Umverteilung in Österreich? Nicht notwendig, meinen viele VertreterInnen der Industrie sowie konservative SpitzenpolitikerInnen. Gezielt geschürte Mythen nähren Befürchtungen der BürgerInnen: Wird mir das mühsam Ersparte wieder aus der Tasche gezogen? Aber wie das so ist mit Mythen: Es herrscht mehr Schein als Sein.
Armes Österreich?
Schein: Österreich sei eigentlich gar nicht so reich, wie es den Anschein hat, behaupten UmverteilungsgegnerInnen gerne. Durch neue Steuern oder andere Abgaben sei daher nicht viel zu holen, das man in das Bildungssystem oder bessere Transferleistungen investieren könnte. In ihrem Positionspapier „Wohlstand, Armut & Umverteilung in Österreich“ schreibt die Industriellenvereinigung (IV): „Österreichs Privathaushalte weisen zwar einerseits nach Luxemburg das zweithöchste verfügbare Haushaltseinkommen der EU und das dritthöchste der Welt auf, aber andererseits eines der niedrigsten Bruttogeldvermögen der westlichen Welt.“ Jede Art von Vermögenssteuer sei demnach abzulehnen, weil sie dem ohnehin geringen Vermögensaufbau schade.
Sein: Reichtum besteht nicht allein aus Geldvermögen. Vielmehr muss man das gesamte Bruttovermögen inklusive Immobilien, Fahrzeuge, andere Wertgegenstände, Unternehmensbeteiligungen und so weiter in die Betrachtung miteinbeziehen. Hier zeigt sich ein völlig anderes Bild: Die privaten Haushalte in Österreich verfügen über 1.063 Milliarden Euro. Sie sind somit wirklich nicht arm, immerhin ist dieses Vermögen dreieinhalbmal so hoch wie das österreichische BIP und fünfmal höher als die heimische Staatsverschuldung.1 Es ist somit ein erhebliches Vermögen vorhanden, das noch dazu sehr ungleich verteilt ist: Die reichsten zehn Prozent besitzen mehr als zwei Drittel des gesamten Haushaltsvermögens, die restlichen 90 Prozent hingegen müssen sich mit einem Drittel begnügen (siehe „Die Vermögensschieflage belastet vor allem die ArbeitnehmerInnen“).
Umverteilung ist leistungsfeindlich
Schein: In Österreich wird bereits genug umverteilt, und zwar über das progressive Steuersystem, lautet ein weiterer Mythos. (In Österreich betragen die Grenzsteuersätze 36,5 Prozent für Einkommen zwischen 11.000 und 25.000 Euro jährlich; 43,2 Prozent für Einkommen zwischen 25.000 und 60.000 Euro und darüber 50 Prozent.) Laut IV bezahle das oberste Prozent der EinkommensbezieherInnen im Durchschnitt fast 74.000 Euro jährlich an Einkommensteuer, die obersten zehn Prozent durchschnittlich 21.900 Euro pro Jahr. Die untersten 40 Prozent der EinkommensbezieherInnen hingegen würden keine Einkommensteuer bezahlen. Daraus leitet die IV nicht nur ab, dass sich Leistung nicht auszahle, sondern auch, dass Umverteilung geradezu leistungsfeindlich sei.
Sein: Auch diese Betrachtung ist verkürzt, denn sie reduziert Umverteilung auf die Einkommen- bzw. Lohnsteuer. Es gibt allerdings viele weitere Belastungen, die von weitaus mehr Menschen in Österreich getragen werden als nur den obersten zehn Prozent der Einkommensbezieherinnen und -bezieher. Allein die Umsatzsteuer muss von allen Konsumentinnen und Konsumenten geleistet werden, ob arm oder reich. Dazu kommen die Sozialabgaben: Da Einkommen bereits ab 395,31 Euro monatlich voll kranken- und pensionsversicherungspflichtig sind, steigen ab diesem Betrag die Belastungen sprunghaft an. Denn schon ab dieser Summe müssen rund 40 Prozent an Sozialabgaben bezahlt werden.
Für die Beschäftigten ist also entscheidend, wie hoch die Gesamtbelastung ausfällt und damit, wie viel ihnen nach Abzug von Steuern und Abgaben tatsächlich übrig bleibt. Allein bei den Geldvermögen zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass das Argument vom „Hochsteuerland Österreich“ in Wahrheit ebenfalls nur ein Mythos ist.
