Eine Woche Weiterbildung

Weiterbildung in der Arbeitszeit? Selbstverständlich, sagt jede/r verantwortungsvolle Personalverantwortliche, die »Humanressourcen« seien ja das wichtigste Kapital des Unternehmens. In der Realität bedeutet das: 31 Prozent der ArbeitnehmerInnen werden vom Betrieb weitergebildet, sieben von zehn ArbeitnehmerInnen müssen sich dagegen privat weiterbilden.1
Das war schon einmal besser: 2003 wurden 36 Prozent der ArbeitnehmerInnen innerhalb der letzten zwölf Monate betrieblich weitergebildet.2 Warum die Weiterbildungsquote zurückging (eine IMAS-Umfrage spricht von nur noch 27 Prozent innerhalb der letzten zwei Jahre3, trotz »Bildungsfreibetrages« für Unternehmen4, darüber gibt es nur Vermutungen: Anscheinend konzentrieren sich die Unternehmen bei der Weiterbildung zusehends auf gewisse MitarbeiterInnen.
Die Unterschiede sind enorm: So nehmen nur 13 Prozent der ungelernten ArbeiterInnen, aber 42 Prozent der leitenden Angestellten an betrieblicher Weiterbildung teil. Die Investitionsbereitschaft der Unternehmen nimmt mit steigendem Alter der ArbeitnehmerInnen tendenziell ab, das trifft vor allem jene mit niedriger Qualifikation und ArbeiterInnen über 50 Jahren.
Eine Option um diesen ungleichen Zugang zur Weiterbildung abzubauen ist, die Weiterbildung in der Arbeitszeit vertraglich abzusichern. Die Gewerkschaften machen Weiterbildung zusehends zu einem Thema bei KV-Verhandlungen. Meist geht es hierbei um das Recht der Beschäftigten, sich zur Vorbereitung auf Abschlussprüfungen (z. B. Berufsreifeprüfung) freistellen zu lassen. »Starke« Branchen haben entsprechende Bestimmungen in den Kollektivverträgen.
Will man jedoch alle ArbeitnehmerInnen erreichen, muss man an eine gesetzliche Regelung denken. Die AK hat die ArbeitnehmerInnen gefragt: 84 Prozent treten für einen Rechtsanspruch auf eine Woche Weiterbildung pro Jahr in der Arbeitszeit ein!5 Ein solches »Weiterbildungsgesetz« wäre eine große Innovation. Der EU-Gipfel von Lissabon läutete im Jahr 2000 endgültig das Zeitalter des lebenslangen Lernens ein. Die EU fordert von den ArbeitgeberInnen »35 Stunden Weiterbildung pro Jahr und Beschäftigten« und hält dies »für ein realistisches Ziel«.6 Die Folge war Verärgerung auf ArbeitgeberInnenseite.
Denn die ArbeitgeberInnen wollen darüber nicht einmal verhandeln. Dabei gibt es ein ausgereiftes Konzept von AK und ÖGB: Das sieht vor, dass jeder/jede ArbeitnehmerIn einen Anspruch auf jährlich 35 Stunden Weiterbildung in der Arbeitszeit hat, über das Jahr verteilt. Weiterbildung, die der Betrieb durchführt, wird angerechnet. Bildet der Betrieb weniger als 35 Stunden pro Jahr weiter, wird der/die ArbeitnehmerIn für die Differenz von der Arbeit freigestellt). Die Teilnahme an außerbetrieblicher Weiterbildung muss nachgewiesen werden, die zulässigen Weiterbildungsinhalte werden von den Sozialpartnern definiert. In Deutschland funktioniert das System der »Bildungsfreistellung« nicht, kaum jemand nimmt diese in Anspruch: Die Weiterbildungsinhalte sind zu offen gehalten, die Woche kann nur im Block beansprucht werden, und die Freistellung kommt zusätzlich zur betrieblichen Weiterbildung. Das provoziert Widerstand auf Seiten der ArbeitgeberInnen, die nur die Erhöhung der Lohnnebenkosten sehen, ohne Auswirkung auf die Produktivität. Österreich wäre in der Lage, das besser zu machen.
Michael Tölle
Weiterbildungsexperte
der AK Wien

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