen Älterer, aber auch mangelnde Fortbildung.
Dazu kommt, dass neue Formen der Arbeitsorganisation Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung Älterer im Unternehmen in weniger belastenden Bereichen zunehmend einschränken. Überall hier gilt es anzusetzen. In diesem Sinn unterbreitet der EWSA ein umfassendes Paket konkreter Vorschläge auf dem Weg zu einer alternsgerechten Arbeitswelt:
- Anreize für Unternehmen zur Schaffung alternsgerechter Arbeitsplätze und Stabilisierung bestehender Beschäftigung;
- offensive Arbeitsmarktpolitik zur Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser ins Erwerbsleben sowie Reduzierung des Risikos der Langzeitarbeitslosigkeit;
- umfassende Beratung und Begleitung Arbeitsuchender sowie maßgeschneiderte Vermittlungsunterstützung sowie Prävention und Rehabilitation zur Wiedereingliederung;
- Maßnahmen um länger im Erwerbsleben verbleiben zu können, v. a. Leistungsdruck verringern und altersgerechte Gestaltung der Arbeitsbedingungen;
- Entwicklung und sozialpartnerschaftliche Aushandlung gesundheitsfördernder Arbeitszeitmodelle über die gesamte Berufslaufbahn hinweg;
- Maßnahmen zur stärkeren Beteiligung Älterer an Weiterbildung;
- breite gesellschaftliche Sensibilisierung, um Vorurteile gegenüber älteren Beschäftigten abzubauen;
Beratung und Unterstützung von Unternehmen insbesondere KMU bei vorausschauender Personalplanung und Entwicklung einer alternsgerechten Arbeitsorganisation; - Ausbau innovativer und attraktiver Modelle zum gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in die Altersversorgung.
Verantwortung wahrnehmen
Die Förderung eines längeren Arbeitslebens erfordert Anstrengungen des Staates, der ArbeitgeberInnen und der Beschäftigten selbst. Diese Verantwortung muss von allen Seiten wahrgenommen werden. Den Sozialpartnern kommt bei allen Anstrengungen eine besondere Bedeutung zu. Das Potenzial, wie auf kollektivvertraglicher und betrieblicher Ebene unter Einbindung der Sozialpartner auf sozialverträglichem Weg ein funktionierender Arbeitsmarkt für Ältere mit hoher Stabilität der Beschäftigung und auch ein hohes Maß an Erwerbsfähigkeit und Erwerbstätigkeit Älterer geschaffen werden kann, zeigen jedenfalls erfolgreiche Modelle vor allem in nordischen Mitgliedsstaaten der EU.
Internet:
Der EWSA in Internet:
www.eesc.europa.eu
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Von Wolfgang Greif (Leiter der Abt. Europa, Konzerne & Internationale Beziehungen in der GPA-djp)
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2011.
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