Guter Rat ist nicht teuer

Kurz vor acht Uhr früh treffe ich  Birgit Ceplak, Teamleiterin der Abteilung Arbeitsrecht, im AK-Hauptgebäude in der Prinz-Eugen-Straße. Sie ist heute meine Ansprechpartnerin in allen Dingen, die die AK-Rechtsberatung betreffen. Punkt acht Uhr beginnen die Termine bei den BeraterInnen, die vorher telefonisch vereinbart wurden. Die Beratungen sind in verschiedene Fachgebiete aufgeteilt, darunter die allgemeine Beratung, wo es in erster Linie um Beendigungen, also beispielsweise fristlose Entlassungen, Kündigungen im Krankenstand, Überprüfung der Lohnabrechnungen etc. geht. Weiters gibt es speziellere Beratungen, wie zum Beispiel im Bereich Mutterschutz und Elternteilzeit oder auch im Lehrlings- und Jugendschutz.  In welchen Dimensionen das abläuft, stellen die folgenden Zahlen dar: Im Jahr 2010 gab es bei der AK 250.000 persönliche Beratungen, 190.000 telefonische Beratungen und es wurden 63 Millionen Euro für die ArbeitnehmerInnen erstritten.

Knifflige Fälle werden diskutiert

Während  Ceplak mir die Arbeitsweise der Rechtsabteilung erklärt, kommen immer wieder KollegInnen, um diverse knifflige Sachverhalte aus laufenden Beratungsgesprächen zu diskutieren. Dadurch werden Unklarheiten schnell beseitigt, und den ArbeitnehmerInnen kann besser geholfen werden. Im konkreten Fall geht es um eine Arbeitnehmerin, der die Handkasse abhanden gekommen ist, die in einer Schreibtischlade im  Büro aufbewahrt wurde. Diese Praxis war in der betreffenden Firma schon vor Diensteintritt der Arbeitnehmerin Usus. Nach einem Gespräch, in dem das Für und Wider geklärt wird, kommen die BeraterInnen zur Auffassung, dass die Arbeitnehmerin nicht für den gesamten Schadensbetrag haftbar gemacht werden kann.
Dann wechsle ich zur allgemeinen Rechtsberatung, da ich bei einem Beratungsfall zuhören darf: Ein Arbeitnehmer wurde falsch gekündigt und hat daher als Schadenersatz Anspruch auf Gehalt bis zum Jahresende, obwohl er seit September nicht mehr dort arbeitet. Jetzt möchte die Firma dies nicht zahlen. Durch die lückenlose Dokumentation der Vorfälle ist neben der Rechtslage auch die Beweislage klar und die AK Wien wird mit dem Arbeitnehmer bis vor das Arbeitsgericht gehen, sollte der Arbeitgeber trotz Intervention der AK Wien nicht zahlen. In den kurzen Pausen zwischen den Beratungen klärt mich der AK-Berater über einige weit verbreitete Irrtümer im Arbeitsrecht auf: „Kündigungen im Krankenstand sind möglich. Die meisten Leute wissen das nicht, aber es ist so. Man muss auch für einen Krankenstand, der bloß einen Tag dauert, eine Krankenstandsbestätigung bringen, wenn es der Chef verlangt. Dass dies erst nach drei Krankenstandstagen erforderlich ist, gilt nur dann, wenn es so vereinbart wurde oder im Betrieb üblich ist.“
Meinen Tag in der AK Wien setze ich bei der Erstberatung im Hauptfoyer fort. Hier geht es darum, Menschen, die ohne Termin bei der AK vorbeikommen, in dringenden Fällen sofort zu helfen. Schon wird der erste Arbeitnehmer aufgerufen: Es ist ein in der Backwarenproduktion tätiger Mann, der nach über vier Jahren von einem Tag auf den anderen gekündigt wurde. Er möchte vor allem wissen, warum er gekündigt wurde. Den Grund für die Kündigung muss der Arbeitgeber jedoch nicht angeben. Der Berater empfiehlt dem Arbeitnehmer, einen Brief an den Arbeitgeber zu richten, um die offenen Ansprüche wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie Urlaubstage einzufordern, und unterstützt ihn bei der Formulierung dieses Schreibens. „Die eintägige Kündigungsfrist ist nach der Gewerbeordnung von 1859 zulässig“, erklärt mir der AK-Rechtsexperte. „Diese und auch einige andere Bestimmungen sind nicht mehr zeitgemäß. Die AK fordert daher vom Gesetzgeber diese veralteten Gesetzespassagen anzupassen.“

Einvernehmliche Auflösung

Der nächste Fall ist ein Elektroinstallateur, der im Krankenstand ist, aber noch nicht beim Arzt war, weil dieser erst am Nachmittag ordiniert. Der Arbeitgeber möchte, dass der Arbeitnehmer eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses unterschreibt. Der Arbeitnehmer befürchtet nun, dass ihm der Arbeitgeber einen Strick daraus drehen könnte, dass er noch nicht beim Arzt war. Der Berater kann beruhigen – es besteht keine Gefahr für den Ratsuchenden, wenn der Arzt tatsächlich nur am Nachmittag ordiniert. Dann kommt jedoch noch der wichtigste Tipp: „Unterschreiben Sie bitte nichts, was Sie nicht verstehen. Nehmen Sie es lieber mit und lassen sie es von uns anschauen. Wenn Sie nämlich bereits etwas unterschrieben haben, dann ist das schwer wieder rückgängig zu machen. Von einer einvernehmlichen Lösung im Krankenstand raten wir dringend ab, da der Arbeitgeber den Krankenstand dann nicht mehr bezahlen muss. Sie erhalten zwar Krankengeld von der Krankenkasse, das ist aber weniger als Ihr Lohn. Es geht daher um bares Geld!“

