Gewerkschaften gehören bekämpft und zerschlagen

 

Mitte der Neunzigerjahre begann der ÖGB Oberösterreich, die ab diesem Zeitpunkt auch in Österreich immer spürbarere neoliberale Wende zu thematisieren, und die ihr zugrunde liegenden Leitlinien zu thematisieren und damit auch aufzudecken. Die folgende kommentierte Zitatensammlung soll sowohl die originäre Denkart von August von Hayek und Milton Friedman darstellen, wie auch ihre Durchschlagskraft in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft unserer Zeit. Was Themenführerschaft und Hegemonie heißt, wird einem unter anderem dann klar, wenn plötzlich ein Nachbar, der Bundeskanzler, eine Schlagzeile in der Presse oder auch nur der Abteilungsleiter Aussagen treffen, die man doch gerade bei einem der Promotoren des Neoliberalismus gelesen hat.

Vater des Neoliberalismus

Friedrich August von Hayek, geboren 1899 in Wien, gilt als einer der Väter des Neoliberalismus. Nachdem er kurze Zeit das Österreichisches Institut für Konjunkturforschung (quasi Vorläufer des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitutes) geleitet hatte, ging er 1931 als Professor an die London School of Economics, um später dann an der Universität von Chicago Moralphilosophie zu unterrichten. Damit begann das folgenschwere Wirken der so genannten »Chicago-Boys«, jener Gruppe von Wissenschaftern, von denen der Bekannteste außer von Hayek wohl Milton Friedman wurde. Sie setzten sich zum Ziel, den Einfluss des von ihnen verachteten Wohlfahrtsstaates nachkriegszeitlich-keynesianischer Prägung zu brechen.

Angriff auf Gewerkschaften

Das größte Problem und Ärgernis für Hayek ist es, dass Gewerkschaften, so wie er sie erlebte, es offensichtlich geschafft haben, tatsächlich die ArbeiterInnen zu einen, damit sie in wesentlichen Fragen geschlossen den Arbeitgebern gegenübertreten. Diese (für GewerkschafterInnen ohnehin sehr selten erlebbare Solidarität) wird von Hayek und seinen Gesinnungsgenossen als Monopol identifiziert und als der Freiheit abträglich verteufelt. Zum Beispiel, wenn die gewerkschaftsfreundliche Politik der Nachkriegszeit angeprangert wird: »Überall wurde die Legalisierung der Gewerkschaften ausgelegt als Legalisierung ihres Hauptziels und als Bestätigung ihres Rechts, alles zu tun, was zur Erreichung dieses Zieles – nämlich Monopolstellung – notwendig schien.« Es ist unfassbar, dass die Gewerkschaft »als eine Gruppe« gilt, »deren Ziel – die erschöpfende und umfassende Organisation der gesamten Arbeit – zum Wohle der Allgemeinheit unterstützt werden muss«.1) »Die Hauptgefahr, die die gegenwärtige Entwicklung des Gewerkschaftswesens darstellt, ist, dass die Gewerkschaften durch die Errichtung wirksamer Monopole für die Versorgung mit den verschiedenen Arbeitsarten verhindern werden, dass der Wettbewerb als wirksamer Regler … fungiert.«2)

Gewerkschaften als Behinderer der Segnungen des Kapitalismus

Fast wortgleich schreibt sein Mitstreiter Milton Friedman: Gewerkschaften funktionieren »als Unternehmen …, die den Service der Kartellbildung offerieren« … Das erste und wichtigste, was seitens der Regierung erfolgen soll, ist die Aufgabe der Maßnahmen, die Monopolbildung direkt unterstützen, sei es Monopolbildung auf Unternehmensebene oder auf Gewerkschaftsebene …«3)

Fazit: Feind der Wohltaten des Kapitalismus sind die Gewerkschaften. Denn: »Der Kapitalismus führte auch eine neue Form der Erzielung eines Arbeitseinkommens ein, welche die Menschen insoferne befreite, als diese sie und oft auch ihre Kinder von ihren Familien und Sippen unabhängig machte. Das ist eine Tatsache, auch wenn der Kapitalismus gelegentlich daran gehindert wird, alles das, was er leisten könnte, ….auch zu leisten: und zwar durch Monopole organisierter Gruppen von Arbeitern, ‚Gewerkschaften‹, die ihre Art von Arbeit künstlich verknappen, indem sie Personen, die zu dieser Arbeit für ein geringeres Entgelt bereit wären, daran hindern, sie zu tun.«4)

