Als im Januar 2003 der neue ecuadorianische Präsident Lucio Gutierrez sein Amt antrat, waren viele Hoffnungen damit verbunden.
Als Oberst der Streitkräfte war er einer der Anführer einer Volkserhebung im Januar 2000, die einen unfähigen Präsidenten gestürzt hatte. Seine Regierung wurde unterstützt von der großen Bewegung der Indigenas (Indios), den Gewerkschaften und der politischen Linken. Doch die Hoffnungen schwanden noch im ersten Amtsjahr.
Heute ist die Mehrheit der Bevölkerung ärmer denn je, die einstigen Alliierten stehen in Opposition zu Gutierrez. Es wächst die Sorge, Ecuador könnten den Weg des blutigen gesellschaftlichen Konflikts gehen wie sein Nachbarstaat Kolumbien.
Ecuador ist ein schönes Land, Alexander von Humboldt hat es in seiner großen Reisebeschreibung im 19. Jahrhundert gewürdigt. Auf relativ kleiner Fläche vereint das Land schneebedeckte Sechstausender und Pazifikstrände, immergrüne Regenwälder und saftige Viehweiden, Kartoffelfelder und tropische Fruchtplantagen – und als Zugabe die Galapagos-Inseln. Zu den Naturschönheiten kommt eine freundliche Bevölkerung, die insbesondere im Hochland rings um die Hauptstadt Quito von den Indigenas (Indios) dominiert wird.
Kinderarbeit
Doch das hässliche Gesicht der Armut wird immer offensichtlicher: Kinderarbeit in fast allen Restaurants, in den Bussen, auf den Märkten. Kein Wunder: der Mindestwarenkorb beläuft sich auf 378 US-Dollar im Monat, der familiäre Durchschnittsverdienst nur auf 253 (Zahlen von Dezember 2003), da müssen halt alle dazuverdienen. Etwa 80 Prozent der ecuadorianischen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze.
Dollarisierung und Überleben
Die Wirtschaftskrise in dem Andenstaat sollte durch die »Dollarisierung« überwunden werden. Der Sucre wurde vor vier Jahren durch den US-Dollar abgelöst. Gutierrez hatte sich erst skeptisch demgegenüber geäußert, verkauft die Dollarisierung nun allerdings als Erfolg. Immerhin sei das Land noch zahlungsfähig, heißt es. Dies stimmt. Allerdings nur, da den Zinszahlungen für die mehr als 16 Milliarden Dollar Auslandsschulden Vorrang gegenüber sozialen Investitionen gegeben wird. Ein Großteil der Ecuadorianerinnen und Ecuadorianer kann nur überleben, da mehr als zehn Prozent der Bevölkerung ins Ausland geflüchtet sind und von da Gelder (2003 etwa 1,6 Milliarden Dollar) an ihre Familien schicken. Und selbst dieses Modell ist nur möglich, weil die Preise für Erdöl, dem wichtigsten Exportgut Ecuadors, überdurchschnittlich hoch sind. Eine Normalisierung des Ölpreises – und Ecuador stünde vor dem Kollaps.
Faschistische Elemente
Angesichts dieser Krise kann es kaum verwundern, dass selbst die viel gepriesene Friedfertigkeit Ecuadors auf der Kippe steht: Spätestens seit dem Anschlag auf Leonidas Iza am 1. Februar dieses Jahres muss eine Übertragung des »schmutzigen Krieges« gegen Oppositionelle, wie es aus dem Nachbarland Kolumbien nur zu bekannt ist, ernsthaft befürchtet werden. Iza ist der Vorsitzende des mächtigen Indioverbandes CONAIE, der die Regierung zunächst gestützt hatte. »Wir konnten Gutierrez nicht richtig einschätzen, insofern war es ein Fehler, diese Regierung erst zu ermöglichen. Ohne die Indigenas und sozialen Bewegungen wäre Gutierrez nichts ins Amt gekommen, heute zeigen sich faschistische Elemente in seiner Regierung. Das ist natürlich ein herber Rückschlag«, sagt er mir im Gespräch. Wer denn wohl hinter dem Attentat gesteckt habe, das auf ihn vor dem Hauptsitz der CONAIE verübt wurde? »Das können Gruppen sein, die der Regierung sehr nahe stehen. Hier gab es bereits versteckte Andeutungen zu dem Aufbau paramilitärischer Gruppen. Es könnten auch ausländische Kräfte sein, beispielsweise die USA. Es kann auch die Regierung selbst sein.«
I N T E R V I E W
Rosen und Gewerkschaftsrechte
Interview mit Jaime Arciniega, Vorsitzender des ecuadorianischen Gewerkschaftsbundes CEOSL
Arbeit&Wirtschaft: Ihre Gewerkschaft hat anfangs die Regierung Gutierrez unterstützt. Wie kam es dazu?
Jaime Arciniega: Unsere Organisation unterstützte Gutierrez im Wahlkampf und auch in den ersten Monaten seiner Regierung, denn er hatte sich gegen die Korruption ausgesprochen, wollte die nationale Industrie stärken, neue Arbeitsplätze schaffen und die Kinderarbeit überwinden. Mein Vorgänger im Amt des Gewerkschaftsvorsitzenden zog als Berater in den Präsidentenpalast ein. Gutierrez versprach alles …
… hat aber nichts gehalten.