Tiefenberatung 

Es geht zurück zur Tiefenberatung. Die Beraterin klärt eine Verkäuferin darüber auf, dass Teilzeitbeschäftigte dieselben Rechte wie Vollzeit-MitarbeiterInnen haben. Als nächstes kommt ein Ehepaar, die Frau fungiert als Übersetzerin für den Mann. Die beiden vermuten, dass bei der Kündigung nicht alles korrekt abgelaufen ist. Leider haben die beiden die notwendigen Unterlagen, wie etwa das Kündigungsschreiben, nicht mit. Die Expertin formuliert nach den Angaben des Arbeitnehmers einen Brief an den Arbeitgeber mit allen Forderungen und gibt diesen dem Paar mit. Außerdem vereinbart sie mit den beiden einen neuen Beratungstermin, zu dem sie alle Papiere mitbringen sollen, um den Sachverhalt abschließend klären zu können.
Nächste Station Lehrlingsberatung. Dort sitzt ein junger Mann, der seit Juni keine Lehrlingsentschädigungen bekommen hat. Er wird über einen berechtigten Austritt aus dem Lehrverhältnis aufgeklärt. Nach schriftlicher Androhung des Austritts unter Setzung einer Nachfrist an den Arbeitgeber, kann der Lehrling seinen Austritt erklären und muss nicht mehr arbeiten gehen. Der Austritt berechtigt ihn zu einer Entschädigungszahlung durch den Arbeitgeber, der Lehrling kann in diesem Fall jedoch trotzdem bereits zur Lehrabschlussprüfung antreten. „Nicht bezahlte Lehrlingsentschädigungen gehören zu den häufigsten Problemen, mit denen die AK Wien in der  Lehrlingsberatung zu tun hat“, berichtet mir der Berater.
Bei der Telefonberatung, die als nächstes dran ist, geht es darum, kurze rechtliche Fragen der AK-Mitglieder zu beantworten. Meistens sind auch hier Mythen zu bekämpfen. Viele glauben, es gäbe einen besonderen Kündigungsschutz für ältere ArbeitnehmerInnen, dem ist aber nicht so. Auch ältere ArbeitnehmerInnen können jederzeit gekündigt werden, die Kündigungen sind allenfalls anfechtbar. Eine Arbeitnehmerin, die drei Monate vor der Pensionierung steht, möchte nicht in einen anderen Bereich versetzt werden und hat ein geharnischtes Schreiben an die Firma aufgesetzt. Die Rechtsexpertin schafft es, die Anruferin davon zu überzeugen, dass es äußerst kontraproduktiv wäre, dieses Schreiben abzuschicken. Sie rät der Arbeitnehmerin mündlich, in umgänglicher Art und Weise ihre Bedenken zu äußern, und die Hilfe des Betriebsrates in Anspruch zu nehmen.
Zu guter Letzt ist die Beratung bei Mutterschutz- und Elternteilzeit an der Reihe. Hier berät die AK-Mitarbeiterin gerade ein junges Paar. Die Frau ist hochschwanger und bei einer Reinigungsfirma tätig. Es werden ihr seitens des Arbeitgebers strapaziöse Tätigkeiten zugemutet. Die Arbeitsrechtsexpertin klärt die Arbeitnehmerin über die Schutzbestimmungen für Schwangere auf und stellt klar, welche Anweisungen des Arbeitgebers sie nicht zu befolgen braucht. Um den Arbeitgeber auf seine Fürsorgepflicht aufmerksam zu machen, gibt die Beraterin der Ratsuchenden eine Broschüre der AK Wien, in der die gesetzlichen Bestimmungen festgehalten sind, mit.

Spiegel der Probleme

Mein Tag in der AK Wien zeigte mir die breite Palette der Anliegen, mit denen sich die ArbeitnehmerInnen an ihre AK wenden.  Ceplak: „Die Beratungen spiegeln genau die Probleme, mit denen die ArbeitnehmerInnen in den Betrieben täglich konfrontiert sind. Wir klären unsere Mitglieder über die rechtlichen Bestimmungen auf, unterstützen sie bei einzelnen Schritten, geben Tipps und schreiten für sie ein, wenn sie sich selbst nicht mehr helfen können. So versuchen wir täglich gemeinsam mit engagierten BetriebsrätInnen und den KollegInnen der Fachgewerkschaften die Lage der österreichischen ArbeitnehmerInnen zu verbessern.“

Internet:
Mehr Infos unter:
www.arbeiterkammer.at 
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Von Thomas Varkonyi (Freier Journalist)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2011.

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