Die weibliche Seite der Krise

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Frauen und Männern ist ein langjähriges Ziel europäischer Politik, das sogar schon im Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aus 1957/58 festgeschrieben ist. Mit dem Amsterdamer Vertrag 1997 wurde die Geschlechtergleichstellung für alle EU-Staaten verpflichtend. Zumindest theoretisch, denn die Umsetzung war schon ohne Krise zum Teil mangelhaft. Wirtschaftskrisen bedeuten noch dazu schlechte Zeiten für die Frauenpolitik – und gerade in Ländern wie Griechenland, Spanien oder Portugal ist die Situation durch die Troika-Politik noch schwieriger geworden.

Ziel in Gefahr

Krisenbedingt ist unter anderem das Ziel, EU-weit die weibliche Beschäftigungsquote zu erhöhen, in Gefahr. Mikael Gustafsson ist Vorsitzender des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter im Europäischen Parlament (FEMM). Im Interview mit dem deutschen Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie, das Teil der Heinrich-Böll-Stiftung ist, hält er fest: „Die Beschäftigungsrate von Frauen ist bis 2008 stetig angestiegen, danach ist sie konstant geblieben und liegt heute immer noch bei 62 Prozent.“ Dabei sollte sie gesteigert werden, und zwar auf 75 Prozent.
Arbeitslosenquoten zwischen 20 und 30 Prozent sowie extreme Reallohnverluste haben in den vergangenen Jahren in den meisten Haushalten für gravierende Veränderungen gesorgt: Wenn die Arbeitslosen-Unterstützung ausbleibt, wenn die Lebenshaltungskosten steigen und Kinderbetreuungseinrichtungen unerschwinglich werden, müssen die Familien – in den meisten Fällen die Frauen – die Lasten schultern.
Zwischen 2010 und 2013 ist das reale Durchschnittseinkommen etwa in Griechenland um 45 Prozent zurückgegangen. Die Arbeitslosenquote bei Frauen unter 24 liegt jenseits der 50 Prozent. Mehr als 70 Prozent der 1,3 Millionen griechischen Arbeitslosen sind schon länger als ein Jahr auf der Suche. Zwischen 2008 und 2013 ist das Armutsrisiko von 20 auf 44 Prozent gestiegen und hat sich somit mehr als verdoppelt. Die private Verschuldung ist exorbitant gestiegen. Laut der Gewerkschaft GSEE wurden viele Vollzeit-Verträge in Teilzeit oder Ad-hoc-Arbeitsverhältnisse umgewandelt. Im Zuge einer beispiellosen Deregulierung im Arbeitsrecht redet der Staat immer öfter bei Kollektivverträgen mit, um die Löhne niedrig zu halten.
Frauen werden insbesondere während der Schwangerschaft und nach dem Mutterschaftsurlaub verstärkt unter Druck gesetzt, flexible Arbeitsformen zu akzeptieren. Die allgemeinen Rentenkürzungen betreffen auch die bei Frauen häufigen Mindestrenten. In Italien etwa ist das durchschnittliche Lebenseinkommen von Frauen um 50 Prozent geringer als das von Männern, dementsprechend niedrig sind (später) die Pensionen.
Auch in den südlichen Ländern haben junge Frauen die Männer bildungsmäßig bereits überholt. Die positiven Auswirkungen allerdings sind wie fast überall in Europa bescheiden. So verdienen Akademikerinnen in Portugal 30 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Eine Studie der nationalen Gleichstellungsbehörde (CITE) ergab kürzlich, dass Portugals Frauen doppelt so häufig Freistellungen in Anspruch nehmen wie Männer. Als Gründe gaben Frauen familiäre Verpflichtungen an, während Männer andere Motive nannten. Daraus wird deutlich, dass Pflege- und Betreuungsaufgaben nach wie vor überwiegend in weiblichen Händen liegen.