Als habe er eben erst vor der Presseerklärung die Schriften Hayeks weggelegt, schreibt der Vizepräsident der oberösterreichischen Wirtschaftskammer Eduard Leischko anlässlich eines Kommentars zum 14. ÖGB-Bundeskongress:

Statt die ungelernten Kräfte, bei denen die Arbeitslosigkeit traditionell am höchsten ist, durch eine flexiblere Handhabung der Kollektivverträge für die Wirtschaft billiger zu machen und wie in den USA damit neue Arbeitsplätze in diesem schwierigen Segment zu schaffen, will der ÖGB offenbar in die entgegengesetzte Richtung marschieren und die Arbeitskraft dieser Menschen so teuer machen, dass sie von den Betrieben kaum noch nachgefragt werden kann«, wirft Leischko dem ÖGB Kurzsichtigkeit und Populismus vor, der vielfach zu einem Hinausdrängen aus dem Arbeitsmarkt führen würde.5)

Gewerkschaften als Bedrohung für die Demokratie

Bereits 1952 schrieb daher der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger6): »Die Frage, wie die Macht der Gewerkschaften sowohl im Gesetz als auch tatsächlich entsprechend eingeschränkt werden kann, muss eine der allerwichtigsten sein, der wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen7).« Es ist, als ob er seinem wissenschaftlichen Wirken damit einen programmatischen politischen Untertitel geben wollte.

Gewerkschaften haben nach Hayek vor allem in der (europäischen) Realverfassung eine derartig große Macht erreicht, dass »das ganze Fundament unserer freien Gesellschaft durch die Macht, die sich die Gewerkschaften anmaßen, schwer bedroht ist … Gerade weil bei der bestehenden Rechtslage die Gewerkschaften noch unendlich mehr Schaden anrichten könnten … dürfen wir den gegenwärtigen Stand der Dinge nicht fortbestehen lassen!«

Hayek gibt im selben Buch preis, wer gegen diesen »Aberglauben, dass der Lebensstandard der Arbeiterklasse dank ihrer (der Gewerkschaften, Anmerkung des Verfassers) Bemühungen so schnell gestiegen ist«, antreten muss: es ist die Mission der Nationalökonomen, und wie »wirksam« sie diese »ihre Arbeit der Publikumsaufklärung durchführen«8).

45 Jahre später kann man dazu in einer österreichischen Tageszeitung folgende Überschrift lesen: »Sozialstaat abbauen, Gewerkschaft schwächen!« Und dann weiter im Text: »Es gebe ein Übermaß an Sozialstaat, es sei unethisch (sic!, Anmerkung des Verfassers), diesen Sozialstaat beizubehalten. Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer sei zu groß …«9)

Es handelt sich dabei um den Bericht über eine Klausur der ÖVP-Regierungsmitglieder, bei welcher auch Carl Christian von Weizsäcker referierte. Damit sind bereits alle Themen vorgegeben, die sich zu den entscheidenden Konfliktpunkten österreichischer Innenpolitik ent-wickelten. Immerhin kündigte zwei Jahre später die ÖVP die große Koalition mit der SPÖ auf.

Ungleichheit ist nach von Hayek nicht bedauerlich, sondern höchst erfreulich, sie ist Vorraussetzung für die Freiheit. Und Gewerkschaften bedrohen diese Freiheit. Ein Zitat aus »The Economist« aus dem Jahre 1958 beschreibt diesen (aus neoliberaler Sicht geglückten) Paradigmenwechsel zusammenfassend treffend: »Die Vorstellung vom Sicherheitsnetz, das jene auffangen soll, die stürzen, wurde sinnlos gemacht durch die Vorstellung vom gerechten Anteil für diejenigen von uns, die sehr wohl imstande sind, auf eigenen Füßen zu stehen.«10)

Maßnahmen gegen Gewerkschaften

Gewerkschaften steht keine Mitsprache bei Lohnpolitik der Lohnpolitik zu, »ihre Tätigkeit auf diesem Gebiet ist … wirtschaftlich sehr schädlich und politisch äußerst gefährlich«(346)11). Diese Mitsprache steht nicht einmal Regierungen zu, sie stört den Marktmechanismus und ist »untragbar«. Kollektivverträge darf es folgerichtig nicht geben.

