Die Kinder des Zorns

Sie hatten ihren Dresscode, ihren Körperschmuck und ihre Parolen: grün oder orange gefärbtes Haar mit Irokesenschnitt, gepiercte Lippen, Sicherheitsnadeln im Gesicht, Klamotten aus dem Altkleidercontainer, Springerstiefel, Ketten, Nieten und an Häuserwände gesprayte Slogans – No Future, Do it yourself, Vertraue niemandem, Gott ist eine Lüge, Verschwende deine Jugend, Please kill me. Die Punkbewegung, in den frühen siebziger Jahren entstanden, war die bis dato letzte globale popkulturelle Revolte, geprägt vom Umsturz der Zeichensysteme, des Stils und der musikalischen Ausdrucksformen, begleitet von links-anarchistischen Attitüden und einem gefährlichen Spiel mit Symbolen totalitärer Systeme.

Hintergrund Neoliberalismus

Mit ihrem Protest traten die Kinder des Zorns gegen die längst in den Hitparaden gelandeten Dinosaurier der Rock- und Popmusik an, gegen harmoniesüchtige »Summer of love«- und Hippie-Ideale und gegen das bürgerliche Establishment, das sich, trotz kaum verklungener Studentenrevolte, wieder in aller Knöchernheit zu etablieren begann. »Der politische Hintergrund war die allgemein spürbare Wende zum Neoliberalismus, vor allem in Margret Thatchers England. Die Bewegung hätte sonst keine Resonanz gefunden. Die verkommenen Stadtviertel von London waren die Exerzierplätze der Punks«, sagt Kurator Thomas Mießgang, der mit der Ausstellung »Punk. No One is Innocent« in der Kunsthalle Wien zu den Anfängen der Punkkultur zurückführt, um aufzuzeigen, wie ein Trend entsteht. »Am Beispiel der Metropolen Berlin, London und New York sollen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Punk in verschiedenen Kulturräumen und Milieus vermittelt werden, ebenso ihre Auswirkungen auf die bildende Kunst, die Mode und die Chiffren der Revolte.«

This is the story of Johnny Rotten …

Viele der späteren Punkmusiker waren Absolventen von Kunsthochschulen, die nun mit Musikinstrumenten dilettieren konnten. Natürlich gab es Impulse und Vorreiter in Übersee, aus dem New Yorker (Velvet-)Underground, aber für die Mythenbildung des Punk eignen sich Malcolm McLaren, ein intellektueller Kunst-Rebell, und seine Partnerin Vivienne Westwood besser: 1971 begannen die beiden in ihrem Laden »Let it Rock«, 430 Kings Road, London, zunächst Secondhandware, Schallplatten und von McLaren Entworfenes und von Westwood Geschneidertes zu verkaufen. Dann entdeckten sie Schwarz als Modefarbe, erklärten Sado-Maso-Outfits wie Hundehalsbänder, Leder und Bondageelemente zur Straßenkleidung und gaben dem Shop den Namen SEX. Bei öffentlichen Auftritten machte sich Vivienne Stachel-Gel-Frisuren und entwarf mit Knochenmustern und nackten Cowboys oder mit Botschaften wie »anarchy« oder »destroy« verzierte T-Shirts.
Der wirkliche mediale Durchbruch gelang in Verbindung mit den Sex Pistols, die McLaren aus dem Verkaufspersonal und Jungs von der Straße rekrutierte und managte. Dass das Equipment für die Musiker geklaut war, wurde zum Stilelement, ebenso wie das Motto »Wenn du drei Akkorde kannst, gründe eine Band« und die Klamotten der Westwood, die bald nicht mehr nur als McLarens Näherin fungierte, sondern eine eigenständige Entwicklung nahm.
»Hattet ihr je das Gefühl, dass ihr beschissen wurdet?«, brüllte Johnny Rotten am 14. Jänner l978 beim letzten Konzert dieser ersten Mythos-beladenen Punkband im Winterland Ballroom in San Francisco. Damals war die Gruppe schon im Zerfall begriffen. Trotzdem: In den zwei Jahren ihrer Existenz hatte sie mit einer Handvoll Singles, die auf dem Album »Never mind the Bollocks, here`s the Sex Pistols« gesammelt wurden, eine Revolution in der Rockgeschichte eingeläutet. Ihre Devise war Innovation durch Zerstörung, kreativer Dilettantismus statt handwerkliche Qualität.
Und doch fanden sich Musik, Design und bildende Kunst im Punk in einer Synthese. Das Do-it-yourself-Prinzip brachte Gesamtkunstwerke hervor, denn Kreativität war unumgänglich, wenn der Sänger z. B. das Plattencover selbst gestaltete und auch entwarf. Eine Reihe von KünstlerInnen wie Laurie Anderson, Martin Kippenberger, Robert Mapplethorpe, Linder, Stephen Willats spielten Vorreiter oder ließen sich von der Jugendkultur inspirieren. Und so nahm die Punkbewegung den Lauf alles Irdischen in der kapitalistischen Welt und ging – entgegen der ursprünglichen Intention – in den Kunstmarkt und den Mainstream ein.

Aktionismus als Programm

Der Begriff Punk, zuerst von Shakespeare in »Maß für Maß« für eine Prostituierte gebraucht, wurde mit Außenseitern, Dreck, Sandlern assoziiert, lässt sich auch im Rückblick als zynische, flüchtige und schnelllebige Subkultur umschreiben, mit eigenen poetischen, politischen und apolitischen Ausdrucksformen: Das Feiern von Hässlichkeit, Protest gegen alles und jedes, aber auch spontane dadaistische Aktionskunst, exzessiver Konsum von Alkohol, Drogen und Sex gehörten dazu. Leider auch die Abspaltung von Teilen der Bewegung ins rechtsradikale Lager. Die Musik war eine schnelle, sehr einfache, effektive und reduzierte Variante von Rock‘n‘ Roll. Alles, was den Geruch von Qualität, Virtuosität und Star-Gehabe zu tun hatte, wurde heftig abgelehnt. Die Texte strotzten vor Tabubrüchen, radikalen, knappen Anklagen und Beschimpfungen, Reflexionen über das eigene Leben oder politischen Sprüchen: Advent Advent ein Nazi brennt, erst der Arm, dann das Bein, dann das ganze Nazischwein.
Musikauftritte konnten in reinen Aktionismus ausarten, wie bei Linder mit der Gruppe Ludus, 1982, im Hacienda Club in Manchester. Sie trug ein Kleid aus Hühnerfleisch, einen schwarzen Dildo. Tische waren mit blutigen Tampons dekoriert, die Besucher bekamen Fleisch in Pornomagazine eingepackt serviert.
Auch hier hatte Vivienne Westwood Vorbildfunktion: Einst Prinzessin des Punk, heute eine der wichtigsten Designerinnen, inszenierte sie skandalträchtige Auftritte in London. Behängt mit Vorhängeschlössern und im Gumminegligé spazierte sie durch die Stadt und brachte den Verkehr zum Erliegen.

WEBLINKS
Punk im Internetlexikon Wikipedia
de.wikipedia.org/wiki/Punk 
Poplexikon Laut.de
www.laut.de/lautwerk/punk/index.htm 
Kunsthalle Wien
www.kunsthallewien.at/

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Von Dr. Sibylle Fritsch (Freie Journalistin)

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