Nach den ersten Arbeiterkammerwahlen konstituierten sich 1921 – in Kärnten 1922 – erstmals AK-Vollversammlungen. Die Präsidenten nannten in ihren Antrittsreden die organisatorische und inhaltliche Unterstützung der Gewerkschaftsarbeit als wichtigsten Grundsatz für die jetzt beginnende Tätigkeit. So auch Hans Pregant, Metaller und erster oberösterreichischer AK-Präsident:
Der Aufgabenkreis der Kammer, der in die Dienste der Organisationsbestrebungen der Arbeiterklasse gestellt werden soll, ist kein gesetzgeberischer. Wir werden vielmehr als selbstbewusstes Organ der arbeitenden, werktätigen Klassen zu kontrollieren haben, dass in allen Akten der Gesetzgebung und Verwaltung der Geist der Rechtsgleichheit und der Organisation zur Geltung kommt. … Organisation ist der Hebel unserer fortschreitenden Befreiung, des Aufstieges der Arbeiterklasse und die Bürgschaft ihrer Zukunft. Ein Stück Organisation ist auch diese Kammer, deren Aufgabe es sein wird, das Netz aller anderen Organisationen örtlich zusammenzufassen, zu verteidigen und auszugestalten, und die Organisationen mit dem notwendigen geistigen Rüstzeug zu versehen.
Vor den zweiten Arbeiterkammer-Wahlen, die 1926 stattfanden, zog der Erste Sekretär, also der Direktor der Arbeiterkammer in Wien Edmund Palla Bilanz. Er zeigte, dass die enge und gezielte Zusammenarbeit tatsächlich zustande gekommen war, warnte aber auch vor offenbar doch vorhandenen Tendenzen, die Kammern als eine Art Ersatzgewerkschaft zu betrachten:
Die Gewerkschaften sind heute vielfach durch die Behandlung von Tagesfragen, insbesondere durch die Lohnbewegungen, derart in Anspruch genommen, dass sie sich den großen Aufgaben des Arbeiterbildungswesens, der Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht im vollen Umfange widmen können. In allen diesen, für die Fortbildung der Arbeiterschaft so überaus wichtigen Arbeiten werden die Gewerkschaften nunmehr durch die Arbeiterkammern unterstützt.
Durch die Errichtung der Arbeiterkammern wurde der Gedanke des Mitbestimmungsrechtes an der Arbeitsverfassung aus der engeren Gemeinschaft des Betriebes auf die des ganzen Landes und in weiterer Auswirkung auf die des ganzen Staates übertragen. Dadurch ergibt sich eine ideelle und organisatorische Verbindung zwischen den Kammern und den Betriebsräten, die ebenso wie für die Gewerkschaften nunmehr auch für die Kammern den notwendigen Unterbau bilden. … Die österreichischen Gewerkschaften haben es von vornherein verstanden, sich die Einrichtungen der Betriebsräte für ihre Zwecke dienstbar zu machen, und die Betriebsräte zu Organen der Gewerkschaften auszubilden. Ebenso ist auch das Einvernehmen zwischen den seit mehr als einem halben Jahrhundert bestehenden Fachverbänden und der jungen Institution der Kammern … stets gewahrt worden.
Die Kammern müssen ihre vornehmste Aufgabe darin erblicken, die Tätigkeit der Gewerkschaften mit allen Kräften zu unterstützen und zu fördern, sie müssen es aber unter allen Umständen vermeiden, den Wirkungskreis der Gewerkschaften zu beeinträchtigen oder zu ersetzen.
Unter diesen Umständen wurde der Eintritt der Arbeiterkammern in die Arbeiterbewegung von den bis-her bestandenen Interessenvertretungen nicht als Störung, sondern als naturgemäße Ergänzung und Förderung der einheitlichen Arbeiterbewegung empfunden.
Zusammengestellt und kommentiert von Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at
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Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/2011.
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