Europa muss die Arbeitslosigkeit gemeinsam bekämpfen

Das Wirtschaftswachstum liegt bereits drei Jahre in Folge weit unter zwei Prozent. Massive Sparprogramme und Sozialleistungskürzungen in allen Ländern verschärfen die Situation noch.

Während der Staatskonsum vor 1990 jährlich durchschnittlich um 3,2% pro Jahr anstieg, werden es 2004 nur mehr 1,3% sein (in Österreich sogar Rückgang bzw. Stagnation seit 2000!).

Parallel sinken auch die öffentlichen Investitionen. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird von zuvor 3,2% (1971-1990) um ein Viertel auf 2,4% (2004) fallen (die Werte beziehen sich auf die EU 15, Quelle: siehe Angabe Graphik).

Diese Politik hat zum längsten Wirtschaftseinbruch in den letzten 30 Jahren geführt!

  • Aufgrund stagnierender Löhne und gleichzeitiger Sparprogramme zur Erfüllung des Stabilitätspakts ist die Konsumnachfrage eingebrochen, und die öffentlichen Investitionen gehen zurück.

Die finanziell ausgehöhlten Gemeinden, die größten öffentlichen Investitions-träger, sind kaum mehr in der Lage zu investieren.

  • In Europa wächst die Wirtschaft nur zögerlich. Mit ein Grund ist die Politik der hohen Zinsen der Europäischen Zentralbank (EZB), die nur dem Inflationsziel verpflichtet ist. Dies trägt auch zum Anstieg des Euro-Wechselkurses bei.
  • Durch einen gnadenlosen Steuersenkungswettlauf bei den Unternehmenssteuern versuchen die EU-Staaten, einander Betriebe abzuwerben. Dadurch wird der Kuchen (BIP) nicht größer! Wo endet dieser Wettlauf?

Einsparen, Kürzen, Abbauen

Bei einem Gewinnsteuersatz von 12,5% wie in Irland oder gar null Prozent wie in Estland (bei nicht entnommenen Gewinnen)?

Die öffentlichen Budgets werden noch mehr ausgehungert, die Steuerlast wird auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verschoben und die Forderung nach Senkung der Steuern dadurch populärer.

Die Folge: Weitere Sozialleistungskürzungen und Umstellung sozialer Sicherungssysteme auf Privatvorsorge.

  • Durch Sozialleistungskürzungen und verstärkte Umstellung auf Privatvorsorge wird die Kaufkraft geschwächt und Angstsparen forciert.
  • Die Konsumschwäche wird noch verstärkt durch das Zurückbleiben der Löhne, die – unter dem Stichwort der Wettbewerbsfähigkeit durch Ausgliederungen, Unterzahlungen, etc. – hinter der Produktivität immer stärker zurückbleiben.

Wo bleiben Wachstum und Beschäftigung?

Eine eigenständige, koordinierte, auf Wachstum und Beschäftigung ausgerichtete Wirtschaftspolitik der EU gibt es nicht.

Ergebnis dieser einseitigen neoliberalen Politik einer reinen Kostensenkungsstrategie für Unternehmen unter dem Stichwort der Wettbewerbsfähigkeit und der völligen Vernachlässigung der Nachfrageseite: das Wachstum bleibt aus, die Steuereinnahmen stagnieren weiter (gehen im Unternehmenssteuerbereich sogar zurück), gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit weiter. Arbeitslosigkeit ist sehr teuer, und gleichzeitig kommen dadurch weniger Steuern und Abgaben herein.

Die extreme Sparpolitik hat erst recht in die Schuldenfalle geführt.

Sturer Sparkurs im Konjunktureinbruch hat Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze gekostet, was nun erst recht wieder zu mehr Schulden führt. Und damit steigen die Budgetdefizite wieder stärker – aber ohne den Nutzen, damit den Wohlstand erhöht zu haben, sondern auf Kosten des Wohlstandes der Menschen.

Nachfrage und Aufträge

Ohne Nachfrage keine Aufträge – ohne Aufträge keine Investitionen.

Unternehmen leben von den Aufträgen und nicht nur von niedrigen Kosten. Unternehmen werden nur investieren, wenn Aufträge in Sicht sind.

Bleiben die Aufträge aus, wird die Kostenschraube immer weiter nach unten gedreht, um die Rentabilität der einzelnen Betriebe zu erhalten. Das führt zu weniger Wohlstand und Einkommen der Staaten und der Mehrheit der Bevölkerung und geht letztlich auch auf Kosten der Gewinne.

In den meisten Staaten Europas fehlt die Binnennachfrage.

Fehlende Binnennachfrage

Dieser Befund der Wirtschaftsanalysten ist eindeutig. Durch den schwachen privaten Konsum und die geringen öffentlichen Investitionen stagnieren auch die Unternehmensinvestitionen. Aber trotzdem wird der Sparkurs noch verschärft und weiter auf einseitige Unternehmensentlastung sowie Verschärfung des Drucks auf Arbeitnehmer/-innen -gesetzt.

Durch Erhöhung der Exporte wird versucht, die Einbrüche im Inland zu kompensieren. Doch die Exporte des einen sind die Inlandsnachfrage des anderen.

