Vom wohlfahrtsstaatlichen Element zum Kostenfaktor oder von der Bedarfsdeckung zur Kostendämpfung – so kann die Entwicklung im Gesundheitswesen beschrieben werden, die mit der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre begann und mit der Einführung des Primats der ökonomischen Austerität an Fahrt aufnahm. Die strikte Austeritätspolitik – als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise – hat diese Entwicklung verschärft. Besonders betroffen sind die Länder, die Leistungen aus dem europäischen Rettungsschirm in Anspruch nehmen.
Primat Kostensenkung
Innerhalb der durch die Troika formulierten Konsolidierungsziele wurden und werden wichtige politische Entscheidungen auch hinsichtlich der Gesundheitssysteme getroffen. Wohin das Primat der Kostensenkung führen kann, wird an diesen Ländern deutlich: Schließungen von Krankenhäusern, Privatisierungspläne für (die noch vorhandenen) Krankenhäuser, Ausschluss einzelner Bevölkerungsgruppen aus dem Zugang zur Gesundheitsversorgung, große Erhöhung der privaten Zuzahlungen, ein Drittel Lohnkürzungen für Krankenhausbeschäftigte, Reduzierung von Nachtdiensten per Regierungsdekret etc.
Zweifellos ist die derzeitige Lage des Gesundheitswesens in den Krisenländern nicht mit der Situation in Österreich oder auch in Deutschland vergleichbar. Doch dies liegt nicht daran, dass nicht auch in Österreich und Deutschland die Kostendämpfung im Gesundheitswesen hoch auf der politischen Prioritätenliste rangiert oder dass sich die Kostensenkungsstrategien inhaltlich beziehungsweise in ihrer Ausrichtung wesentlich unterscheiden, sondern an der Radikalität ihrer Umsetzung.
Aber auch zwischen Österreich und Deutschland finden sich Differenzen hinsichtlich der Umsetzung von Kostensenkungsstrategien. So ist Deutschland das Land in Europa, in dem der Verkauf von öffentlichen Krankenhäusern systematisch und im groß angelegten Stil erfolgte. Während laut Krankenhausexperten Nils Böhlke noch 2002 lediglich 28,3 Prozent der öffentlichen Krankenhäuser in privater Rechtsform geführt wurden, waren es 2011 56,8 Prozent. In Österreich hingegen haben Voll- oder Teilprivatisierungen nur in sehr geringem Ausmaß stattgefunden: Teilprivatisiert wurden in den vergangenen Jahren beispielsweise vier Rehabilitationszentren (Sonderkrankenanstalten) der Sozialversicherung der Bauern (SVB). Eine zunehmende Ökonomisierung des Gesundheitswesens und Privatisierungstendenzen können jedoch auch hierorts beobachtet werden. Insbesondere der Krankenhaussektor wurde in den vergangenen Jahren durch Reformen wesentlich marktnäher gestaltet. Ökonomische Kalküle haben Einzug in das Handeln im Krankenhaus gehalten und die Vermeidung wirtschaftlicher Verluste wurde zu einer verbindlichen Verhaltenserwartung für alle AkteurInnen im Gesundheitswesen. Wenig überraschend übernehmen Krankenhäuser dabei Strategien der Kostensenkung wie beispielsweise Auslagerungen, die aus der Privatwirtschaft bekannt sind. Auslagerung (Outsourcing) von bestimmten Teilen oder Funktionen an private Unternehmen ist mittlerweile im betrieblichen Alltag von österreichischen Krankenhäusern verankert. Diese Entwicklung verläuft unabhängig von der Eigentümerstruktur der Krankenhäuser. Beliebt ist in Österreich auch eine spezifische Form der Auslagerung, sogenannte Public-Private-Partnerships (PPP). PPPs sind auf Dauer angelegte Kooperationen von öffentlicher Hand und privater Wirtschaft bei der Planung, der Erstellung, der Finanzierung, dem Betreiben oder der Verwertung von (bislang) öffentlichen Aufgaben. Eine in Österreich häufig angewandte PPP-Variante ist die Übernahme der Betriebsführung von Krankenanstalten durch private Firmen, die sich auf Krankenhausmanagement spezialisiert haben. Innerhalb eines PPPs wurden Private in den vergangenen Jahren auch immer mehr zur Finanzierung von Investitionen geholt. Gleichzeitig finden sich Versuche von Lohnkostensenkungen durch Kürzung von Überzahlungen und sonstigen Zuschlägen, aber auch durch Personalabbau meist in Form von Verzicht auf Nachbesetzungen nach Pensionierungen.