Streikverbot

Hayek hat sehr früh etwas angesprochen, was sich bis vor kurzem manche nur hinter vorgehaltener Hand zu fordern getrauten: Es ist »… der Öffentlichkeit sicher noch nicht bewusst geworden, dass die bestehende Rechtslage grundlegend falsch und das ganze Fundament unserer freien Gesellschaft durch die Macht, die sich die Gewerkschaften anmaßen, schwer bedroht ist« (341). »… Es gibt gute Gründe dafür, dass es in gewissen Anstellungen Teil der Anstellungsbedingungen sein sollte, dass der Arbeitnehmer auf dieses Recht (Anmerkung das Streikrecht) verzichtet« (343). »… Heute heißt das vor allem, dass das Aufstellen von Streikposten in größerer Zahl verboten sein sollte …« (352).

Gut fügen sich hier verschiedene Äußerungen zur Gewerkschaftsbewegung der jüngsten Zeit in Österreich ein. Eine sei stellvertretend zitiert. Der österreichische Finanzminister Karl Heinz Grasser formulierte es am elegantesten, als er vor den ersten angekündigten Streiks des Österreichischen Gewerkschaftsbundes gegen die Vorlage zum Pensionskürzungspaket im Mai 2003 formulierte: »Streiks haben in einer modernen Demokratie nichts zu suchen!«12) Was modern klingt, ist ältestes repressives und restriktives Verständnis von Regieren.

Damit dreht sich die Verkehrung der Werte weiter. Eine kleine Episode im Zusammenhang mit den Protesten der Beschäftigten der Postbusse gegen den geplanten Verkauf im selben Jahr 2003 in Österreich macht dies deutlich. »Es gibt bei der Postgarage in St. Pölten einige, die haben Zivilcourage …«, erklärte eine Vertreterin des Postmanagements.13) Während österreichweit der Streik praktisch lückenlos durchgeführt wurde, fand sich in St. Pölten anschienend ein Postautochauffeur, der ausfahren wollte. Diesen entdeckte die Presse, und die Berichterstattung dreht sich überproportional lange um diese Person und um seine gezeigte »Zivilcourage«. Keine Meldung von der »Zivilcourage« all jener, die sich gegen den Ausverkauf öffentlichen Eigentums und für die Aufrechterhaltung öffentlicher Dienstleistungen einmal zur Wehr setzen, und dies angesichts der permanenten Verunglimpflichungen und Kampagnen gegen sie, welche ihr Image in der Folge als nicht das beste in der veröffentlichten Meinung erscheinen lässt.

Nicht, dass es verwunderlich ist, dass im Management diese Denkart lebt (dies erklärt sich aus dem natürlichen Interessensgegensatz heraus), sondern dass letztlich die gesamte, die breite Öffentlichkeit bestimmende Journalistik in dieser Weltsicht lebt.

Den bisherigen Höhepunkt konnte man in einer Profilausgabe lesen: Dort wird Achim Hunold, Chef der Billigfluggesellschaft Air Berlin folgendermaßen zitiert: »Gewerkschaften sind heutzutage das größte Verbrechen an der Wirtschaft.«14)

Gewerkschaften schuldig für niedriges Lohnniveau

Würde es keine Gewerkschaften geben, würden der Markt und die (nicht mehr durch Gewerkschaften) eingeschränkten Arbeitgeber ihren Beschäftigten weit bessere und vor allem gerechtere Löhne
zahlen:

»… so kann doch kaum ein Zweifel bestehen, dass, wenn wir das Verhältnis der Löhne zwischen den großen Industriezweigen betrachten, die Gewerkschaften heute weitgehend an einer Ungleichheit der Löhne schuld sind … Das bedeutet, dass ihre Tätigkeit notwendig die Gesamtproduktivität der Arbeit und damit auch das allgemeine Reallohnniveau herabsetzt … Es ist tatsächlich mehr als wahrscheinlich, dass in den Ländern, in denen die Gewerkschaften sehr stark sind, das allgemeine Niveau der Reallöhne niedriger ist, als es ohne sie wäre (!). Dies gilt gewiss für die meisten europäischen Länder …« (345)

Betriebsrat gut, Gewerkschaft schlecht?