Troika frisst unsere Kinder

Von Sparmaßnahmen bei öffentlichen Pflege- und Betreuungseinrichtungen sind besonders Frauen betroffen. Erstens handelt es sich vor allem um Frauenarbeitsplätze, zweitens fallen die so entstandenen Pflege- und Betreuungsaufgaben in der Regel den weiblichen Familienmitgliedern zu. Zwischen 2010 und 2012 ist in Griechenland die Nachfrage nach öffentlichen Kindergrippen-Plätzen auf das Dreifache gestiegen. Nur knapp 60 Prozent der Kinder konnten tatsächlich untergebracht werden. Unter diesen Umständen zögern viele, eine Familie zu gründen, entsprechend ist die Geburtenrate in Griechenland zwischen 2008 und 2013 um 15 Prozent gesunken.
„In Lissabon beträgt die durchschnittliche Monatsgebühr für eine Kita rund die Hälfte des durchschnittlichen Mindestlohns. Deshalb geben Frauen mit Kleinkindern vermehrt ihren Beruf auf“, erzählte Ana Paula Amaral, pensionierte Englischlehrerin und Aktivistin der Bewegung „Zum Teufel mit der Troika“, im Jahr 2013 in einem Interview. Immer mehr Frauen, vor allem Migrantinnen, aber auch arbeitslose Frauen, die sich von ihrem Partner getrennt haben, würden in die Prostitution flüchten, mahnt sie. Diese Entwicklung war in vielen Städten der PIGS-Staaten (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) spürbar, wobei die Preise der Sexarbeiterinnen deutlich gesunken sind.

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Frauenorganisationen sahen mühsam erkämpfte Frauenrechte schon zu Beginn der Krise in Gefahr. Sie kritisieren das Fehlen von Geschlechtergleichstellungszielen in den Reformen und wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen. Tatsächlich gerieten Frauenrechte nicht selten zur Nebensache, aus Geldmangel wurde die bunte Szene deutlich dezimiert. Wer im Netz beispielsweise nach griechischen Frauen-NGOs sucht, die 2010 noch aktiv waren, liest immer wieder die Fehlermeldung „Page not found“. Vielen Webseiten sieht frau an, dass kaum Ressourcen vorhanden sind. Ähnlich von der Krise betroffen sind staatliche Stellen, im März 2013 etwa wurde das griechische Generalsekretariat für Geschlechtergerechtigkeit von 25 Einheiten auf acht zusammengestrichen, 19 Abteilungen wurden auf sechs reduziert. In Austeritätsplänen mag Geschlechtergleichstellung zwar nicht vorkommen, doch immerhin gibt es innerhalb der europäischen bzw. internationalen Gemeinschaft mehrere etablierte Organisationen und offizielle Stellen, denen Gender Equality ein Anliegen ist.

Gleichstellung nicht nur im Job

Die deutsche Politikwissenschafterin Regina-Maria Dackweiler kritisierte im Rahmen einer Veranstaltung der AK Tirol, dass die EU-Gleichstellungspolitik zwar häufig als eine Art „supranationales Geschenk“ dargestellt werde, aber zu stark auf Employability und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet sei. Es gehe viel zu wenig darum, „Strukturen der Ungleichheit aufzubrechen und bestehende Herrschaftsverhältnisse […] zu transformieren“.
Internationale Vernetzung ermöglicht heute zumindest den raschen Austausch von Informationen und konzertiertes Vorgehen – auch wenn dies manchmal nur in Form von Protesten, Aufrufen und Memos erfolgt. So hat internationaler Druck immerhin dafür gesorgt, dass in Griechenland 2006 Vergewaltigung in der Ehe und häusliche Gewalt verboten wurden. Überhaupt konstatiert auch Dackweiler, konnte die EU im Kampf gegen (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen beachtliche Erfolge erzielen.
Trotzdem: Beengte Wohnverhältnisse, Langzeitarbeitslosigkeit und triste Zukunftsaussichten führten in den vergangenen Jahren dazu, dass Frauenorganisationen in den Krisenländern eine Zunahme an häuslicher Gewalt vermelden. Aus finanzieller Not zögern viele Frauen lange, bevor sie einen gewalttätigen Partner verlassen. Zusätzlich verbreiten politische Gruppierungen mit rassistischem Charakter „Zurück an den Herd“-Ideologien und alte Geschlechterstereotypen erleben ein Revival.
Doch in der Krise zählt jeder Euro und viele Frauen suchen jetzt erstmals nach Arbeit, um der Familie das Überleben zu sichern. Ob sich dadurch die Geschlechterverhältnisse zumindest indirekt ändern, ist ungewiss. In den Krisenländern ist der Gender Pay Gap zwar kleiner geworden, aber vor allem deshalb, weil jetzt alle weniger verdienen, viele Männer ihren Job verloren haben oder Teilzeit arbeiten.

Internet:
Weitere Infos finden Sie unter:
www.analyzegreece.gr
European Institute for Gender Equality:
eige.europa.eu
Women against Violence (WAVE):
www.wave-network.org
Interview mit Mikael Gustafsson, dem Vorsitzenden des FEMM-Ausschusses im Europäischen Parlament:
tinyurl.com/pmd4apr
Europäische Zeitschrift für Geschlechtergleichstellungsrecht 1/2014:
tinyurl.com/p9xudqn

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Von Astrid Fadler, Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 5/15.

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