Die zweite Einkommensverteilung

Anton Proksch war von 1956 bis 1966 Sozialminister in den ÖVP-SPÖ-Regierungen nach dem Staatsvertrag. Die unterschiedlichen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Positionen traten jetzt deutlicher hervor. Damals ging es nicht um den Abbau des Sozialstaats, sondern um seinen Aufbau, und das Budgetdefizit war kein Top-Thema. Abgesehen davon muten aber die Argumente der GegnerInnen staatlicher Verteilungspolitik zugunsten der kleineren Einkommen ziemlich aktuell an. Proksch fasste sie folgendermaßen zusammen:

„Dreizehn Milliarden an Sozialleistungen; heuer um eine Milliarde Schilling mehr als im Vorjahr“, … „Sozialaufwand am meisten gestiegen“ … sind dann Schlagzeilen für Artikel, in denen man zwar – weil es nicht anders geht – den sozialen Fortschritt begrüßt, aber gleichzeitig mit dem Finger droht, es doch endlich genug sein zu lassen.

Wenn jedoch die Vertreter der Arbeiter und der Angestellten, allen „guten Ratschlägen“ zum Trotz, an dem Verlangen nach Verbesserung der Sozialleistungen festhalten, wird rasch die Sturmfahne hochgezogen … Immer und immer wieder werden die Dinge so dargestellt, als ob den Unselbständigen im Wege der zweiten Einkommensverteilung größere Vorteile zukämen als den Selbständigen. … Immer wieder dasselbe Spiel: Alle Ausgaben des Staates sind vertretbar, selbst die rasche Verdoppelung der Staatsschulden schadet der Währung nicht; aber zu den gesteigerten Ausgaben auf dem Sozialsektor schauen alle Missgünstigen sauer drein und schütteln die Köpfe.

Das steht am Beginn von Prokschs Broschüre „Die sozialen Lasten“, die 1963 vom ÖGB-Verlag herausgebracht wurde. Er unternehme darin den Versuch, so der Verlag in einem Begleitschreiben zu den Belegexemplaren für die Zeitungsredaktionen, das Vorurteil zu zerstören, soziale Verwaltung müsse zwangsläufig zu „kollektivistischen“ Maßnahmen führen, in deren weitgespanntem Rahmen der einzelne nicht berücksichtigt werden könne. Der Sozialminister, so der Verlag weiter, mache die Bedeutung der „zweiten Einkommensverteilung“, der sozialstaatlichen Umverteilung durch öffentliche Wohlfahrt klar.

Besonders die Darstellung des Pensionswesens und seiner fünf Träger zeigt, wie sehr die Gemeinschaft zur Sicherheit der Existenz jedes einzelnen beitragen kann. Verteilungspolitik beschränke sich darüber hinaus nicht auf die Sozialversicherung: Die von allen politischen Richtungen als wichtig erkannte Familienpolitik wird durch die Kinder- und Familienbeihilfe unterstützt, deren Entwicklung aus der Ernährungsbeihilfe der Nachkriegs- und Hungerjahre heute kaum mehr bekannt ist. Auch die lebenswichtige und hochpolitische Frage des Volkswohnbaus findet in dieser Broschüre Erörterung.
Die zentrale Aussage sei aber der Hinweis des Verfassers, dass die „sozialen Lasten“ allesamt von den Werktätigen getragen werden, da alle Staatszuschüsse und alle Unternehmeranteile letztlich aus den Leistungen der Arbeitenden stammen.

Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at

Von Brigitte Pellar, Historikerin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/14.

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