Die gewerkschaftsfeindliche Argumentation und Agitation meint und betrifft natürlich auch die Einrichtung der Betriebsräte. Im bereits zitierten Buch von Hayek »Die Verfassung der Freiheit« werden Gewerkschaften für alles verantwortlich gemacht, was Hayek aus seiner Sicht an Missständen ausmachte.

Man kann nicht »gute Betriebsräte« und »schlechte« Gewerkschaften haben. Diesen Gegensatz zu erzeugen ist Teil der neoliberalen Strategie: sie betreibt Spaltung, das Individuelle und die jeweils kleinere Einheit werden ausgespielt gegen das gemeinschaftlich-solidarisch Größere. Man setzt dabei auf das Ausnützen des berechtigten individuellen Selbstverwirklichungs- und Unabhängigkeitsstreben der mündigen BürgerInnen, stellt alles Gemeinschaftlich-Kommunitär-Staatliche als Bedrohung desselben dar, und schürt damit Neid- und Konkurrenzgefühle.

Es geht hier nicht darum, einer Gleichsetzung von Betriebsrat und Gewerkschaft das Wort zu reden. Im Gegenteil: für die Zukunft wird eine genauere Unterscheidung und Ausdifferenzierung beider Teile stattfinden.

Dennoch muss klar sein, dass ein Angriff auf Gewerkschaften auch ein Angriff auf die betriebsrätlicher Arbeit ist, und wohl auch so gemeint ist, wie der folgende Abschnitt zeigen wird.

Kampf der Mitbestimmung – Kampf den Betriebsräten

»Wir lassen … die Frage offen, ob irgend eines der angeführten Argumente Gewerkschaften von größerem Umfang als dem eines Betriebes oder eines Unternehmens rechtfertigt. Eine ganz andere Sache … ist der Anspruch der Gewerkschaften auf Teilnahme an der Führung der Geschäfte. Unter dem Namen ›industrial democracy‹ oder in jüngster Zeit dem der ›Mitbestimmung‹ hat sie besonders in Deutschland und in geringerem Grad in Großbritannien, große Beliebtheit erworben. Sie repräsentiert ein merkwürdiges Wiederaufleben der Ideen des syndikalistischen Zweiges des Sozialismus des 19. Jahrhunderts, die die wenigst durchdachte und impraktikabelste Form dieser Lehre ist … Ein Betrieb oder ein Gewerbezweig kann nicht im Interesse einer dauernden bestimmten Belegschaft geführt werden, wenn er gleichzeitig den Interessen der Konsumenten dienen soll« (351f).

Wenn auch diese Argumentation vor dem Hintergrund der vierzigjährigen Erfolgsgeschichte des Modells »rheinischer Kapitalismus«, der Sozialpartnerschaft oder der sozialen Marktwirtschaft reichlich absurd anmutet, so darf man nicht darüber hinwegsehen, dass auf der ideologischen Ebene diese Interpretation zum Mainstream geworden ist. Allein, dass man in der heutigen politischen Propaganda dreißig Jahre wirtschaftlichen Aufstiegs, Ausbaus und der nahezu durchgehenden Vollbeschäftigung der Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahre erfolgreich als »dreißig Jahre Misswirtschaft« bezeichnen kann, weil er unter wesentlicher Mitwirkung von Gewerkschaften gegangen wurde, beweist den Erfolg dieser Interpretation.

