Die vielen Gesichter der „Ungerechtigkeit“

Wirtschafts- und gesellschaftspolitische Diskussionen haben stets mit Fragen der Verteilung von Ressourcen und Machtverhältnissen zu tun. Gerade im Gefolge der Finanz- und Wirtschaftskrise stehen in Europa wesentliche Richtungsentscheidungen an, wie das europäische Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell künftig ausgestaltet sein soll.
Bei Überlegungen bezüglich möglicher Wege aus der Krise ist es unumgänglich, sich mit deren Ursachen auseinanderzusetzen. Diese liegen vor allem in der systematischen Deregulierung der Finanzmärkte der letzten Jahrzehnte und in der Zunahme der ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen.

Regierungen ignorieren Probleme

Trotz dieser Erkenntnis konnten sich die zentralen politischen AkteurInnen auf europäischer Ebene bisher nicht dazu durchringen, eine effektive Regulierung der Finanzmärkte zu implementieren und die bestehende Verteilungsschieflage zu korrigieren. Im Gegenteil: Im Fokus steht fast ausschließlich die Budgetkonsolidierung – vorrangig über Kürzungen der Staatsausgaben, die Aushöhlung der arbeits- und sozialrechtlichen Standards (unter dem Deckmantel „notwendiger Strukturreformen“) sowie eine generelle Schwächung der staatlichen Institutionen. Dass diese Strategie aber zum Scheitern verurteilt und perspektivenlos ist, meinte auch Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz in einem Interview im April 2012: „Es gibt weltweit nicht ein einziges Beispiel dafür, dass Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen ein krankes Land genesen lassen. Die Chancen, dass weitere Einsparungen die Probleme lösen, liegen nahe null.“
Aus ökonomischer und sozialpolitischer Sicht ist es notwendig, endlich effektive Regulierungsmechanismen für den Finanzmarkt durchzusetzen, die Schieflage in der Einkommens- und Vermögensverteilung zu korrigieren, die steigende Arbeitslosigkeit erfolgreich zu bekämpfen, faire Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt zu schaffen, einen universellen Zugang zu Bildung, sozialen Diensten sowie eine faire Teilhabe am Wirtschafts- und Gesellschaftsleben zu ermöglichen.
In zwei Bänden zum Thema Verteilungspolitik wird anhand eines breiten Spektrums an Themenfeldern beschrieben, welche Schieflagen bestehen und welche Maßnahmen erfolgversprechend sind, um mehr Verteilungs- und Chancengerechtigkeit zu erreichen.
Während in Band Eins die Entwicklungen der Schieflage der Verteilung auf internationaler und österreichischer Ebene von der volkswirtschaftlichen bis zur individuellen Ebene des täglichen Lebens analysiert werden, legt Band Zwei den Fokus auf sozial-, bildungs- und rechtspolitische Fragestellungen – mit Beiträgen u. a. zu geschlechts- bzw. altersspezifischen Arbeitsmarktchancen, zur Einkommenssituation und zur Veränderung von arbeitsrechtlichen Standards sowie zu Zugangsmöglichkeiten bei Aus- und Weiterbildung.

Wussten Sie, dass …

  • im OECD-Raum das Durchschnittseinkommen der reichsten zehn Prozent neunmal so hoch wie das der ärmsten zehn Prozent ist?
  • die Bruttoentgelte aus unselbstständiger Arbeit in den letzten 30 Jahren um das Zwölffache wuchsen, aber das Einkommen aus Besitz und Unternehmen um das 30-Fache?
  • Top-ManagerInnen von ATX-Unternehmen 2011 das 48-Fache eines Beschäftigten bekamen (2000 war es noch das 20-Fache)?
  • private VermieterInnen zwischen  2005 und 2010 bei einer Inflationsrate von neun Prozent die Mieten um 22 Prozent erhöht haben?
  • zwei Drittel der MigrantInnen ein Einkommen unter 1.400 Euro Monatsbrutto haben?
  • in Österreich pro Jahr rund 300 Mio. Mehr- bzw. Überstunden geleistet werden, 70 Mio. davon unvergütet, d. h. weder in Zeitausgleich noch finanziell abgegolten?
  • 35 Prozent aller befristet Beschäftigten und fast 20 Prozent der LeiharbeitnehmerInnen mit weniger als 1.300 Euro im Monat so wenig verdienen, dass sie akut armutsgefährdet sind?

Beide Bände sind kostenlos zu bestellen unter: bestellservice@akwien.at 
Band 1: ISBN: 978-3-7063-0432-0
Band 2: ISBN: 978-3-7063-0433-7

Von Adi Buxbaum, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 05/2012.

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