Innerhalb Europas heißt das: Wächst die Wirtschaft insgesamt nur schwach, kann der Exportanteil wieder nur noch durch Kosteneinsparungen und auf Kosten der Exporte eines anderen Landes gesteigert werden. Und immerhin spielen sich rund 90% der Exporte der EU-Länder innerhalb Europas ab! Das kann einem Land nur kurzfristig Vorteile verschaffen. Der Kuchen wird wieder nicht größer.

Mit dem Lissabon-Prozess hat sich die EU vorgenommen, bis 2010 der dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt zu sein, mit dem Ziel eines dreiprozentigen jährlichen Wachstums. Erreicht werden sollte das vor allem durch Anhebung der Quoten für Forschung und Entwicklung (F & E), der Investitionen in Aus- und Weiterbildung und der Infrastrukturinvestitionen in Verkehr und Telekommunikation. Der Befund ist ernüchternd: Wegen der Sparmaßnahmen der öffentlichen Haushalte wurde hier nicht mehr, sondern weniger investiert. (Selbst die Kommission kritisierte beim EU-Gipfel im April den Rückgang der Investitionen für F & E und in Aus- und Weiterbildung.)

Die EU ist die einzige Weltregion, die auf eine expansive, klar auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik verzichtet und darauf wartet, von der Belebung der Wirtschaft in anderen Weltregionen zu profitieren.

Europa für Menschen

Für ein modernes, leistungsfähiges, wirtschaftlich starkes Europa, das den Menschen soziale Sicherheit garantiert und öffentliche Dienstleistungen für alle sicherstellt!

Wachstumspolitik

Europa braucht eine aktive, gemeinsame Wachstumspolitik!

  • Ein großes europäisches Infrastrukturprogramm, das die Wirtschaft in Schwung bringt und die Basis für die Zukunft schafft. Forcierter Ausbau der Transeuropäischen Netze, Schaffung der Möglichkeit zur Kreditfinanzierung durch die EU (Europäische Investitionsbank – EIB)
  • Koordinierung einer wachstums-orientierten Wirtschaftspolitik in einem makroökonomischen Dialog der maßgeblichen Akteure (Rat, Kommission, Europäische Zentralbank – EZB, Mitgliedsstaaten, Sozialpartner). Der Binnenmarkt mit Beschäftigung und Wohlstand für alle wird nur funktionieren, wenn die wichtigen wirtschaftspolitischen Akteure gemeinsam aktiv werden.
  • Niedrige Zinsen, damit sich für die Unternehmen investieren lohnt – expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ermöglichen: Das System der EZB ist soweit zu reformieren, dass das Ziel einer wachstums- und beschäftigungsorientierten Wirtschaftspolitik dem Inflationsziel gleichwertig ist. Durch die derzeitige einseitige Fixierung auf das Inflationsziel wurde und wird wegen zu hoher Leitzinsen der Wirtschaftsaufschwung abgewürgt und der Wechselkurs des Euro hochgepuscht. Bei der Festsetzung der Leitzinsen muss auch die Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung berücksichtigt werden.
  • Reform des so genannten Stabilitäts- und Wachstumspaktes: Der Pakt in seiner derzeitigen Form führt in Verbindung mit seiner Extremauslegung zu einer prozyklischen, krisenverschärfenden Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten. Notwendig ist mehr Flexibilität – für das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren und für vermehrte staatliche -Investitionen in der Wirtschaftskrise. -Investitionen sollen nicht in die Defizitrechnung eingehen (»Goldene Regel«, nach der Neuverschuldung unproblematisch ist, soweit sie der Finanzierung von Investitionen dient). Defizitreduktion in Zeiten, wo es sinnvoll ist, nämlich in der Phase der Hochkonjunktur.
  • Auch Konzerne sollen Steuern zahlen – Eindämmung des Steuerwettbewerbes bei Kapitalsteuern: Maßnahmen gegen das Steuer-Dumping bei Steuern auf Kapital (z. B. Mindeststeuer und Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage bei der Körperschaftsteuer, Abschaffung spezieller Steuerbegünstigungen für ausländische Firmen) sind notwendig, damit die Mitgliedsstaaten ihre notwendigen Ausgaben für Bildung, F & E, Soziales, Investitionen usw. aufrecht erhalten können und sich die Abgabenlast nicht noch mehr auf den Faktor Arbeit verschiebt.
  • Produktivitätsorientierte Lohnpolitik: Die von der EU als Beschäftigungsmotor empfohlene Zurückhaltung in der Lohnpolitik (Lohnzuwächse ein Prozent unter dem Produktivitätszuwachs) ist gescheitert. Reallohnzuwächse müssen sich an den Produktivitätssteigerungen orientieren.
  • Der Staat muss Eigentümer wichtiger öffentlicher Betriebe bleiben, Absicherung der öffentlichen Dienstleistungen: kein Ausverkauf von Wasser, Post etc. Ob öffentlich oder privat soll Entscheidung der Mitgliedsstaaten bleiben.

Von Gertraud Jahn, Franz Gall (Mitarbeiter der Abteilung Wirtschaftspolitik in der AK Oberösterreich)

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .

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