Zunächst einmal sieht ja von Hayek – wie oben zitiert – allein auf Betriebs-ebene eine Daseinsberechtigung für Gewerkschaften. In einem Umfang also, der nach »festland-europäischem« Verständnis den Ausdruck »Gewerkschaft« im Vollsinn noch gar nicht erfüllt. Gemeinhin wird diese Vorstellung als Betriebsgewerkschaft bezeichnet, und kommt viel mehr unserer betriebsrätlichen Organisation nahe.

Vom Sozialpartner zum Parasiten und Staatsschädling

Das Image hat sich also geändert. Doch dieses Image fällt nicht vom Himmel, sondern wird vor dem Hintergrund der ausgeführten neoliberalen Wende bewusst gepflogen und inszeniert. Denn was bietet das gesellschaftliche Umfeld? Was bietet die veröffentlichte Meinung?

Betriebsräte sind »Mitschuldige an unserer Budgetmisere«, »Mitschuldige, dass es dem Betrieb so schlecht geht«; »Wegen Gewerkschaft, Betriebsrat stecken wir in den roten Zahlen«; »Betriebsrat mindert Standortqualität«; »Betriebsrat ist starr, verhindert Flexibilität des Unternehmens, der Mitarbeiter« (Frank Stronach). Zitate aus Zeitungen, Radio und Fernsehen.

Dazu ein jüngstes Beispiel: Im Sommer 2000 machte der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider Schlagzeilen dadurch, dass er Betriebsräte »parasitäre Elemente« nannte, und die damalige österreichische Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer erklärte im selben Jahr anlässlich der Gehaltsverhandlungen im öffentlichen Dienst, dass freigestellte Betriebsräte eine Gruppe von Menschen wären, welche die ganze Zeit nur damit verbringen würden, darüber nachzudenken, wie sie den Staat schädigen könnten.

Noch besser dazu liest sich ein Kommentar zur oben erwähnten Äußerung Haiders in der österreichischen Wochenzeitung »Zur Zeit« (herausgegeben vom Kulturberater Kärntens und zeitweiligen Haider-Intimus Andreas Mölzer), von einem gewissen Andreas Tögel, der dazu zunächst ein medizinisches Wörterbuch befragt, wo Parasiten wie folgt beschrieben werden: »Parasiten sind Lebewesen, die ganz … oder teilweise … ständig … oder zeitweilig … auf Kosten einer anderen Organismen-Spezies … leben«, um danach launisch-sarkastisch zu folgen: »Na und! … denn wie anders könnte man die Tätigkeit eines ›freigestellten‹, also nicht im Sinne des Unternehmenszweckes seines Dienstgebers arbeitenden Betriebsrates denn qualifizieren, als wie oben dargestellt? Nicht nur, dass Betriebsräte ganz grundsätzlich und ihrem Wesen nach das Ziel verfolgen, den Interessen des ihnen Arbeit und Brot gebenden Unternehmens zuwiderhandeln … Der freigestellte‘ Betriebsrat stellt darüber hinaus aber noch nicht einmal seine bezahlte Arbeitszeit in den Dienst seines Brötchengebers. Damit erfüllt er in gerade archetypischer Weise den Tatbestand einer parasitären Existenz!«15) Wohlgemerkt: hierbei handelt es sich um keine Stammtischzitate, sondern um Äußerungen von höchsten Führungskräften eines Staates.

Die Folgen sind: Schuldgefühle bei den BetriebsrätInnen, kein oder nur sehr mäßiges Interesse an aktiver Kandidatur bei Betriebsrats- und Personalvertreterwahlen. Denn wer ist schon gerne bei den Geprügelten der Nation? Viel Arbeit, unbedankt! – Nein, Danke!« Die Opfer werden zu Tätern.

Selbstaufgabe der Politik als Hauptursache der Krise

Wenn es nicht gelingt, das Gegenteil vom derzeitigen Image von BetriebsrätInnen gesellschaftlich zu vermitteln, dann wird jede betriebliche und gewerkschaftliche Arbeit von sehr bescheidenem Erfolg gekrönt sein. Dies kann nur in einer umfassenden Änderung des gesamten politischen Umfelds geschehen. Insoferne möchte ich hier keine Illusionen verbreiten, sondern im Gegenteil behaupten: Die größere Durststrecke auf dem Weg zu einer Klimaänderung liegt noch vor uns, weil sie mit einer Politik-änderung zu tun hat.

