Marx hatte Unrecht: Die Religionen sind nicht das Opium des Volkes. Sie sind das Aufputschmittel«, schreibt der Journalist Robert Misik in seinem aktuellen Buch »Gott behüte! Warum wir die Religionen aus der Politik raushalten müssen«. Und Misik sieht das durchaus bedrohlich, denn Religion neurotisiert. Sie hetzt Menschen gegeneinander auf. Der Zusammenhalt innerhalb einer Gemeinschaft, den die Religionen mit sich brachten, geht viel zu oft mit einer aggressiven Abgrenzung nach außen einher. Denn was hätte den Kriegsparteien im ehemaligen Jugoslawien sonst als Argument für Kämpfe, Massenmorde und ethnische Säuberungen gedient, wenn nicht die Religionen? »(
) die ansonsten völlig ununterscheidbaren Südslawen waren nur anhand der Kriterien katholisch, orthodox und muslimisch überhaupt auseinanderzuhalten.«
Ganz so einseitig, wie dieses Beispiel klingen mag, sieht Misik die Sache aber nicht. Zumindest vergisst er nicht, auf das revolutionäre Potenzial der Religionen hinzuweisen. Der zentrale Gedanke von Juden- und Christentum, dass alles einmal besser werden wird – dass der Mes-sias kommen wird -, sei die »Urszene des demokratischen Fortschrittsglaubens«.
Als Positivbeispiele führt Misik lateinamerikanische Freiheitstheologen an, aber auch Organisationen wie die Caritas, die als soziales Korrektiv notwendig sind. Auf der anderen Seite sei aber das Christentum schon früh von der Religion der Armen immer mehr zur Herrschaftsreligion geworden – und religiöse Argumente sprachen für das Akzeptieren der Herrschaft: Was soll ich versuchen, an den Verhältnissen etwas zu ändern, wenn im Jenseits ohnehin die Erlösung auf mich wartet? »Sieht man sich die Geschichte der meisten Freiheitsbewegungen an, dann waren es jedenfalls meist die sekulären Kräfte, die sich mit dem Unrecht der Welt nicht abfinden wollten, während die Gläubigen in der überwiegenden Mehrzahl ihr Heil im Gebet suchten – ganz abgesehen davon, dass sich meist eine Bibelstelle fand, die die Eroberung eines Landes, die Unterdrückung der Frauen oder die Beibehaltung der Sklaverei legitimierten.«
Wasser predigen, Wein trinken
Man brauche keinen Gott, um Gutes zu tun, meint der studierte Philosoph Misik. Er kritisiert, dass die Religiösen, die hohe Moralvorstellungen haben, sich selten darauf beschränken, diese zu leben. Nein, sie wollen auch, dass sie für alle gültig sind – und das am besten per Gesetz. In der Diskussion darüber beanspruchen sie eine Sonderrolle: Bei allen Themen meinen sie, Experten zu sein (Warum halten sich eigentlich gerade zölibatäre Pfarrer als Experten für Sexualmoral?), greifen polemisch in jede gesellschaftliche Debatte ein. Wird darauf ebenso polemisch oder scharf reagiert, sind sie beleidigt und sehen ihre »religiösen Gefühle« verletzt. Aber: »Hat man schon jemals von politischen Akteuren gehört, die beklagten, die Argumentation ihrer Gegner würde ihre gewerkschaftlichen Gefühle verletzen oder ihre liberalistischen Überzeugungen nicht respektieren?« Die Politik geht den Religionsgemeinschaften dabei immer öfter in die Falle. Gibt es soziale Spannungen, wird zum Dialog der Religionen eingeladen. Damit werde das Religiöse überbetont, »der weltanschaulich neutrale Staat fördert so eine Dynamik, die er eigentlich entschieden bekämpfen müsste«.
Misik schließt: »Gott schütze uns vor der Renaissance der Religionen.«
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Von Florian Kräftner (Mitarbeiter des Pressereferats im ÖGB)
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