Arbeitsverdichtung und Intensivierung
Hauptbetroffene dieser Entwicklung sind die Beschäftigten in den Krankenhäusern.2 Eine Vielzahl von Studien der vergangenen Jahre zeigt denn auch ein kontinuierliches Anwachsen der Belastungen der Beschäftigten im Krankenhaussektor, vor allem durch Arbeitsverdichtung und Intensivierung. Arbeitsorganisatorische Veränderungen und Personalabbau (meist in Form von fehlenden Nachbesetzungen) erweisen sich dabei als wichtigste Ursachen. Für die zunehmenden Dokumentations- und Verwaltungsaufgaben sind kaum zusätzliche Zeitressourcen vorgesehen, daher nimmt die Zeit für die „eigentlichen“ Aufgaben ab. Dazu kommt ein hohes Ausmaß an Überstunden, Mehrarbeit, die überdurchschnittliche Verbreitung von Wochenend- und Nachtarbeit etc. Die körperlichen, psychischen und sozialen Belastungen des Berufs werden, so ebenfalls das Ergebnis vieler Studien, von den Beschäftigten als „immer unerträglicher“ wahrgenommen. Für Österreich liegen keine repräsentativen Daten über einen Vergleich der Arbeitsbedingungen von im Krankenhaus Beschäftigten nach Trägerstruktur vor. Für Deutschland lässt sich aber zeigen, dass zwar die Arbeitsbelastung in den Kliniken trägerübergreifend zunimmt, aber die Belastung in den privaten Häusern durchschnittlich noch höher ist als in den öffentlichen Häusern. Die in Vollerhebungen ermittelten Daten des Statistischen Bundesamtes machen deutlich, dass sowohl ÄrztInnen als auch Pflegekräfte in privaten und auch in gemeinnützigen Häusern wesentlich mehr Belegstage zu behandeln haben als ihre KollegInnen in öffentlichen Häusern. Neben der stärkeren Arbeitsbelastung ist in Deutschland auch bei den Tarifen der Beschäftigten ein deutlicher Unterschied zwischen den tariflichen Entlohnungen der Beschäftigten bei den unterschiedlichen Trägern zu verzeichnen.
In Österreich sind die Beschäftigten in privaten gemeinnützigen und privaten gewinnorientierten Krankenanstalten hinsichtlich der kollektivvertraglich festgelegten Einkommenshöhe seit jeher schlechtergestellt. Im vergangenen Jahrzehnt wurden aber Annäherungen erreicht. Gleichzeitig nehmen aber in allen Krankenhäusern – insbesondere aber in den privaten gemeinnützigen und privaten gewinnorientierten – die Bemühungen zu, Personalkosten durch Kürzungen von Zuschlägen und Überzahlungen zu reduzieren. Eine Gruppe von Krankenhausbeschäftigten, die gesondert erwähnt werden muss, sind von Auslagerung Betroffene. Sie erfahren in der Regel Verschlechterungen auf allen Ebenen der Beschäftigungssituation: Einkommensverlust aufgrund eines ungünstigeren (niedrigeren) Kollektivvertrags, Verlust von betrieblichen Sozialleistungen, die den Beschäftigten vor der Auslagerung zustanden, geringerer Kündigungsschutz, eine Zunahme von Arbeitsbelastungen durch Kürzung der Arbeitsstunden etc.
Kämpfe
Seit Jahren wird von Krankenhausbeschäftigten wiederholt auf die immer unzumutbarere Situation hingewiesen, bislang ohne Wirkung. Mittlerweile beginnen sich die Beschäftigten zu wehren: Kundgebungen, erste Warnstreiks in oberösterreichischen Ordensspitälern (nach dem Vorbild der Berliner Charité), Aktionen gegen weitere Auslagerungen. Die Kämpfe der Krankenhausbeschäftigten brauchen mehr Unterstützung auch seitens der Zivilgesellschaft. Schließlich geht es ebenso um Interessen von PatientInnen wie von Beschäftigten. Eine gute und qualitätsvolle Gesundheitsversorgung ist schließlich unser aller Anliegen.
Internet:
Die Broschüre „Ausgelagert? Umstrukturierung in Krankenhäusern“ können Sie hier downloaden:
tinyurl.com/ptgnqob
tinyurl.com/pdcez53
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1 Unter Privatisierung wird der Transfer von Unternehmensanteilen von einem öffentlichen zu einem privaten Eigentümer verstanden. Ökonomisierung meint die Beteiligung von privatem Kapital, die Einführung von Marktmechanismen und die Adaptierung von privaten Management- und Effizienzprinzipien (Effizienz wird mit Profitabilität gleichgesetzt).
2 Es ist anzunehmen, dass eine solche zunehmende Arbeitsbelastung auch Auswirkungen auf die Behandlungsqualität hat. Allerdings liegen aber bis dato kaum wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Zusammenhang vor.
Von Ulrike Papouschek, Arbeits- und Geschlechtersoziologin an der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) in Wien und Universitätslektorin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/14.
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