Das ist leider richtig, inzwischen ist Gutierrez auf eine ultrarechte Position eingeschwenkt. Er will die Gewerkschaften niederringen und den öffentlichen Sektor abschaffen. Unsere Bevölkerung hat der Präsident völlig vergessen, er sichert nur die Privilegien seiner Familie. Seine alten militärischen Freunde sind in hohe Ämter gerückt, für die sie keine Qualifikation haben.
Was ist also die Perspektive für diese Regierung?
Die Regierung macht die Gesetze gegen die Arbeiter, für das Großkapital. Es wäre besser, der Präsident würde bald zurücktreten. Es sieht aber so aus, als wolle er an seinem Amt festhalten. Es mehren sich anonyme Drohungen und erste Attentate gegen oppositionelle Kräfte, auch gegen die Gewerkschaften. Die Situation in Ecuador ist im Moment sehr unsicher und besorgniserregend.
Kann die internationale Öffentlichkeit für die Verteidigung der Gewerkschaftsrechte und der Demokratie in Ecuador von Nutzen sein?
Ja, sicher. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr gute Erfahrungen mit der Solidarität von Gewerkschaften und Menschenrechtsgruppen aus den USA in Bezug auf die Situation in der ecuadorianischen Bananenindustrie gemacht. In den USA werden diese Bananen überwiegend verkauft, deshalb haben die Unternehmen auf die Kritik dort reagiert. Wir konnten einzelne konkrete Erfolge in den Plantagen erzielen, selbst der Bananen-König und ehemalige Präsidentschaftskandidat Noboa spürt den Druck. Es wäre gut, ähnliche Initiativen zum Beispiel in Bezug auf die Blumenindustrie zu starten. Wir haben mehr als 300 Blumenplantagen in Ecuador, aber nur in dreien existiert eine Gewerkschaft. Wir haben beim Arbeitsministerium den Antrag auf eine Branchengewerkschaft für die Blumenindustrie gestellt, der aber abgelehnt wurde. Regierung und Unternehmer stecken unter einer Decke, die Korruption ist enorm. Es wäre gut, wenn sich hierzu in Europa, wo ja viele unserer schönen Rosen verkauft werden, deutliche Kritik in der Öffentlichkeit erheben würde.
(Das Interview führte Frank Braßel im März in Quito.)
Alle Versprechen gebrochen
Die CONAIE wie auch die Linkspartei MPD und der Gewerkschaftsverband CEOSL (siehe Interview) zogen sich nach 200 Tagen wieder aus der Regierung zurück. Präsident Gutierrez hatte nicht ein Versprechen erfüllt. Statt eine sozial ausgewogene Wirtschaftspolitik zu führen, gaben schnell die Neoliberalen den Ton an.
Statt gegen die immensen Auslandsschulden und die knallharten Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) vorzugehen, zeigt Gutierrez blinden Gehorsam. Und statt die US-Militärbasis in Manta nur auf Aktionen zur regionalen Drogenbekämpfung zu begrenzen, wie es der Vertrag vorsieht, wird Ecuador immer mehr zum Element der Regionalisierung des kolumbianischen Bürgerkriegs.
Das gilt für das Agieren des US- und offenbar auch des kolumbianischen Geheimdienstes im Lande und der zunehmenden Gewaltwelle.
Gutierrez entwickelt sich zu einem selbstherrlichen Präsidenten, der sich mit einer kleiner Gruppe von ehemaligen Militärfreunden und Familienangehörigen umgibt. So löste ihn sein jüngerer Bruder Gilmar Ende Februar als Vorsitzender seiner Partei ab, der »Patriotischen Gesellschaft«. Gutierrez reagiert zunehmend gereizt auf niedrige Umfragewerte und Kritik in den Medien.
»Das Land will positive Nachrichten, will Optimismus. Alle unsere Anstrengungen werden nutzlos sein ohne die Hilfe der Massenmedien. Deshalb Schluss mit den Skandalberichten«, forderte er in aggressivem Tonfall Anfang März.
Autoritärer, arroganter Führer
Offenbar hat sich ein neuer autoritärer, arroganter Führer installiert. Die Opposition plädiert für den Sturz Gutierrez’, doch die Frage ist: Welche realistischen Alternativen gibt es, gegen die reaktionären Eliten und gegen die Macht Washingtons eine wirklich alternative Regierung aufzubauen?
Die Erfahrungen der vergangenen Jahre stimmen wenig optimistisch.
Vermutlich werden auch in den kommenden Jahren Armut, Kinderarbeit, Korruption und zunehmende Gewalt die Mehrheit der ecuadorianischen Bevölkerung belasten.
I N F O R M A T I O N
CEOSL – Central Ecuatoriana de Organizaciones Sindicales Libres = Bund der freien Gewerkschaften Ecuadors
MPD – Movimiento Popular Democratico = Demokratische Volksbewegung
Von F. Braßel
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe .
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