Sei kein Idiot

»Die alten Griechen … nannten den, der sich nicht um Politik kümmerte, ›idiotes‹. Ein Wort, das eine isoliert lebende Person bezeichnet, die den anderen nichts anzubieten hat, die nur den häuslichen Kleinkram im Kopf hat und am Ende von allen manipuliert wird. Von diesem griechischen Wort leitet sich unser ›Idiot‹ ab. Den Sinn brauch ich dir ja nicht zu erklären.«16)

Bildung kann nicht leisten, was Politik verwehrt

Dem »idiotes« ist das Projekt des »politiké«, desjenigen Menschen entgegenzustellen, der sich auf die »polis« versteht, der zuständig ist und Verantwortung trägt für die Gemeinschaft, die ihn gewählt hat in der Absicht und im Vertrauen, dass dieser sie nicht hinters Licht führen wird.

In diesem Sinne geht es also – heute wie immer – um politische BetriebsrätInnen, das heißt, um Menschen, die auf die Polis im Sinne der gesamten Gesellschaft schauen. Denn dies macht Betriebsratsarbeit auch erst zur Gewerkschaftsarbeit. Daher erfordert gute betriebsrätliche und gewerkschaftliche Arbeit vor allem das Umfeld einer weitblickenden Politik.

 Diese scheint jedoch nicht in großer Nähe zu sein.

Denn noch leben wir im Heute. Und dieses Heute ist gekennzeichnet von »Noch-mehr-Hayek«.

1) von Hayek, Friedrich August, Die Verfassung der Freiheit,
Tübingen, 1991, Seite 341
2) von Hayek, a. a. O., Seiten 346-347
3) Milton Friedman, Kapitalismus1984, Seiten 165 bzw. 174
4) Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus, Tübingen 1996 (Erstausgabe Chicago 1988)
5) OÖ. Wirtschaftkammernachrichten, 22. Okt. 1999
6) Der so genannte Wirtschaftsnobelpreises« ist kein »echter« Nobelpreis. Er wird nicht vom Nobelkomitee verliehen, sondern wurde erst 1969 – man kann dies ruhig als gelungene Marketingstrategie der neoliberalen Connection bezeichnen – von der Bank of Sweden (!) das erste Mal verliehen („The Bank of Sweden Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel«). In letzter Zeit gibt es wieder vermehrte Diskussionen und die Schwedische Akademie wehrt sich verstärkt gegen die Verleihung des späten und »unnobelschen« Hinzukömmlings und fordert seine ersatzlose Streichung. Siehe dazu auch DER STANDARD, 10. Okt. 2002, S 19
7) von Hayek, Individualismus und wirtschaftliche Ordnung, Zürich 1952, S 154
8) von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 347
9) Standard, 13. Mai 1997
10) The Economist (London) vom 15. März 1958, S 918
11) Alle folgenden Seitenangaben beziehen sich auf: von Hayek, Die Verfassung der Freiheit
12) Grasser, Karl Heinz, ORF, Ö 1,
Mittagsjournal, 3. Mai 2003
13) Post AG-Managerin, ORF, Ö 1,
Mittagsjournal, 12. November 2003
14) Profil Nr. 41, 4. Oktober 2004, S 41
15) Zur Zeit, Nr. 29/30, vom 14.- 20. Juli 2000
16) Savater, Fernando, Sei kein Idiot. Politik für die Erwachsenen von morgen, Weinheim und Basel 2001, S 14

 
Dieser Beitrag ist die vom Autor für Arbeit&Wirtschaft bearbeitete Version eines Kapitels aus dem Mitte dieses Monats erscheinenden Buch von Lucia
Bauer/Sepp Wall-Strasser: »Märkte brauchen Regeln – Strategien für ein solidarisches Wirtschaften«, erschienen im ÖGB-Verlag, 260 Seiten, 21,-

Von Sepp Wall-Strasser (Bildungssekretär des ÖGB Oberösterreich)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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