In Zahlen: In Österreich liegt das Medianeinkommen bei 33.000 Euro brutto pro Jahr (das sind ca. 2.350 Euro monatlich, inklusive 13. und 14. Gehalt), sprich die eine Hälfte der EinkommensbezieherInnen bekommt mehr, die andere Hälfte bekommt weniger. Von diesen 33.000 Euro werden knapp 31 Prozent an Sozialversicherungsbeiträgen und Einkommensteuer abgezogen. Hier wird die Ungleichverteilung deutlich, denn die Belastungen steigen nicht in gleichem Ausmaß wie die Einkommen. Selbst wenn man im Jahr mehr als 250.000 Euro brutto verdient (rund 18.000 Euro monatlich), beträgt die Gesamtbelastung knapp 42 Prozent – und liegt somit im Vergleich zum hohen Verdienst in einem leistbaren Rahmen.
Durch die steuerliche Begünstigung des 13. und 14. Gehalts reduzieren sich die derzeit geltenden Grenzsteuersätze im Übrigen noch einmal. Sie sinken nämlich von 36,5 auf 32,14 Prozent sowie von 43,2 auf 37,9 Prozent und von 50 auf 43,7 Prozent.
Die Mehrfachbesteuerung
Schein: Es sei unfair, durch die Erbschaftssteuer bereits versteuertes Vermögen ein weiteres Mal zu belasten.
Sein: Nicht nur Erbinnen und Erben müssen mehrmals Steuern bezahlen. „Jeder Euro wird in Österreich im Jahr an unterschiedlichen Punkten im Wirtschaftskreislauf (also mehrfach) besteuert, das entspricht dem Wesen funktionierender Steuersysteme in westlichen Hocheinkommensländern“, hält die AK Wien in einem aktuellen Thesenpapier fest. Immerhin bezahlen auch ArbeitnehmerInnen ihre Einkäufe oder Mieten mit bereits versteuerten Löhnen und müssen zusätzlich Umsatzsteuer berappen. Auch(Mindest-)Pensionistinnen und Pensionisten müssen mit ihrer bereits versteuerten ASVG-Pension die Miete begleichen oder Lebensmittel einkaufen und dafür nochmals Umsatzsteuer bezahlen. Hingegen kann gerade bei der Erbschaftssteuer nicht von einer Doppelbesteuerung gesprochen werden. Denn der/die Begünstigte hat für dieses einmalige – noch dazu leistungslose – Einkommen noch nie Steuern bezahlt. Somit werden die Betroffenen in diesem Fall sogar erst zum ersten Mal besteuert.
Perlenketten in Gefahr?
Schein: Gerne wird die Angst geschürt, dass sich der Staat am Schrebergarten, an Omas Perlenkette oder an der goldenen Taschenuhr des Großvaters bereichern will.
Sein: Das ist natürlich Unsinn, diskutiert wird nämlich ein Freibetrag von 500.000 Euro. Um hier betroffen zu sein, müsste schon ein „Luxus-Schrebergartenhäuschen“ oder eine ganze Schatzkiste von Perlenketten und Goldschmuck vererbt werden.
Der Staat als Spitzel?
Schein: Die stärkere Besteuerung von Vermögen führt zu einer „Schnüffelsteuer durch die Hintertür“, Finanzbeamtinnen und -beamte würden ihre Nase bis in den Schlafzimmerschrank stecken, malen die GegnerInnen als Horrorszenario an die Wand. Es würde nämlich nicht reichen, die Vermögenswerte zu deklarieren, damit der Staat daraus die Erbschaftssteuer berechnen kann. Vielmehr müssten SteuerfahnderInnen die Richtigkeit der Aussagen auch vor Ort überprüfen.
Sein: Hausrat und persönliche Gebrauchsgegenstände waren auch bei der in Österreich bis 1993 existierenden Vermögenssteuer ausgenommen. Ein Blick über die Grenzen hinaus zeigt außerdem: Ausnahmen wie diese gelten auch in anderen Ländern, die eine funktionierende Vermögenssteuer haben. Ein Beispiel dafür ist die Schweiz. Dort müssen die Steuerpflichtigen zu einem jährlichen Stichtag den Bruttovermögensstand angeben. Die eidgenössischen Steuerbehörden überprüfen daraufhin, ob diese Angaben auch plausibel sind. Es würde also ausreichen, stichprobenartig vertiefende Prüfungen durchzuführen – ganz so, wie dies heute schon in Österreich bei Selbstständigen gehandhabt wird. Laut AK wäre es somit ohne hohen Verwaltungsaufwand und ohne in Schlafzimmern schnüffelnden Finanzbeamtinnen und -beamte möglich, die Bemessungsgrundlage für die Steuer zu berechnen und diese einzuheben.
1 Die Zahlen stammen aus der Erhebung „Household Finance and Consumption Survey“, die 2010 in allen europäischen Staaten durchgeführt worden ist. Quelle: EZB, OeNB.
Mehr Infos im Web unter:
www.steuermythen.at
tinyurl.com/pwg2mzf
tinyurl.com/q7ec5uc
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Von Harald Kolerus, Freier Wirtschaftsjournalist
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/14.
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